Last Exit Berlin

PRESSE Spätestens nach dem Sommer wird fast die ganze „Frankfurter Rundschau“ in Berlin gemacht. Widerstand scheint zwecklos: Die Redakteure üben sich in Sarkasmus, die Chefs leiden leise mit

„Es macht sich die beträchtliche Neigung breit, nach einem anderen Arbeitgeber zu suchen“

AUS FRANKFURT AM MAIN STEFFEN GRIMBERG

Nein, beharrt die Dame am FR-Empfang, natürlich bleibe die Frankfurter Rundschau in Frankfurt. Alles andere sei „eine völlige Fehlinformation von der Redaktion“, sagt sie und klingt dabei etwas unwirsch. „Teile der Redaktion gehen nach Berlin, das ist aber schon alles.“

Das ist nun wieder gewaltig untertrieben, aber was soll man auch sagen, dort am Counter im ehemaligen Straßenbahndepot in Frankfurts Apfelweinstadtteil Sachsenhausen. Hier hat die FR Anfang 2009 ihr neues – und wie manche meinen: letztes – Quartier bezogen. Auf vielen Quadratmetern verlieren sich Glaskästen, die das Sortiment des FR-Shops feilbieten. Ostervorfreude ist angesagt, es gibt ein „Schnarchendes Schaf“ als Stofftier, bunte Gartenschäufelchen und eine Vogelstimmen-CD.

Doch die Idylle trügt. Denn klar ist: Bald, spätestens nach dem Sommer, wird man durch das Foyer des Berliner Verlags laufen müssen, um zu weiten Teilen der Frankfurter Rundschau zu gelangen. Dann wird die unabhängige Tageszeitung, die in ihrer Satzung etwas von linksliberal und überregional stehen hat, bis auf die Regionalteile in der Hauptstadt gemacht. Von der Redaktion der Berliner Zeitung, die dazu um etwa 20 Frankfurter RedakteurInnen aufgestockt werden soll, um der FR auch an der Spree ein bisschen Main-Flair zu verleihen.

Doch so weit ist es noch nicht. Heute ab 10 Uhr sitzen Betriebsrat, Gewerkschaften und Geschäftsführung erst mal wieder zusammen. „Open end“ soll geredet werden, mit einer dreistündigen Pause über Mittag, damit sich die Arbeitnehmervertreter mit der Redaktion rückkoppeln können.

Ein offenes Ende hat auch das Schicksal der FR. Die Zahlen liegen auf dem Tisch und verheißen nichts Gutes: 44 von 125 Redaktionsstellen werden gestrichen, wie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) ausgerechnet hat. Der Verlag spricht lieber von 190 Stellen, die insgesamt für die FR redaktionell zuständig sind. Das sieht nicht ganz so grauslich aus.

Gekündigt werden sollen aber gleich knapp 90 Mitarbeiter, die Hälfte kann sich Hoffnung auf Weiterbeschäftigung machen – in Berlin, im Regionalen oder im Onlinebereich, der in Frankfurt bleiben und künftig auch das Netzangebot für die Berliner Zeitung liefern soll. Alles natürlich schön aufgespalten in jeweils eigene Unterfirmen, mosern die Gewerkschaften. Nachdem die MitarbeiterInnen des früher stets so tariftreuen Hauses jetzt über Jahre auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet haben und Sparrunde um Sparrunde über sich haben ergehen lassen, fordern die FR-Gesellschafter die Zerschlagung.

Für die Gewerkschaften ist das die harte Nuss, doch beim Vorzeigen der Folterwerkzeuge am 30. März in Köln hatte auch dieser Hinweis nicht gefehlt: Wenn die Konzernführung ihren Rettungsplan nicht um- und durchsetzen könne, so zitieren Teilnehmer DuMont-Vorstand Franz Sommerfeld, bleibe als Ausweg nur noch die Insolvenz.

5 Millionen Euro wollen DuMont und die mit 40 Anteilsprozenten an der FR beteiligte SPD-Presseholding DDVG jährlich einsparen. Auf 10 Millionen Euro jährlich beziffert FR-Geschäftsführer Karl-Heinz Kroke ganz offen das strukturelle Defizit des Blattes. Das heißt auch: Noch sind die Gesellschafter bereit, Geld nachzuschießen. Noch.

Viel wichtiger ist aus Sicht der Redaktion aber die Frage nach dem künftigen inhaltlichen Konzept. Die FR hatte im Mai 2007 dem alten, großen Format Lebewohl gesagt und war zum handlichen Tabloid geworden. Das verlangt einen anderen redaktionellen Zugang als die klassische, in die traditionellen „Bücher“ wie Politik, Kultur, Sport & Co. aufgeteilte Berliner Zeitung.

Wie man aber mit den verschiedenen Formaten und unterschiedlichen redaktionellen Ansätzen umgehen will, ist derzeit herzlich unklar. Die Aufgabe obliege der künftig gemeinsamen Chefredaktion von FR und Berliner Zeitung, die sich da nun ihre Gedanken mache, heißt es im Konzern. Die FR-LeserInnen sind seit Anfang April, als die Pläne verkündet worden, auf den Barrikaden: Das Motto, die FR werde auch in Berlin von Frankfurtern gemacht, vermag die wenigsten zu überzeugen. Zumal die neue, gemeinsame Chefetage von den Berlinern dominiert wird und sich die noch amtierende FR-Doppelspitze in Schweigen hüllt. Die Tür in die Redaktion bleibt zu, ein Treffen möchte FR-Chefredakteur Joachim Frank lieber nicht, „da es ja weniger ums Empfangen als ums Senden“ gehe. Das könne sich aber auch wieder ändern. Frank wird künftig Chefkorrespondent für das ganze Haus DuMont, sein Ko Rouven Schellenberg bleibt immerhin als Chef übrig und verantwortet künftig den Onlinebereich. Wie sinnvoll es ist, dass dann zwischen Online- und Printredaktion rund 550 Kilometer liegen, kann man auch ihn nicht fragen. „Die beiden leiden, was für ihre menschlichen Qualitäten spricht“, heißt es in der Redaktion.

Für Achim Wolff, den Geschäftsführer des DJV Hessen, bleibt das Ganze ein „Musterbeispiel an Unübersichtlichkeit“, nicht nur wegen der vielen geplanten Firmentöchter, die es laut geltendem Tarifvertrag eigentlich gar nicht geben dürfte.

Und in der Redaktion? Da sei die Gemütslage höchst unterschiedlich, sagt einer, der betroffen ist. „Bei manchen macht sich die beträchtliche Neigung breit, nach einem anderen Arbeitgeber zu suchen.“ „Die ganze Nummer ist schon deswegen peinlich, weil der Konzern nicht mal im Ansatz ein publizistisches Konzept hat“, meint ein anderer: „Mit identischen Inhalten zwei unterschiedliche Formate zu machen, ist doch Quatsch.“ Die Wetten laufen längst, wann FR und Berliner Zeitung auch größentechnisch eins werden.

Natürlich regt sich in der FR redaktioneller Widerstand – aber nach zig Sparrunden ist der ein zartes Pflänzchen und mit Fatalismus gemischt. „Das bevorzugte Mittel der FR-Redakteure ist der Sarkasmus“, sagt einer ganz trocken-unsarkastisch. DuMont lässt derweil diskret durchblicken, dass der Konzern auf öffentlichen Protest gar keine Lust hat. Doch zu viel Vorfreude auf österliche Grabesruhe wäre kühn: Im Haus haben sich die Aktiven zusammengetan, damit am Ende nicht nur die Mitarbeiter des Rewe-Ladens nebenan die FR-Redaktion vermissen.