Das Kreuz mit der sexuellen Orientierung

RICHTUNGSWAHL Baden-Württemberg ist Schlusslicht bei der Gleichstellung. Doch im Wahlkampf sind Schwule und Lesben überhaupt nicht zu sehen

Stärkstes Wirtschaftswachstum, erfolgreichstes Bildungssystem, niedrigste Jugendkriminalitätsrate – die schwarz-gelbe Landesregierung in Baden-Württemberg rühmt sich gerne als Spitzenland in allen möglichen Kategorien. Über die Gleichstellung von Schwulen und Lesben reden sie dabei nicht. Kein Wunder, denn in dieser Hinsicht ist der Südwesten absolutes Schlusslicht. Dabei sind viele Rechte inzwischen sogar per Gerichtsbeschluss bestätigt worden. Eine mögliche neue Regierung hätte also nach der Wahl an diesem Wochenende einiges aufzuholen in Sachen Gleichstellung.

Wollen Schwule und Lesben beispielsweise heiraten, dürfen sie das in Baden-Württemberg nicht auf dem Standesamt, sondern – kein Witz! – etwa dort, wo sich andere sonst ein neues Autokennzeichen abholen, auf der Kfz-Zulassungsstelle. Möglich machte dies eine Änderung des Personenstandsrechts 2009. Dieses regelt im Wesentlichen, wie Ehen und Lebenspartnerschaften geschlossen werden können. Der Bundesrat verhinderte bei der Änderung, dass Lebenspartnerschaften künftig überall auf dem Standesamt geschlossen werden müssen. Stattdessen wurde es den Ländern überlassen, ihre eigenen Regelungen zu treffen. Doch nur Baden-Württemberg macht davon Gebrauch und schickt seine Homosexuellen auf die Landratsämter. Zudem müssen Homosexuelle für die Verpartnerung bis zu 300 Euro zahlen, Heterosexuelle einheitlich nur 40 Euro.

Auch beim Dienstrecht mauert die Landesregierung. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, dass Beamte, die in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft leben, Anspruch auf Familienzuschlag und Beihilfe haben, verweigert ihnen dies Schwarz-Gelb.

„Wir sind in Baden-Württemberg absolutes Schlusslicht“, sagt die Landesvorsitzende des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), Brigitte Aichele-Frölich. „Das liegt eindeutig an der schwarz-gelben Regierung. Auch Ministerpräsident Mappus als Person ist nicht gewillt, das anzugehen.“ Dass Mappus es 2009 abgelehnt hat, die Schirmherrschaft über den Christopher Street Day (CSD) zu übernehmen, verübelt man ihm in der Szene noch heute.

Mario Hempel sieht aber auch Probleme durch die Struktur und die konservative Einstellung des Landes insgesamt. „Das ist auch die schwarze Seele dieses Landes, die da im Weg steht“, sagt der Landesvorsitzende von Lambda. Der schwul-lesbischen Jugendgruppe falle es besonders schwer, in ländlichere Gegenden vorzudringen. Alles konzentriere sich auf die Stadt, und selbst da fehle eine Großstadt wie Hamburg, Köln oder Berlin, die jeweils als Hochburgen für Schwule und Lesben gälten. Stuttgart habe diesen Ruf nicht.

Hieran scheint aber auch ein Problem auf, das die Szene selbst betrifft. Während in Stuttgart 30.000 Menschen für einen Bahnhof, während 60.000 Menschen gegen Atomkraft auf die Straße gehen, waren Schwule und Lesben im Wahlkampf nicht zu sehen. Keiner, der für seine Rechte aufgestanden wäre und gesagt hätte: Auch für uns muss sich nach der Wahl etwas ändern. Die eine Organisation fühlt sich dafür zu klein, die andere nicht zuständig, und die dritte hat es intern versucht – und alle zeigen mit dem Finger auf die anderen. Ein entschlossener Wahlkampf vor einer entscheidenden Richtungswahl sieht anders aus. Von einem Wann-wenn-nicht-jetzt-Gefühl kaum eine Spur.

„Durch die Verbandsarbeit verliert man das aus dem Blick“, sagt Hempel. Bei der Jugendorganisation würden sich zwar die meisten die CDU wegwünschen. „Es lassen sich aber nicht alle mitreißen.“

Beim CSD-Verein Stuttgart heißt es: „Auf die Wahl blickt man natürlich ganz gespannt.“ Das sagt der Vorsitzende Christoph Michl. Aber als CSD-Verein wolle man keine Wahlempfehlung aussprechen.

Außerdem sei es schwierig, Homosexuelle insofern zu politisieren und zu mobilisieren. Das liege an der großen Vielfalt innerhalb der Szene. „Schwule und Lesben machen ihr Kreuzchen nicht nur wegen ihrer sexuellen Orientierung – da muss man realistisch sein.“NADINE MICHEL