Wo ist Ai Weiwei?

SOLIDARITÄT Über 100 deutsche Sinologen, Wirtschafts- und Kulturvertreter fordern im „Berliner Appell“ die Freilassung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei

Der Galerist Alexander Ochs wertet Ai Weiweis Verschleppung und Festnahme als Zeichen einer heftigen internen Debatte in Chinas Kommunistischer Partei

VON SVEN HANSEN

Die internationalen Proteste gegen die Verschleppung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei durch die Behörden in Peking vor drei Wochen gehen weiter. Am Samstag wurde in Berlin der Aufruf „Lasst Ai Weiwei frei!“ veröffentlicht. Darin fordern mehr als einhundert Erstunterzeichner aus dem Kulturbereich, den China-Wissenschaften, der Wirtschaft und der Medien „die sofortige Freilassung Ai Weiweis“.

Der „Berliner Appell“, wie er von den Initiatoren genannt wird, wertet die Festnahme des 53-Jährigen ohne Haftbefehl, ohne Unterrichtung seiner Familie und ohne Zugang zu einem Anwalt sowie seine Denunziation in den gelenkten Medien als Verstoß „nicht nur gegen elementare Menschenrechte, sondern auch gegen chinesisches Recht“. Initiiert wurde die Aufforderung von dem Berliner und Pekinger Galeristen Alexander Ochs, dem Erfurter Sinologen Michael Lackner, dem Berliner China-Managementberater Jochen Noth und dem früheren Manager und Exchef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Sie fordern „die deutsche Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft auf, sich öffentlich und nichtöffentlich für die Freilassung“ einzusetzen.

„Wir sind uns des Risikos bewusst, dass viele Unterzeichner deutscher, europäischer und amerikanischer Universitäten Risiken für ihre Projekte eingehen“, sagte Mitinitiator Alexander Ochs der taz. „Doch der chinesische Staat sollte sich des Risikos bewusst sein, dass er viele langjährige und erprobte Dialogpartner verlieren könnte.“

Ochs wertet Ais Verschleppung als Indikator einer heftigen internen Debatte in Chinas Kommunistischer Partei. „Im Februar wurde eine große Konfuzius-Statue auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking aufgebaut. Letzte Woche wurde sie wieder abgebaut, und jetzt ist sie in einem Hinterhof des neu renovierten Nationalmuseums verschwunden. Das lässt auf große Richtungsdebatten im Hintergrund schließen. Und Ais Verschwinden ist wahrscheinlich ein Teil davon“, so Ochs.

Zu den Erstunterzeichnern des „Berliner Appells“ zählen neben Lackner 13 Sinologie-Professoren. Aus dem Kulturbereich unterzeichneten etwa Katja Blomberg, Leiterin des Haus am Waldsee, Professor Eugen Blume, Leiter Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Professor Klaas Ruitenbeek, Direktor Museum für Asiatische Kunst Berlin, Professor Heinrich Schulze Altcappenberg, Direktor des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus Berlin und Gregor Jansen, Künstlerischer Leiter der Kunsthalle Düsseldorf. Auf der Webseite www.berlinerappell-freeaiweiwei.com können sich weitere Unterzeichner eintragen.

Ai Weiwei wird am 29. April eigentlich zur Eröffnung einer Ausstellung seiner Kunst in der Hauptstadt erwartet. Die Berliner Universität der Künste hat ihn am letzten Mittwoch für eine Gastprofessur ausgewählt.

Die chinesische Staatsanwaltschaft hat inzwischen angedeutet, in Kürze die Vorwürfe gegen Ai wegen angeblicher Steuervergehen bekanntgeben zu wollen. Diese Vorwürfe waren bisher nur in Staatsmedien angedeutet worden. Als der Sprecher des Außenministeriums bei einer Pressekonferenz die Art der Vorwürfe, ohne Details zu nennen, kurz bestätigte, wurden seine Äußerungen später von der amtlichen Webseite und aus dem offiziellen Protokoll gelöscht.

Die Fälle von Ai Weiwei und zahlreichen anderen seit Februar verschwundenen und festgenommenen Bürgerrechtlern dürften auch ein Thema beim Menschenrechtsdialog sein, den die USA und China am Mittwoch in Peking wiederaufnehmen wollen. Laut der Organisation China Human Rights Defenders sind in den letzten Wochen 50 Bürgerrechtler festgenommen worden.

Ai war am 3. April auf Pekings Flughafen verschleppt worden, als er einen Flug nach Hongkong besteigen wollte. Zuvor war im Pekinger Nationalmuseum die aus Deutschland mit 10 Millionen Euro finanzierte Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ in Anwesenheit von Außenminister Guido Westerwelle eröffnet worden.