Kafkaeske Umdeutung

MEDIEN Vollständige Pressefreiheit hat es in China nie gegeben – jetzt aber werden die Zeiten noch härter für Journalisten. Die Polizei verwarnte nun die taz-Korrespondentin

Der Bloomberg-Kameramann wurde von fünf Zivilpolizisten mit Tritten traktiert

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Die Stimme am Telefon war freundlich, aber bestimmt. „Hier ist die Einwanderungspolizei. Kommen Sie heute Nachmittag zu uns ins Amt, wir wollen Sie über die Arbeitsvorschriften für Journalisten belehren.“

Bei der Einwanderungspolizei müssen sich alle Ausländer registrieren, die längere Zeit in Chinas Hauptstadt leben. Für internationale Journalisten, die jährlich ihr Arbeitsvisum erneuern müssen, gibt es einen speziellen Schalter. Die Aufforderung, an diesem Mittwoch zur „Belehrung“ zu kommen, erhielten rund zwei Dutzend ausländischer Reporter und Kameraleute. Der Bloomberg-Kameramann erscheint trotz gebrochener Rippe – er war am Sonntag von fünf Zivilpolizisten mit Tritten traktiert worden, als er in der Pekinger Wangfujing-Einkaufsstraße eine angekündigte Demonstration filmen wollte.

Unbekannte hatten online für diesen Tag zu einem „Spaziergang“ in Peking und in 22 weiteren Städten Chinas aufgerufen – nach dem Vorbild der Jasmin-Rebellionen in der arabischen Welt. Statt Demonstranten tauchten Hundertschaften von Polizisten in Zivil und Uniform auf.

Die Furcht, der Funke der Jasmin-Bewegungen könne auf China überspringen, ist der wahre Grund für die „Belehrungen“. Die Journalisten werden einzeln oder in kleinen Gruppen vernommen, ihre Personalien überprüft. Die Gespräche finden in fensterlosen Zimmern statt – stets steht eine Kamera auf einem Stativ bereit, das Geschehen zu filmen.

Polizist Zheng Jie, der sich als Leiter der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten vorstellt, führt das Gespräch. „Wir sind hier“, sagt Zheng, „um ein paar Dinge klarzustellen.“ Die Tatsache, dass sich am Sonntag ausländische Journalisten auf der Einkaufsstraße Wangfujing aufhielten, habe „die Anwohner erschreckt“. Die Menschen hätten „die Polizei um Hilfe gebeten“. Deshalb sei es nötig, die Journalisten ein letztes Mal zu ermahnen, sich an die Verordnungen und Gesetze Chinas zu halten, die seit 2008 für sie gelten. In der entsprechenden Verordnung heißt es: „Ein ausländischer Journalist, der Organisationen oder Einzelpersonen in China interviewen will, muss dafür zuvor ihre Zustimmung erhalten.“

Dieser Passus war im Umfeld der Olympischen Spiele eingeführt worden – eine deutliche Verbesserung der Pressefreiheit: Bis dahin mussten wir offiziell die örtlichen Behörden vor jeder Recherchereise um Genehmigung bitten. Mit den Regeln von 2008 schwand der Druck etwas: Ich brauchte bei Reisen nicht mehr ständig das Gefühl zu haben, von der Polizei oder anderen Kontrolleuren wegen angeblicher „Verstöße gegen die Genehmigungspflicht“ festgenommen zu werden. Auch für meine chinesischen Gesprächspartner wurde es leichter: Sie mussten den Vorwurf nicht mehr fürchten, „illegal“ mit ausländischen Journalisten gesprochen zu haben, nur weil sie ihrem Nachbarschaftskomitee nicht Bescheid gesagt hatten.

Allerdings: Frei waren wir nie. Nach Tibet ließen mich die Behörden seit fünf Jahren nicht reisen. In anderen Orten wurden Gesprächspartner festgenommen oder unter Druck gesetzt.

Jetzt wird das Rad wieder zurückgedreht – obwohl Polizist Zheng mehrfach betont, dass die Regeln von 2008 „unverändert“ gelten.

Aber, so werden wir Journalisten belehrt, nun gilt eine neue Interpretation der Regeln: Wer zum Beispiel auf der Einkaufsstraße Wangfujing Interviews führen oder filmen wollte, müsse vorher „die Einwilligung der Straße“ erwirken. Diese sei im örtlichen Verwaltungsbüro zu beantragen.

Ob die Berichterstattung erlaubt ist, hänge jeweils von der Beurteilung der örtlichen Funktionären ab. Um zu wissen, ob man eine Genehmigung brauche, solle man vorsichtshalber bei den Behörden nachfragen.

Die kafkaeske Umdeutung erscheint auf den ersten Blick lächerlich – wenn sie nicht mit tiefernster Miene und vor laufender Kamera präsentiert und mit der Drohung des Entzugs der Arbeitserlaubnis in China verbunden würde.

Kein Zweifel, die Zeiten werden deutlich härter. Man wisse ganz genau, fügte Polizist Zheng hinzu, warum sich die internationalen Medien auf der Wangfujing-Straße aufgehalten hatten: „Es gibt Leute im Ausland, die eine Jasmin-Revolution entzünden und Chaos in China säen wollen.“ Aber: „Das wird es in China niemals geben. China ist stabil.“ Das Volk stehe hinter der Regierung.

Polizist Zheng steht auf: „Vielen Dank für Ihre Kooperation.“ Ende der Belehrung.