Letzte Ausgabe von "News of the World": "Unser Motto ist die Wahrheit"

Die "News of the World" war seit der Gründung 1843 ein Blatt der Gosse. Am Sonntag erschien sie zum letzten Mal - mit einer Auflage von immerhin noch 2,6 Millionen.

Bis zum Schluss alles in Großbuchstaben: Die letzte Ausgabe der "News of the World" an einem Londoner Kiosk. Bild: dapd

"Die Leute meinen, es sei ein schwarzer Tag für die Presse", sagte der Schauspieler und Komiker Steve Coogan über das Ende der News of the World. "Es ist ein wunderbarer Tag für die Presse, ein kleiner Sieg für Aufrichtigkeit und Menschlichkeit."

Coogans Privatleben war oft Zielscheibe des Sonntagsblattes. Er glaubt nicht, dass nur ein paar faule Äpfel bei Rupert Murdochs Medienkonzern News International arbeiten, zu dem auch die Sun und die Times gehören. "Die tun so, als ob sie hinter ihre normalen hohen Ansprüche zurückgefallen wären", sagte er. "Dabei waren die längst in der Gosse. Sie sind nur tiefer gesunken."

Die News of the World war seit ihrer ersten Ausgabe am 1. Oktober 1843 ein Gossenblatt, das auf "Sex and Crime" setzte. Das verkaufte sich gut: Waren es anfangs 30.000 Exemplare, so lag die verkaufte Auflage 1920 schon bei 3 Millionen, weil auch Sport hinzugekommen war. Seine beste Zeit hatte das Blatt in den Fünfzigern, als über 8 Millionen Exemplare verkauft wurden. Am Ende waren es noch 2,6 Millionen. Die News of the World war die meistgelesene englischsprachige Zeitung der Welt, sie hatte Sonntag für Sonntag mehr Leser als alle anderen britischen Boulevardblätter zusammen.

"Jeden Sonntagmorgen" schrieb das Times Magazine 1941, "wird einem Drittel der 11 Millionen britischer Haushalte eine saftige Mischung aus Scheidung, Skandalen, Entführung, Mord und Sport serviert." Das lesen die Mägde in der Spülküche so entzückt wie die Ladys der hohen Gesellschaft, so die Zeitschrift: "Ohne die News of the World würde dem britischen Sonntagmorgen etwas so Familiäres wie Kirchenglocken fehlen."

Am Sonntag läuteten die Glocken zum letzten Mal. Murdoch hat das Blatt eingestellt, um Schlimmeres für sein Imperium zu verhindern. "News of the World"-Journalisten und ein angeheuerter Privatdetektiv hatten tausende von Handys angezapft, darunter die Mailbox eines vermissten und später ermordet aufgefundenen Mädchens sowie der Familien getöteter Soldaten und der Opfer der Londoner Terroranschläge von 2005.

Die "Geständnisse von Christine"

Kindesmorde nutzte das Blatt schon früher zur Auflagensteigerung. Bei dem Prozess gegen die "Moormörder" Ian Brady und Myra Hindley, die in den 1960er Jahren fünf Kinder ermordet, ihre Todesschreie auf Band aufgenommen und den Eltern am Telefon vorgespielt hatten, kam heraus, dass der Hauptbelastungszeuge von der News of the World tausend Pfund und einen Frankreichurlaub erhalten hatte.

Das Callgirl Christine Keeler, das Affären mit dem britischen Kriegsminister John Profumo und dem sowjetischen Marineattaché und KGB-Agenten Jewgeni Iwanow unterhielt, worüber 1963 die konservative Regierung von Harold McMillan stürzte, bekam sogar 23.000 Pfund von der Zeitung. Dank der "Geständnisse von Christine" stieg die Auflage um 250.000 Exemplare.

Lediglich nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte es die Zeitung eine Weile mit seriösem Journalismus und gewann den Schriftsteller Somerset Maugham und den Gesundheitsminister und Gründer des nationalen Gesundheitsdienstes, Aneurin Bevan, als Mitarbeiter. Weil die Auflage sank, kehrte man jedoch schnell wieder zu den angestammten Themen zurück.

Ende der sechziger Jahre wollte die Familie Carr, der das Blatt seit 1897 gehörte, die News of the World verkaufen. Der geeignetste Interessent war der Verleger Robert Maxwell, aber weil er Labour-Abgeordneter war, fürchteten die Carrs um die konservative Ausrichtung des Blattes. Da tauchte ein junger Australier auf, der von seinem Vater eine kleine Lokalzeitung geerbt hatte. Die News of the World wurde der Grundstein für Rupert Murdochs Imperium.

1984 stellte er den großformatigen Schmutzkübel auf Boulevardformat um. Der Leitspruch blieb: "Unser Motto ist die Wahrheit, unsere Praxis ist das furchtlose Eintreten für die Wahrheit." Zwei Jahre später stimmten die Journalisten der News of the World dafür, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Fleet Street in die neue Produktionsanlage umzuziehen - und so den Streik ihrer Druckerkollegen zu brechen.

Ein Jahr nach dem Kauf der Zeitung hatte Murdoch die Keeler-Geschichte wieder aufgewärmt. Das brachte ihm eine Presseratsrüge wegen "unethischer Ausbeutung von Sex" ein. Seine Reaktion: "Die Leute können höhnen, so viel sie wollen, ich verkaufe 150.000 zusätzliche Zeitungen." Dieser Leitlinie ist Murdoch treu geblieben. Das Blatt enthüllte die Affären von Minister David Mellor, Fußballer David Beckham und Formel-1-Chef Max Mosley. Letzterem musste Murdoch 60.000 Pfund Schadenersatz zahlen.

Brooks rechnet mit weiteren Enthüllungen

Als Murdoch im Jahr 2000 Rebekah Wade zur Chefredakteurin machte, nahm diese einen Kindesmord zum Anlass, eine Liste von pädophilen Straftätern mitsamt Adressen abzudrucken, was zu zahlreichen Übergriffen führte. Weil man schlampig recherchiert hatte, traf es mitunter die Falschen, etwa einen paediatrician - einen Kinderarzt.

2003 übernahm Andy Coulson die Chefredaktion, trat aber 2007 zurück, nachdem sein Hofberichterstatter Clive Goodman zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Er hatte mit Hilfe eines Privatdetektivs die Handys von Prinz William und Prinz Harry angezapft. Seitdem schwelt der Abhörskandal, obwohl Murdoch gehofft hatte, dass die Sache mit Goodmans Verurteilung erledigt sei.

Jetzt hat sie den Verleger wieder eingeholt, weil der Guardian das ganze Ausmaß des Abhörskandals inklusive Schmiergeldzahlungen an die Polizei aufgedeckt hat. Mit der Schließung der News of the World ist die Sache auch nicht erledigt, denn viele Anzeigenkunden boykottieren nun die anderen Murdoch-Blätter. Die anglikanische Kirche hat am Wochenende damit gedroht, ihre Investitionen von 4 Millionen Pfund aus News International abzuziehen, wenn nicht die gesamte Führungsriege ausgetauscht wird.

Damit ist vor allem die Geschäftsführerin Rebekah Wade gemeint - die inzwischen Brooks heißt -, denn unter ihrer Ägide war das Handy des ermordeten Mädchens angezapft worden. Brooks, die ebenso wie Coulson mit Premierminister David Cameron befreundet ist, deutete gestern an, dass sie mit weiteren schädlichen Enthüllungen zu dem Thema rechne.

Der politische Druck wird auch immer stärker. Am Mittwoch will die Labour Party im Unterhaus Murdochs Übernahme des Fernsehsenders BskyB verhindern oder zumindest verzögern, bis die strafrechtlichen Untersuchungen abgeschlossen sind. Das kann Jahre dauern.

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