Die Kompromisskommunarden

FREIRÄUME Sie sind das stärkste Symbol gegen Gentrifizierung und steigende Mieten – und wenn es ernst wird, schließen sie Verträge. Die Hausbesetzer sind abgekämpft. Jetzt suchen sie nach neuen Strategien

Das Treffen: Das „Intersquat-Festival“ wurde im Jahr 2008 in Paris ins Leben gerufen, 2009 war es in Rom. Seit dem 10. September bis zu diesem Sonntag findet das internationale Treffen der Hausbesetzerszene nun in Berlin statt – auf einem Brachgelände in Mitte.

Die Teilnehmenden: Zweihundert HausbesetzerInnen diskutieren in Berlin über Besetzungsstrategien, Gentrifizierung und Stadtpolitik. Aus Frankreich, Italien, den Niederlanden und Australien kamen dafür KünstlerInnen, Studierende und PolitaktivistInnen nach Deutschland.

Der Ort: Obwohl sich das Camp um die Besetzung von Häusern, Räumen und öffentlichen Flächen dreht, wurde das Veranstaltungsgelände selbst nicht besetzt – zum Schutz der Teilnehmenden, sagen die VeranstalterInnen. Um das Camp durchführen zu können, verhandelten sie wochenlang mit PolitikerInnen – einen Tag vor Festivalbeginn bekamen sie noch kurzfristig den offiziellen Zuschlag.

VON MARTIN KAUL

Lucy ist eine von den Kompromisslosen. Sie hat extra ihr Auto verkauft und etwas Geld geklaut. Und jetzt steht sie hier, auf einem sandigen, verwachsenen Platz in der Mitte Berlins. Aus Australien ist die 20-Jährige zum Intersquat-Festival gekommen, um neuen Mut zu finden, sagt sie. Das Treffen ist die Best-Practice-Konferenz der Anarchisten. Ihr Benchmark: Freiräume für alle.

Zweihundert HausbesetzerInnen aus ganz Europa denken auf dem Intersqat-Festival in Berlin noch bis zum Ende dieses Wochenendes über ihre Gemeinsamkeiten nach: Sie wollen, irgendwie, all den Verwertungszwängen entkommen. Aber wie?

Lucys Arme sind vernarbt und tätowiert. Sie sieht verkämpft aus. Dass sie was vom Widerstand in Deutschland lernen will, liegt nahe. Erst all die Geschichten von den Häuserkämpfen und dann das: In Stuttgart rebelliert das biedere Bürgertum gegen Bevormundungspolitik und in Provinzstädten wie Garmisch-Partenkirchen gehen Bauern auf die Barrikaden. An den Universitäten ist Gentrifizierung ein Modewort. Aber wie geht es zur selben Zeit den Menschen, die sich ihren Freiraum – ihre Häuser – einfach nehmen?

Müde vom Kampf

Die BesetzerInnen von heute stecken in Abwehrkämpfen. Beispiel Berlin: Die Liebigstraße 14, die Rigaer 94, die Bödi 9, die Reiche 63, der Linienhof – all das sind Synonyme für legalisierte Hausprojekte, die allein in der Hauptstadt zu fallen drohen. Privatinvestor und Räumungsbescheid sind ihre Reizworte.

Vielleicht kann Lucy, vielleicht können all die BerlinerInnen hier von Hannah lernen. Oder von Mirko. Beide haben nichts vom klassischen Klischeebesetzer. Im Gegenteil.

Mirko, 27, kommt gerade aus dem Naturkundemuseum. Er war dort Käfergucken, das ist seine Leidenschaft. Und so bescheiden er auch nun das Käferchen betrachtet, das ihm auf dem Bauplatz hier über den Handrücken krabbelt – vielleicht taugt der Student aus Wien zum Importmeister eines pragmatischen Erfolgsmodells: Symbolbesetzungen. Ein Trend aus Österreich.

Gemeinsam mit Obdachlosen setzten Wiener Studenten Ende letzten Jahres ein starkes Zeichen: Ihre langanhaltende Audimax-Besetzung sorgte für eine Debatte über bessere Bildung, besseres Wohnen, eine bessere Stadt. Seitdem machen immer wieder Aktionsgruppen mit Kurzbesetzungen auf sich aufmerksam. Mirko sagt: „Im Vergleich zu Berlin haben wir paradiesische Zustände. Bei uns ist Besetzen kein Straftatbestand.“ Der Biologiestudent mit dem Käfer auf der Hand sagt auch: „Aber auch uns fehlen die Leute.“

Bei ihm läuft deshalb alles ganz pragmatisch: „Wir besetzen symbolisch. Wir hängen Transpis aus den Fenstern leerer Häuser und verbarrikadieren die Türen – und dann hauen wir wieder ab.“ Ein Zeichen, sagt Mirko, sei auch schon etwas.

Es ist ein bisschen Kapitulation, aber es ist auch das Wissen um Möglichkeiten. „Um dauerhaft Freiräume zu erkämpfen, brauchst du Leute und Entschlossenheit. Es nützt nix, wenn abends alle groß fantasieren und am nächsten Tag alle weg sind.“

Auf dem Berliner Brachgelände sitzt auch die 27-jährige Hannah. Mit politischer Arbeit hatte sie bis neulich nix am Hut, sagt sie. Jetzt sitzt sie im BesetzerInnencamp, vier Äpfel auf dem Schoß, rötliches Haar, eine türkise Strickmütze auf dem Kopf. Die Medienkauffrau arbeitet vierzig Stunden in der Woche im Büro. Feierabends geht sie besetzen.

Gerade hat sie ihren Tinnitus überstanden, der vom Stress herrührte. Gemeinsam mit KünstlerInnen, Studierenden und AktivistInnen hat sie vor ein paar Monaten das vorerst letzte Erfolgsmodell der deutschen Hausbesetzerszene mit gegründet: Das Alternative Zentrum Köln.

Zweitausend Quadratmeter Fläche, drei Etagen. Hier soll ein Kulturzentrum entstehen, ein Ort für Theater und Konzerte, selbstverwaltet und hierarchiefrei. Die Kölner Linie: „Wir wollen das so schnell wie möglich legalisieren. Es gehört zum Besetzen heute dazu, von Beginn an auch als Verhandlungspartner aufzutreten“, sagt Hannah. „Ich schließe gerne Kompromisse, wenn daraus etwas wachsen kann.“

„Ich schließe gerne Kompromisse, wenn daraus etwas wachsen kann“

Kölner Besetzerin Hannah

Zu ihrer Überraschung sieht es gut aus in Köln: Das Autonome Zentrum wird seit seiner Besetzung vor fünf Monaten geduldet. Weil gern auch mal SPD-Politiker vorbeischlendern, die in dem Projekt Kulturpotenzial sehen. Vielleicht ist genau das ihre Chance: Die Hausbesetzer von heute, sie sind zu Kompromisskommunarden geworden. Verhandlungen und Verträge sind ihre wirksamsten Waffen.

Das eint, sicher, nicht alle: Einige der BesetzerInnen sind in Köln schon wieder abgesprungen. „Der Legalisierungsfaktor ist für viele ein zu großer Gefallen an das System“, sagt Hannah.

Denn natürlich: Die Geschichte der Kollektivstrukturen ist auch die Geschichte von Zerwürfnissen. Von anarchosyndikalistischen Revolutionskollektiven reichen sie bis zum grünen Biedermeiertum gut situierter Baugruppen. Weil ökobewusste Alternativbauherren ihre energieeffizienten Eigenheime bauen wollen, liegen sie im Streit mit den Spontis von heute.

Wulffs warme Worte

Als es zuletzt um das räumungsbedrohte Berliner Kunsthaus Tacheles ging, fand sogar der konservative Bundespräsident Christian Wulff (CDU) warme Worte für das Projekt. Das Tacheles in Berlin – es ist das Paradebeispiel eines vom Tourismus okkupierten Raums, der einst ein Freiraum war.

Das ist es, was Lucy aus Australien hier lernen kann: Wenn Hausprojekte schön kunterbunt und brav sind, akzeptiert der Mainstream sie gern – als Alibi-Vorzeigeprojekt. Das ist Dilemma der Kompromisskommunarden. Und zu allem Ärger auch ihre einzige Chance.