„Steckt es in die Erde!“

GRÜN Geschmack? Politik? – Stadtgärtnern!

„Vitelotte, Rosa Tannenzapfen und Bamberger Hörnchen schmecken einfach hervorragend“, sagt Matthias Wilkens vom Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum er und seine Mitstreiter mitten in der Stadt unter anderem diese alten Kartoffelsorten anbauen.

Das Urban-Gardening-Projekt hat sich den Erhalt der Gemüsevielfalt auf die Fahnen geschrieben. „Geschätzte 75 Prozent der Nutzpflanzensorten sind ausgestorben. Da geht nicht nur Kulturgut verloren“, sagt Wilkens. Letztlich gehe es auch darum, die Patentierung von Lebewesen und die Monopolisierung des Saatguts durch die großen Hersteller infrage zu stellen.

Gärtnern ist also politisch – wenn man es macht wie die Akteure vom Prinzessinnengarten. Denn hier wird Stadtraum zurückerobert, Gemeinschaft gelebt und Umweltbildung betrieben. „Der haptische Umgang mit Erde und Pflanzen öffnet den Blick für die Notwendigkeit von Alternativen zur herkömmlichen Landwirtschaft“, sagt Marco Clausen, Mitbegründer des Prinzessinnengartens. „Wir können nicht die ganze Kreuzberger Bevölkerung mit frischem Biogemüse versorgen. Dafür gibt es die Landwirtschaft da draußen. Doch die muss sich wandeln, und das können Verbraucher fordern – wenn sie es vorher beim Wühlen in der Erde erfahren haben.“

Gärtnern ist politisch – auch Martin Rasper stellt diese These in seinem Buch „Vom Gärtnern in der Stadt“ auf. Durch die Teilhabe an den natürlichen Prozessen des Säens und Erntens könne jenen ein Teil ihrer Macht genommen werden, die unsere Versorgung mit Nahrung bestimmen: der hoch technisierten und gewissenlosen Lebensmittelindustrie. Rasper es geht es aber auch um das Unwohlsein, das sich einstellt, wenn uns bewusst wird, wie abgeschnitten wir von den Produktionsprozessen der Alltagsdinge sind – vor allem der Lebensmittel. Wer sich jahrtausendealte Kulturtechniken zu eigen mache, könne diese Entfremdung überwinden und mehr als persönliches Glück empfinden, schreibt Rasper.

Urban-Gardening-Projekte wie der Prinzessinnengarten in Berlin, die Neulandinitiative in Köln oder die Keimzelle in Hamburg zeigen, dass es geht. Hier befolgt man den dringlichen Appell aus Raspers Buch bereits: „Nehmt, was ihr habt, Leute, ob Kartoffeln oder Tomatensamen, und steckt es in die Erde!“Christiane Martin

Christiane Martin, 45, Journalistin aus Köln, taz-Genossin seit 2010