Klauen, rauben, plündern

Chaos Lymphdrainagen, DVDs und Aufnäher. Eine holländische Ausstellung zeigt Diebesgut aus Gaddafi-Villen. Libyer protestieren

Aufzeichnungen eines Sohnes, der sich vor einer Genf-Reise notierte, was „Hurensohn“ auf Italienisch und Französisch heißt

VON TOBIAS MÜLLER

Gaddafi ist tot, seine Söhne auch, der Rest der Familie geflohen? Stimmt fast. Denn das letzte Mitglied des Diktatoren-Clans läuft noch immer durch Tripolis. Allerdings muss Dodi, die Katze, in der postrevolutionären Hauptstadt nun ohne ihren Tierausweis mit der Nummer 275.2000 zurechtkommen, denn der liegt zurzeit im niederländischen Breda in einer Vitrine. Zusammen mit weiteren Besitztümern, die der niederländische Journalist Harald Doornbos nach der Eroberung von Tripolis in Rucksack und Kameratasche aus verschiedenen Häusern der Familie mitnahm.

Seit Freitag sind diese unter dem Namen „Dinge aus dem Haus von Gaddafi“ im Kultur- und Unternehmenszentrum „Kickstart“ in Breda zu sehen. Die Ausstellung bietet einen gleichsam intimen wie bizarren Streifzug durch die Privatsphäre der Familie. Knapp 30 gerahmte Fotos aus dem Haus in Sirte zeigen den jungen Diktator in weißer Uniform und mit unschlüssiger Mine auf einem Gartenstuhl, eine Tochter, die ihren Vater auf die Wange küsst, Soldaten beim Billardspiel und die Familie beim Barbecue. Arztrezepte, die Rechnung für Lymphdrainagen einer österreichischen Kurklinik, Englisch-Hausaufgaben einer Tochter, Aufzeichnungen eines Sohnes, der sich vor einer Genf-Reise notierte, was „Hurensohn“ auf Italienisch und Französisch heißt.

Neben einem Porträt des Diktators und einer Afrika-Landkarte sorgen die Gegenstände aus den Kinderzimmern für die kuriosesten Einblicke: das Cover einer „Madagascar“-DVD, ein Poster von Winnie the Pooh oder der jeansjackenkompatible Iron-Maiden-Aufnäher. „Schrott, aber Schrott mit einer Geschichte“, so Harald Doornbos, der als Korrespondent zwischen Beirut und Islamabad pendelt, lakonisch. Eine Stunde verbrachte er im August in der Hauptstadt-Villa der Gaddafis, „zusammen mit Tausenden Menschen, die alles kaputt schlugen, schossen, Brandbomben warfen, das Schwimmbad lag voll mit Ausgaben des Grünen Buchs“.

Harald Doornbos, 44, sieht die Ausstellung vor allem als zeitgeschichtliches Dokument über den Arabischen Frühling. Gerne würde er die Gegenstände nach Libyen zurückgeben, wenn dort zu einem späteren Zeitpunkt etwa ein Nationalmuseum Bedarf daran hätte. Die Diskussion in niederländischen Medien, ob er sich eines „Diebstahls“ schuldig gemacht hätte, begreift er nicht. „Die Sachen sind wertlos, und außerdem wären sie wenig später sowieso verbrannt worden.“ Zustimmung bekommt er von den meisten der Eröffnungsbesucher. Anny Van Hoof, die im Fernsehen von der Ausstellung erfuhr, ist froh, dass Doornbos „diese Gelegenheit bekam. Sonst sehen Menschen wie wir so was doch nie.“ Die Möglichkeit soll indes nicht allein den Bewohnern Bredas vorbehalten bleiben. Im neuen Jahr wird „Dinge aus dem Haus von Gaddafi“ weiterziehen nach Köln und New York – zumindest, wenn die libysche Botschaft nichts dagegen hat. Denn gerade einmal zwei Stunden nach der Eröffnung in Breda bekam Harald Doornbos einen Anruf vom niederländischen Außenministerium.

„Die Libyer wollen die Gegenstände zurück“, so der Journalist, der bereits zuvor angekündigt hatte, diese bei Bedarf gerne einem künftigen libyschen Nationalmuseum zur Verfügung stellen zu wollen. Über den Zeitpunkt wurde zunächst nichts bekannt – ebenso wenig, ob Iron Maiden zu dieser Gelegenheit erstmals in Tripolis auftreten werden.