Highschool-Serie "Glee": Sarkasmus statt Kitsch

Singen, tanzen, Highschool - klingt, als wäre die supererfolgreiche US-Serie "Glee" schlimmer Disney-Teenietrash. Dabei ist sie schlau, ironisch, bösartig: Auf Super RTL um 20.15 Uhr.

Der Produzent Ryan Murphy und sein Star Chris Colfer: "Glee" räumte bei den Golden Globes wieder als beste Comedy-Serie ab. Bild: dapd

Paul McCartney bettelte. Unbedingt dabei sein wollte er, der Ex-Beatle. Er setzte sich an seinen Computer, brannte eine CD mit seinen Songs und schickte sie über den großen Teich an Ryan Murphy und Ian Brennan. Die Produzenten von "Glee" mögen sich doch durch den Kopf gehen lassen, ob sie nicht mal eine seiner Kompositionen in ihrer Fernsehserie verwenden mögen. Bitte, bitte!

McCartneys Flehen ist erhört worden. Die Musical-Serie, die am Montag in Deutschland startet, hat es auch dank des von ihm verfassten Beatles-Klassikers "Hello Goodbye" zum Quotenrenner in den USA gebracht. Und nicht nur das: "Glee" ist zum kulturellen Phänomen aufgestiegen, das vom Feuilleton gefeiert und von Kommentatoren auf seinen Einfluss auf die Moral der amerikanischen Jugend abgeklopft wird, während Amateurchöre sich kaum mehr vor Interessenten retten können und Broadway-Musicals - zu ihrer Überraschung - neuerdings unerwartete Mengen minderjähriger Zuschauer begrüßen dürfen.

Kurz: Das Musical ist kein antiquiertes Format mehr, sondern schick. Und "Glee" ist schuld. Vergangenen April bestritten "Glee"-Darsteller das musikalische Programm des Osterfestes im Weißen Haus, auf Einladung von Michelle Obama. Beim Emmy, dem renommiertesten US-Fernsehpreis, war die Serie bereits 16-fach nominiert und hat auch ansonsten alle verfügbaren Auszeichnungen abgeräumt.

Dabei scheint "Glee" auf den ersten Blick kaum mehr als eine weitere harmlose, auf die Zielgruppe Teenager ausgerichtete Serie. Schauplatz ist die fiktive William McKinley High School in Lima, Ohio, also exakt mitten im Nirgendwo. Im Glee Club, dem abgehalfterten Chor der Schule, sammeln sich die Außenseiter und Verlierer. Die beiden zentralen Charaktere sind die so talentierte wie größenwahnsinnige Rachel, der Prototyp des verwöhnten Möchtegernwunderkindes, und Football-Quarterback Finn, der zum Verdruss seiner Mannschaftskollegen beim Singen seine feminine Seite entdeckt.

Umgeben werden sie von der schwergewichtigen Afroamerikanerin mit der seelenvollen Stimme, dem schwulen Musical-Fan, dem stillen asiatischen Mädchen und dem hornbrillentragende Nerd, der auch noch im Rollstuhl sitzt. Außerdem dabei: der knurrige Football-Coach, der trottelige Schuldirektor, die mit einem Waschzwang geschlagene Vertrauenslehrerin, der schluffige Chorleiter und - als mittlerweile gar nicht mehr so heimlicher Star der Serie - die so schlagfertige wie bösartige Trainerin der Cheerleader, die die neue Konkurrenz fürchtet und Intrigen gegen den Glee Club spinnt.

Mit diesem Personal erzählt "Glee" die üblichen Geschichten aus Liebe und Schmerz, Kameradschaft und Verrat, Erfolg und Enttäuschung. So weit, so erwartbar. Aber wie diese Geschichten erzählt werden, das ist neu und überraschend, jederzeit ironisch bis bösartig und bisweilen sogar subversiv. Die Themen, die "Glee" wie selbstverständlich neben den mitreißenden Sing- und Tanzeinlagen streift, reichen von Homophobie und Sexismus bis zu Zwangsstörungen und Familienproblemen, Drogen und Gewalt.

Die Grundkonstellation erinnert natürlich an den Disney-Franchise-Film "High School Musical". Aber im Gegensatz zu dessen aseptisch-heiler Welt, in der nicht mal auf den Mund geküsst werden darf, nimmt "Glee" die Nöte und Ängste von Heranwachsenden ernst. So ernst, dass mancher Kritiker nach Parallelen zu Charles Dickens sucht. So ernst, dass nichts und niemand vor dem Sarkasmus der Autoren sicher ist, die vorher die bitterböse Schönheitschirurgen-Serie "Nip/Tuck" schrieben.

Vor allem die christliche Rechte in den USA und ihre "family values" haben sie ins Visier genommen: Ausgerechnet die Cheerleaderin, die den "Zölibat-Club" leitet, wird ungewollt schwanger, Chorleiter Will führt eine demonstrativ unglückliche Ehe und die Schulkrankenschwester verteilt zu viele bunte Pillen. Selbst positiv besetzte Charaktere schrecken vor Erpressung nicht zurück, der Umgangston ist meist rüde, romantische Momente werden so systematisch im Kitsch ertränkt, dass noch der Allerletzte die Ironie versteht. Melodrama und Satire, Witz und Wehmut wechseln sich fröhlich ab.

Auch ohne solche Widersprüche, die "Glee" souverän ausbalanciert, war die Serie ein Wagnis. Denn Musicals sind teuer: Eine Folge "Glee" kostet mehr als drei Millionen Dollar, gut 50 Prozent mehr als bei Serien, in denen keine Song-Tantiemen gezahlt und aufwendige Tanz-Szenen einstudiert werden müssen. Außerdem sind seit den frühen Siebzigern, seit der "Partridge Family", alle Versuche, das Musical fürs Fernsehen zu renovieren, ausnahmslos gefloppt. Erst vor drei Jahren wurde die Musical-Serie "Viva Laughlin" nach nur zwei Folgen abgesetzt, die im Anwaltsmilieu angesiedelte "Eli Stone" wurde immerhin zwei Staffeln alt.

Es ist deshalb schwer zu sagen, was das Erfolgsgeheimnis von "Glee" ist. Der ehrliche Umgang mit der Wirklichkeit? Die satirische Überzeichnung? Oder doch vor allem die Musik? Denn natürlich funktioniert "Glee" auch deshalb so gut, weil pro Folge mindestens ein halbes Dutzend Hits ins Bild gesetzt werden. Die Auswahl reicht dabei von aktuellen Chartserfolgen von Beyoncé oder Scissor Sisters bis zu klassischen Musical-Melodien aus "Cabaret" oder "My Fair Lady". Von Rock-Klassikern von Queen, den Rolling Stones oder Bruce Springsteen bis zu Rap von Salt 'n' Pepa oder Kanye West. Einzelne Folgen widmen sich musikalisch ausschließlich Madonna oder der "Rocky Horror Picture Show". Oder die Stars treten gleich selbst auf, so wie Britney Spears. Jennifer Lopez soll ihr gerüchtehalber demnächst folgen.

Wie mittlerweile üblich, wird der Erfolg von "Glee" auf allen denkbaren Ebenen vermarktet: Die Songs sind als Download zu kaufen, sobald die Serie gesendet wurde, die Schauspieler gehen als "Glee Live! In Concert!" auf Tournee, die Soundtrack-Alben und die "Glee"-Weihnachts-CD dominieren die Billboard-Charts. Aus zwei Folgen sind größere Bühnenshows entstanden, eine auf der Serie basierende Romanreihe ist in Arbeit. Die US-Kaufhauskette Macy's vertreibt eine "Glee"-Klamottenlinie, Computerspiele und Unterhaltungselektronik sind in Planung. Demnächst sollen drei neue Rollen in der Serie in einem öffentlichen Casting neu besetzt werden. Damit dockt "Glee" endgültig an Formate wie "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) an.

Diese Nähe ist nicht neu. Die Pilot-Folge sendete der produzierende Sender FOX in den USA im Anschluss an das Staffel-Finale von "American Idol", der US-Ausgabe von DSDS, um die bereits versammelte Zielgruppe möglichst vollständig anzusprechen. Die RTL-Gruppe scheint diese Verbindung zu scheuen: Statt "Glee" im Umfeld des Erfolgsgaranten "DSDS" zu platzieren, versendet man den Einkauf auf Super RTL und richtet sich damit ausschließlich an das jugendliche Publikum.

Den Crossover in die Erwachsenenwelt, der "Glee" in den USA gelungen ist, peilt man hierzulande also erst gar nicht an. Auch dem Publikum, das nach der Selbstabschaffung der Musiksender MTV und Viva heimatlos geworden ist, wird in gewisser Weise Gegenwart und nähere Zukunft des Musikfernsehens vorenthalten. Schade, da entgeht der gesetzteren Altersgruppe etwas. Demnächst ja vielleicht auch der Gastauftritt des ausgewiesenen "Glee"-Fans Paul McCartney, 68. Den hat einer der Darsteller unlängst für eine Rolle ins Gespräch gebracht: als Hausmeister.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.