KIM TRAUPOLITIK VON UNTEN
: Jetzt rede ich selbst

Die Mehrheit der Trans*Leute lebt unerkannt im gewünschten Geschlecht. Denn wer seine Geschichte erzählt, wird oft ausgeschlossen, wenn es um „uns Frauen“ oder „uns Männer“ geht. Warum ich trotzdem spreche

Als das Telefon klingelt, sitze ich am Schreibtisch und denke über meine Hausarbeit nach. Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld hat 1910 das Wort „Transvestit“ eingeführt. Was interessiert mich an seinen Definitionen und Begriffen? Der Anruf unterbricht mich. Ob ich mir vorstellen könne, eine Kolumne zu schreiben, durch die die Leser_innen der sonntaz etwas aus dem Leben einer Trans*Person erfahren können.

Meine Gedanken überschlagen sich. Da ist zuerst Freude, Euphorie. Bekäme ich jemals wieder so eine Chance, mir Gehör zu verschaffen? Andererseits geht es nicht um irgendein Thema. Keines, für das ich mich nur interessiere, sondern eines, das mich persönlich betrifft. Mit diesem Gedanken kommt auch die Angst.

Zugegeben, schon viele vor mir haben über ihre Erfahrungen berichtet. Zumindest in Büchern, mal mit mehr, mal mit weniger Medienecho. Schon 1907 schrieb Karl M. Baer in „Aus eines Mannes Mädchenjahre“ darüber, wie es ist, für das eine gehalten zu werden, aber das andere zu sein. Unzählige Titel sind inzwischen gefolgt. Oft waren sie Ausdruck des Bedürfnisses ihrer Autor_innen, sich der Welt zu erklären. Einer Welt, die sie nicht verstand und die sich für ihre Geschichten nur aus Voyeurismus interessierte. Erst seit ein paar Jahren scheint dieser Voyeurismus einer Begegnung auf Augenhöhe gewichen zu sein. Als sich der Stabhochspringer Balian Buschbaum als Trans*Mann outete, brauchte er sich nicht mehr vorführen zu lassen. Er war Teilhaber seiner medialen Inszenierung. Aber hatten er und seine Vorgänger_innen überhaupt eine Wahl? Steht jemand in der Öffentlichkeit, lässt sich die eigene Vergangenheit kaum verbergen, und es bleibt nur die Chance, andere mit der eigenen Sicht der Dinge zu konfrontieren.

Bei der großen Mehrheit der Trans*Leute ist das anders. Sie leben unerkannt im gewünschten Geschlecht. Sie passen, gehen durch als Frau oder als Mann. Nichts wollen sie weniger, als entdeckt zu werden und Stempel aufgedrückt zu bekommen, die sie zur Zielscheibe von Diskriminierungen machen.

Es ist ein Problem, das ich gut kenne. Oft befürchte ich, dass sich Menschen nicht mehr davon lösen können, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzähle. Dass sie mich fortan immer durch die Brille dieser Geschichte sehen. Letztens sagte eine Kommilitonin zu mir, dass wir Frauen es ja besonders schwer hätten, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Sie sprach übers Kinderkriegen, über ihre Regel. Würde sie so schön und leicht reden, wenn sie wüsste? Die Angst, sichtbar zu werden, ist die Angst, aus dem „wir“ herauszufallen. Und sich erst wieder mühsam hineinkämpfen zu müssen.

Mir ist klar geworden, dass ich etwas zu berichten habe – Erfahrungen, die sich nicht ohne Weiteres mit jedem teilen lassen, die nur Trans*Leute nachvollziehen können. Aber solange nur andere über mich sprechen, definieren sie in der Öffentlichkeit, wer ich bin. Deshalb rede ich jetzt selbst.

■ Die Autorin ist Studentin und leitet eine Trans*-Jugendgruppe in Berlin Foto: privat