Joschka Fischer stellt neues Buch vor: Helmut Schmidt junior

Joschka Fischer stellt den zweiten Teil seiner Politmemoiren vor. Weit mehr als das Werk präsentiert der Exminister dabei sich selbst als allwissenden Elder Statesman.

Joschka Fischer hält sein opulentes Werk in der Akademie der Künste in die Höhe. Das die Stuhlreihen vor ihm nicht voll sind, sieht man hier nicht. Bild: dpa

Alles ist da: der prüfende Blick des Manns im schwarzen Anzug, als er den Veranstaltungssaal in der Akademie der Künste in Berlin betritt. Der erhobene Zeigefinger, als er den vor ihm sitzenden Journalisten seine Version der rot-grünen Jahre erzählt. Auch das Kopfschütteln, das theatralische Seufzen und die rhythmisch durch die Luft schneidenden Hände, als er ausruft: "Das! Sind! Die! Großen! Herausforderungen!"

Aber etwas fehlt bei Joschka Fischers Vorstellung seiner Erinnerungen an die Zeit vom 11. September bis zum Ende seiner Amtszeit 2005. Die überbordende Emotionalität ist weg: in den Worten des Außenministers wie in den Fragen der Journalisten. Und in den ersten Reaktionen auf " ,I am not convinced' - Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre". Zu sehr hat sich die Welt seither gewandelt. Fischer ist Geschichte.

Bei der Vorstellung von Fischers politischen Erinnerungen blickt dieser auf nicht gefüllte Stuhlreihen. In jeder Reihe ist noch Platz. Durchs Panoramafenster ist der graue Berliner Himmel zu sehen. Hinterm benachbarten Brandenburger Tor wehen die Fahnen des Reichstags. Nur wenige hundert Meter entfernt von seiner alten Wirkungsstätte wirkt Fischer doch der aktuellen Politik entrückt.

Auf 362 Seiten hat der ehemalige Grünen-Anführer seine Sicht auf die vier letzten rot-grünen Jahre ausgebreitet. Es geht um die Kabinettsentscheidung für eine Beteiligung am Afghanistankrieg und um Fischers Road Map für eine Befriedung des Nahen Ostens. Vor allem aber um das Zerwürfnis zwischen deutscher und amerikanischer Regierung, als 2002 absehbar wurde, dass die USA - komme, was wolle - den Irak angreifen würden. Fischers furioser Monolog auf der Münchner Sicherheitskonferenz sechs Wochen vor Kriegsbeginn im März 2003 gibt dem Buch den Titel. Damals konterte er in Anwesenheit von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Behauptung der Bush-Regierung, der Irak habe Massenvernichtungswaffen. Mit einer Suada, die gipfelte im Satz: "Ich bin nicht überzeugt."

Das ist Geschichte. Fischer behielt recht. George Bush ist nicht mehr US-Präsident. Die Vereinigten Staaten kämpfen gegen ihren Machtverlust, und China steigt zur Weltmacht auf. Die Grünen erzielen ohne ihren einstigen Vordenker die besten Umfragewerte ihrer Geschichte, und zwei Bundesregierungen trennen Rot-Grün von heute. Zudem lässt die globale Wirtschaftskrise vieles von dem, was zuvor war, seltsam entrückt erscheinen. Daher das wohltemperierte, aber nicht überwältigende Echo auf den zweiten Teil von Fischers Memoiren. Das selbst erklärte "Alphatier" steht nicht mehr im Zentrum internationaler und deutscher Konfliktlinien. Fischer ist nur noch Fischer, und er scheint es zu genießen.

Deshalb befolgt der 62-Jährige ausgiebig den Rat seines ehemaligen US-Amtskollegen Henry Kissinger: "Beantworte nie die Frage, die dir gestellt wurde. Sondern die, von der du hofftest, dass sie dir gestellt wird." Ein Journalist will wissen, welchen Anteil die Grünen haben am Niedergang der SPD, schließlich hätten sie die gehassten Hartz-Reformen mit beschlossen. Fischers 5-Minuten-Antwort beginnt bei Hartz IV, geht über zum Präsidentschaftsduell Bush/Gore im Jahr 2000, zu Afghanistan und dem Nahen Osten und endet im Irak.

Eine seiner dringlichsten Botschaften hat Fischer zusammengefasst in einem tags zuvor erschienenen Interview: Heutigen Politikern fehlten "diese Leidenschaft, dieses Feuer und dieser Ehrgeiz, Geschichte in einem positiven Sinne zu machen". Allerorten gebe es "Qualitätsverlust".

Schließlich fragt ein alter journalistischer Begleiter Fischers den "Herrn Doktor h. c. Fischer" halb belustigt, halb genervt, ob dieser denke, den jüngeren Politikern fehle sein Format. Fischer blickt ins Nichts, wuchtet sich in seinem Stuhl hoch und sagt: "Sollte ich mich tatsächlich zum Helmut Schmidt entwickeln, täte mir das leid." Er lächelt dabei.

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