Schauspieler Beyer über Studentenfilme: "Ich lasse schwere Ausbeutung zu"

Hermann Beyer ist ein erfolgreicher Schauspieler. Immer wieder wirkt er auch in Studentenfilmen mit. Warum er nicht ungeduldig wird, selbst wenn das Badewasser schon kühl ist.

Hermann Beyer spielt den demenzkranken Klaus in "Vergiss dein Ende". Bild: Basis-Film Verleih Berlin

taz: Herr Beyer, Sie sind immer wieder in Studentenfilmen zu sehen. Ist das Nostalgie, ein Sehnen nach der Jugend?

Hermann Beyer: Das hat damit, glaube ich, nichts zu tun. Als ich vor etwa 20 Jahren mit Studentenfilmen angefangen habe, ein bisschen auch schon vor 1989, haben mich die jungen Leute interessiert - wenn das Buch gut war. Da bin ich auch mal reingefallen, habe aber in all den Jahren auch ein paar Filme gemacht, die ich für ziemlich ordentlich halte. Einer davon hat sogar den First Steps gewonnen, "Über Wasser" von Kirsten Peters, im Jahr 2001 war das.

Auch in "Novemberkind" von Christian Schwochow waren Sie dabei, ebenfalls ein Diplomfilm. Was ist Ihre Motivation dabei? Abschlussfilme sind Low-Budget-Produktionen, die längst nicht immer den Weg ins Kino finden.

Ich muss sagen, dass ich damals nicht gerade verwöhnt war mit Angeboten und Studentenfilme mir als gute Möglichkeit erschienen, mit jungen Regisseuren in Kontakt zu kommen, die später mal große Filme drehen und mich dafür vielleicht wieder besetzen (lacht dreckig).

Wie kann ein junger Regisseur Sie für sich gewinnen?

1943 als jüngerer Bruder des späteren Defa-Regisseurs Frank Beyer im thüringischen Altenburg geboren, arbeitet seit 1966 als Schauspieler. Neben seinen Bühnenengagements, u. a. von 1983 bis 1999 am Berliner Ensemble, war Beyer vor wie nach der Wende in vielen TV- und Kinorollen zu sehen ("Treffen in Travers", "Elementarteilchen", "Anonyma").

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First Steps

2000 von Filmbranche und Wirtschaft gegründet, gilt er mittlerweile als der renommierteste Preis für Abschlussfilme deutschsprachiger Filmhochschulen. Er wird am Dienstag in Berlin vergeben. 2011 wurden 222 Einreichungen akzeptiert, so viele wie nie zuvor, u. a. "Vergiss dein Ende" von Andreas Kannengießer. Am Donnerstag laufen fünf davon in Berlin. Mehr Infos: www.firststeps.de

Bei "Vergiss dein Ende" war nicht viel Überzeugungsarbeit nötig. Ich mochte das Drehbuch und fast noch mehr reizte mich die Gelegenheit, mit meinem Sohn Eugen und Renate Krößner vor der Kamera zu stehen. Mit Renate hatte ich das letzte Mal vor fünf oder sechs Jahren im Funk zu tun. Umso mehr hat es mich gefreut, dass Eugen mich dem Regisseur Andreas Kannengießer für die Rolle des Alten vorgeschlagen hat.

Sie hätten die Rolle also auch bei einem schlechteren Drehbuch angenommen?

Ich vermute schon, so sehr habe ich mich auf die Dreharbeiten gefreut - auch wenn ich vor meiner Rolle ziemlichen Schiss hatte.

Sie spielen in "Vergiss dein Ende" einen dementen Mann, dessen Krankheit auch seine Familie sehr mitnimmt. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Möglichst wenig. Ich wollte in der Darstellung der Krankheit keinesfalls "besser" sein als echte Kranke. Auch wenn ich kein besonders religiöser Mensch bin, hatte ich trotzdem manchmal das Gefühl, dass ich mich versündige, dass die Krankheit mich deswegen auch bald trifft.

Sie haben mit vielen berühmten Regisseuren zusammengearbeitet, darunter Frank Castorf, Oskar Roehler und Ihr verstorbener Bruder Frank Beyer. Begegnen Sie Nachwuchsregisseuren anders als gestandenen Kollegen?

Ich glaube nicht, nein. Ich fürchte mich vor dem ersten Drehtag bei einem Abschlussfilm genauso sehr wie vor einem Film, mit dem ich Geld verdiene. Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass ich Studenten gegenüber ein bisschen langmütiger bin.

Wie meinen Sie das?

Ich lasse auch schwere Ausbeutung zu. Die Studenten haben die Tendenz, vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang zu drehen. Und ich bin gern bereit, das mitzumachen, weil die nie wieder so viel Zeit für eine Szene haben werden wie in ihrer Studentenzeit. Nie wieder. Und weil ich das weiß, werde ich möglichst nicht ungeduldig, wenn es mal wieder länger dauert und das Badewasser schon längst nicht mehr richtig warm ist. Umso schöner ist es, wenn ich bei einem Regisseur eine Entwicklung sehe wie bei Christian Schwochow, mit dem ich in seinem zweiten Studienjahr schon mal zusammengearbeitet hatte. Zwei Jahre später bei "Novemberkind" war er von großer Souveränität, sicher und vorsichtig im Umgang mit den Schauspielern und dem viel größer gewordenen Apparat.

Sie begreifen Ihr Engagement also als Entwicklungshilfe?

Ja, so würde ich das sehen. Ich schenke den Studenten meine Zeit und mein Können.

Und Ihr Vertrauen.

Stimmt, ohne Vertrauen hat eine Zusammenarbeit keinen Sinn. Als klar war, dass ich in "Vergiss dein Ende" nackt durchs Bild laufe und in der Badewanne von meinen Fäkalien gesäubert werde, hat mir der Regisseur Andreas Kannengießer versichert, dass ich nicht beschädigt werde. Darauf musste ich mich verlassen.

Hätten Sie sich trotzdem in Studentenfilmen manchmal einen Regisseur mit mehr Erfahrung gewünscht, der besser weiß, was Sie als Schauspieler brauchen?

Das hat sich mir nicht vorrangig bei Studentenfilmen eingeprägt. Es gibt auch Leute, die x Filme gemacht haben und man sich fragt, wie das geklappt hat. Das sind die Filme, wo man nach dem ersten Drehtag denkt: Das wird ne schwere Zeit, das hättest du lieber bleiben lassen sollen. Dieses Gefühl kennt jeder Schauspieler.

Wie konnten Sie Andreas Kannengießer bei "Vergiss dein Ende" helfen?

Gar nicht. Ich konnte nur sagen: Ich habe kein Problem damit, dass das hier jetzt noch zwei Stunden länger dauert.

Ihr Rat als erfahrener Schauspieler war also gar nicht gefragt?

Nein, damit wäre ihm auch nicht gedient gewesen. Ich kenne mich mit dem ganzen Drumherum nicht aus, kann nur spielen. Das Inszenieren überlasse ich anderen.

Wer profitiert in der Zusammenarbeit mit Filmstudenten von wem?

Wenn es gut läuft, profitiert der Schauspieler davon, dass er neue Leute kennengelernt hat, die den schwierigen Weg eingeschlagen haben, mit Filmen erfolgreich sein zu wollen. Und wovon die Studenten profitieren - da muss man sie selbst fragen. Meistens werde ich nach einem Dreh freundlich verabschiedet - aber was die wirklich über mich denken, weiß ich nicht, werde ich nie erfahren.

Ist es angesichts der Hoffnungen, die Sie mit jungen Regisseuren verbinden, nicht frustrierend, dass viele von denen nie einen zweiten Film machen werden?

Kirsten Peters, die hochbegabte Regisseurin des First-Steps-Preisträgers "Über Wasser", hat sogar noch einen zweiten Film gemacht, bei dem ihr offenbar so massiv reingeredet wurde, dass das Ergebnis relativ langweilig war. Anders kann ich mir das nicht erklären. Das ist schade, ein gewisser Schwund liegt aber - so zynisch das klingen mag - in der Natur dieser Berufe. Bernd Stegemann, der Mann von Renate Krößner, hat mir gesagt, dass aus seinem Studienjahr außer ihm kein einziger mehr Schauspieler ist. Die Gründe sind sehr unterschiedlich: Den einen mangelt es an Talent und Hingabe, andere haben davon genug, aber bringen die notwendige Mischung aus Sensibilität und dickem Fell nicht mit, die man in diesen Berufen braucht.

Wie zufrieden sind Sie mit "Vergiss dein Ende"?

Ich bin zufrieden. Leider sind einige schöne Szenen dem Schnitt zum Opfer gefallen.

Das klingt nach Schulnote 3.

Wenn das für Sie so klingt, wäre das ein falscher Eindruck. Ich mag den Film, frage mich allerdings, wie viele Leute sich freiwillig einen Film zu diesem schweren Thema anschauen.

Aber ist es bei einem Abschlussfilm nicht schon ein Wert an sich, dass er überhaupt gemacht wurde, und gar nicht so wichtig, ob und wie erfolgreich er im Kino läuft?

Ja, das ist der Hauptwert, aber schön wäre es natürlich schon, wenn der Film, in den man so viel Energie gesteckt hat, dann auch noch kommerziell erfolgreich wäre.

Das wäre dann die Zugabe.

Ja, das wäre die Zugabe. Aber die Zugabe ist bei einem Konzert ja meistens der Höhepunkt.

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