Abschied als Präsidentin der Europa-Uni Viadrina: Schwan tritt an

Die letzte ihrer vier Abschiedsvorlesungen nutzte Gesine Schwan dazu, ihr Programm als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt vorzustellen: Wieder Demokratie wagen.

Abschied und Aufbruch: Gesine Schwan sagt "Wiedersehn". Bild: ap

Saxofonklänge und Trommelwirbel hallen über die Stadtbrücke, die Frankfurt/Oder mit Slubice, der Schwesterstadt auf der polnischen Seite des Flusses verbindet. Mit den verspielt klingenden Tönen, treiben sie einen Menschenzug an. Angeführt wird er von Gesine Schwan, die an diesem Abend mit ihrem offenen Lachen und ihrer Fröhlichkeit mehr denn je schon Kandidatin auf das Bundespräsidentenamt ist, als scheidende Präsidentin der Europa-Universität Viadrina. Deshalb wohl wirkt die improvisierte Musik und der illustre Zug, den die Studentinnen und Studenten zum Abschied für Schwan inszenierten, wie ein Aufbruch.

Auf der Brücke soll Schwan, das wollen die Studenten so, eine Flaschenpost in die Oder werfen. Drin eine Nachricht, die an das Verbindende appelliert zwischen den Menschen. Als alle sich über die Brüstung lehnen und der davonschwimmenden Flasche nachschauen, kommt doch Wehmut auf.

Zuvor hat Gesine Schwan die letzte ihrer vier Abschiedsvorlesungen gehalten, die mal an der Viadrina in Frankfurt und mal am Collegium Polonicum in Slubice stattfanden. In vier Lektionen wollte sie ausführen, wie demokratische Politik unter globalen Vorzeichen noch funktionieren kann.

"Good global governance - die Zukunft demokratischer Politik" war die Überschrift, die über allem stand. Für die Fans - arbeitslose, pensionierte, selbständige -, die lange schon nicht mehr in einem Hörsaal saßen, umschrieb Schwan den englischen Begriff mit: "Wie wollen wir regieren?". Schwan sprach im Aktiv. Nicht im Passiv. Der hätte dem Blickwinkel der 300 ZuhörerInnen mehr entsprochen. Im Passiv würde es heißen: Wie wollen wir regiert werden? Sie aber ist in Fragen der Good Governance demnach eine Akteurin. Die Abschlussvorlesungen sind in Wirklichkeit Antrittsvorlesungen.

Wie eine Dramaturgin hatte sie in den vier Lektionen den Spannungsbogen aufgebaut. In der ersten Stunde führte sie die Akteure des Demokratie-Dramas ein und beschrieb, was bei demokratischer Politik gegeben sein muss. Ganz oben auf der Liste steht ein Leitmotiv. Für Schwan ist es der Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Weiter braucht Demokratie ein demokratisches Prozedere, also Wahlen. Benötigt werden zudem Institutionen wie Parteien, Parlamente, Verfassungen. Von größter Bedeutung aber ist - das betont Schwan immer wieder - die demokratische Kultur. In einer Demokratie dürfe man Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Transparenz, Partizipation nicht nur für sich wollen, sondern auch für andere. Außerdem müsse man bereit sein, trotz unterschiedlicher Meinungen zu Entscheidungen zu kommen, mit denen alle leben können. Wer Demokratie will, muss eine "Liebe zur Gleichheit" mitbringen. "Liebe zur Gleichheit", das wiederholt sie fast in jeder Stunde. Sie meint es wie Hingabe, wie Zuneigung, wie etwas, das vom Herzen kommt.

Wie bei einem Drama bringt sie gleich in der ersten Lektion auch die Gegenspieler ein: international agierende Wirtschaftsunternehmen, NGOs - Nichtregierungsorganisationen, internationale politische Vereinbarungen. Bei Spielern und Gegenspieler, da braut sich was zusammen.

Was genau, das führt Schwan in der zweiten Stunde aus: Es ist der Vertrauensverlust in die Demokratie. Mehr als ein Drittel der Deutschen äußern sich laut einer neuen Studie kritisch zur Demokratie. 47 Prozent können sich vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl nicht zu wählen.

Es ginge noch an, wenn sie nur ihr Vertrauen in einzelne Politiker verloren hätten, meint Schwan. "Wenn aber das Vertrauen in die demokratischen Institutionen verloren geht, dann wird es gefährlich." Das stärke die, die mit Demokratie nichts am Hut hätten.

Die Vertrauenskrise ist, daran lässt die scheidende Uni-Präsidentin keinen Zweifel, Folge einer politischen Entwicklung, in der transnationale Institutionen und Unternehmen sowohl politische als auch wirtschaftliche Macht ausüben. "Macht über Arbeitsplätze, Wasser, Energie, Klima, Migration, militärische Konflikte", zählt sie auf. Die internationalen Akteure aber handeln ohne die Legitimation der Bevölkerung. "Es gibt keine Weltverfassung. Es gibt kein globales Gewaltmonopol. Es gibt auf globaler Ebene keine Hierarchie der Willensbildung."

Nationalstaatliche Institutionen - und daher der Vertrauensverlust - sind nicht in der Lage, in internationale Interdependenzen bestimmend einzugreifen. Deshalb wenden sich die Bürger und Bürgerinnen ab, wie jener Frankfurter, der nach der Vorlesung schimpft: "Diese Globalisierung, diese Abzockerpolitik, das ist doch Diktatur des Geldes." Und die Frau neben ihm: "Wenn man nur wüsste, wie man aus der Sackgasse rauskommt."

Der kurze Dialog ist der Höhepunkt des Dramas und sein Umschwung. Nachdem es schlimm ist, muss man zurück zum Gleichgewicht finden. Das machte sich Schwan zur Aufgabe in der dritten Lektion. Sie stellt fest, dass die politischen Akteure auf nationalstaatlicher Ebene demokratisch gewählt sind, also "Inputlegitimation" haben. Was sie daraus machen, ihr Output, kommt jedoch nicht gut an. Ganz anders bei den NGOs. Die sind nicht gewählt, aber was sie tun, genießt große Akzeptanz. Schutz der Umwelt etwa, Erhaltung der Lebensqualität, Bewahrung von Freiheit, Gleichheit, Transparenz - das will ein großer Teil der Bevölkerung. Schwan fordert nun, dass die Politik, die Inputlegitimation, aber schwindende Outputlegitimation mitbringt, stärker mit den NGOs, die Outputlegitimation haben, kooperiert. Gemeinsam können sie den dritten Akteur, die internationalen Unternehmen, stärker kontrollieren. Denn es gäbe durchaus etwas, das "Reputationskapital" heißt. Ein Unternehmen kann nicht nur am Aktienmarkt verlieren, sondern auch an Glaubwürdigkeit. Vorausgesetzt, jemand fordert sie ein.

Nun endlich die letzte Stunde, die Stunde der Erkenntnis: Wie soll das gehen, was Schwan zuvor so wortgewaltig und ohne je vom Zettel abzulesen ausgeführt hat? Weshalb sollen Politiker einsehen, dass sie es nicht alleine können? Weshalb sollen NGOs kooperieren? Und wie kommen die Bürger darin vor?

Um es mal so zu sagen: Auch wenn die letzte Abschiedsvorlesung eine Sternstunde für Gesine Schwan war, weil viele ihrer Freunde und Kollegen da waren, weil "Monsieur" mitten in der Vorlesung auftauchte, ihr Mann, und dann auch noch Gunter Pleuger, ihr designierter Nachfolger, "ein Mann mit Humor", wie Schwan sagte, litt die Gedankenführung, wie man nun zu "good global governance" kommt, in dieser Lektion erheblich.

Schwan stellte ein paar Beispiele vor, wo NGOs, Politik und Privatwirtschaft bereits kooperieren. Da ist zum einen der weltumspannende Pakt "Global Compact", den Kofi Annan, damaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, 1999 vorschlug. Bisher sind 1.400 Unternehmen beigetreten. Diese verpflichten sich, Menschenrechte und Arbeitsrechte einzuhalten, den Umweltschutz zu fördern und auf Korruption zu verzichten. Das Auswärtige Amt ist in Deutschland für die Betreuung des "Global Compact" verantwortlich, und die Zivilgesellschaft, vertreten durch NGOs, ist aufgefordert zu kontrollieren, dass die Unternehmen ihre Selbstverpflichtungen einhalten.

Dann geht sie auf die Umsetzung von Konventionen ein. Etwa jene der Unesco zu Schutz und Förderung kultureller Vielfalt. Fast schelmisch scheint sie sich zu freuen, dass hier ein Bereich definiert wurde, Kultur, der nicht der Marktlogik untergeordnet werden darf. Vor allem aber erwähnt sie die OECD-Konvention gegen Bestechung von ausländischen Politikern. Denn die NGO Transparency International, die von Schwans Mann, Peter Eigen, gegründet wurde, hat darauf hingewirkt.

Schwan, schon ganz in der Rolle von einer, die die Menschen zukünftig für Demokratie motivieren wird, wurde nicht müde, wie eine Missionarin immer wieder von der "Liebe zur Gleichheit" zu sprechen. Dass sie allerdings die Organisation Transparency international in den Vorlesungen noch öfter erwähnte, hat wohl mit Liebe zu tun.

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