Das Gesetz des Grauens

SCHWEINEREIEN Mit ihrer Novelle des Tierschutzgesetzes sieht sich die Bundesregierung als Vorreiter. Doch wirklich verbessert hat sich (zu) wenig. Fünf Beispiele

■ Betroffen: Pferde

■ Prominent: Black Beauty

■ Das ändert sich: Das Kennzeichnen mittels Schenkelbrand ist künftig verboten – es gibt schließlich elektronische Mikrochips.

■ Das bleibt erlaubt: Pferde in bayerischen Ställen so anbinden, dass sie sich nicht hinlegen, geschweige denn bewegen können. Turnierpferde ruhigstellen und im Wettkampf zu unnatürlichen Halsverrenkungen zwingen. Schlachtpferde in engen Transportern nach Lust und Laune durch die Lande fahren. „Es ist unglaublich, dass es noch immer keine Zeitbegrenzung für Schlachttiertransporte gibt“, sagt Marius Tünte vom Tierschutzbund. Die Tiere sollten höchstens acht Stunden am Stück in den engen Lastern transportiert werden. Da die meisten Pferde aus Deutschland oder aus Osteuropa in südeuropäische Länder wie Italien gebracht werden, dauern die Fahrten in der Regel wesentlich länger. „Genauso wie beim Doping im Pferdesport führen Lücken im Gesetz zu vielen rechtlichen Grauzonen“, kritisiert Tünte. Darüber hinaus macht den Herdentieren die Haltung in Einzelboxen zu schaffen.

■ Kommentar des Tiers: Ich rühr mich hier nicht vom Fleck – wie auch?

VON SVENJA BERGT
UND KAREN GRASS

■ Betroffen: Schweine

■ Prominent: Mortadella

■ Das ändert sich: Ferkel dürfen nicht mehr bei Bewusstsein kastriert werden – aber erst ab 2017.

■ Das bleibt erlaubt: „Die Tiere werden ohne Tageslicht gehalten, ihnen werden die Zähne abgeschliffen, weil die enge Haltung und fehlende Abwechslung zu Kannibalismus führt“, sagt Martina Stephany von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Je nach Gewicht des Tiers liege der zugestandene Platz bei einem halben bis einem Quadratmeter. Sauen würden in so engen Kästen gehalten, dass sie sich nicht einmal um sich selbst drehen könnten. Auch das Beschneiden der Schwänze bleibt weiterhin erlaubt und üblich, obwohl es zu den sogenannten nichtkurativen Maßnahmen gehört. Die sind laut dem deutschen Tierschutzgesetz eigentlich verboten – doch es gibt etliche Ausnahmeregelungen. „Die rechtlichen Hintertüren müssen konsequent abgeschafft und durch umfassende Verbote ersetzt werden“, sagt Marius Tünte, Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes. Er hätte sich von der Gesetzesnovelle außerdem ein Verbot von Antibiotika zur reinen Prophylaxe erhofft. Neben Hühnern sind vor allem Schweine vom exzessivem Einsatz von Antibiotika betroffen.

■ Kommentar des Tiers: Mehr Licht!

„Wesentliche Verbesserungen“, „internationale Führungsrolle“, „hohe Priorität“ – die Bundesregierung feiert die gestern beschlossene Novelle des Tierschutzgesetzes als so großen Erfolg, dass man sich fragt, warum sie eine so wichtige Aufgabe nicht früher angegangen ist.

■ Betroffen: Unter anderem Katzen, Hunde, Hühner

■ Prominent: Mops Sir Henry

■ Das ändert sich: Mit Qualzucht gezüchtete Tiere dürfen nicht ausgestellt werden oder an Wettkämpfen teilnehmen.

■ Das bleibt erlaubt: Qualgezüchtete Tiere ausstellen. Denn: Im Gegensatz zu Ländern wie Österreich gibt es kein einziges Kriterium dafür, was Qualzucht ist. Bisweilen nehmen Schauzüchter für ein bestimmtes optisches Merkmal ungehindert Gendefekte in Kauf, etwa bei Zierkatzen: Perserkatzen, die unter bestimmten Bedingungen auf rein weißes Fell gezüchtet werden, leiden häufig unter Hörschäden – eine Nebenwirkung, die Laien kaum bedenken. „Wir werden auf Schauen auch weiterhin Geschmacksverirrungen sehen, etwa Möpse, die wegen ihrer kurzen Nase kaum atmen können, oder haarlose Hunde, die immer frieren“, kritisiert Tierschützer Marius Tünte. Die Verbände fordern, Genmanipulation bei Heimtieren komplett zu verbieten. Genauso erlaubt bleibt übrigens, Schlangen, Reptilien und Spinnen im Wohnzimmer zu halten. „Exoten im normalen Haushalt sind zum Eingehen verdammt und müssen gesetzlich verboten werden“, sagt Tünte. Kollegin Martina Stephany kritisiert, dass die neuen Regelungen nicht für Nutztiere gelten sollen. „Dabei sind fast alle Nutztierrassen in Deutschland das Ergebnis von Qualzucht.“ Etwa Puten mit hochgezüchteter Brust, die ohne Halt vornüber kippen würden. Auch nicht vom Qualzuchtverbot erfasst: die Tötung männlicher Küken von Legehennen.

■ Kommentar des Tiers: Ist euch auch so kalt wie mir?

Dabei sind die Neuerungen der knapp 70 Seiten starken Novelle alles andere als bahnbrechend: hier eine Selbstverständlichkeit geregelt, dort eine fünfjährige Übergangsfrist eingeräumt und an anderer Stelle hinter dem Willen der EU zurückgeblieben. Die hatte mit ihren Vorgaben erst eine Überarbeitung erforderlich gemacht. Im Herbst soll die Novelle in Kraft treten – wenn Bundestag und Bundesrat den derzeitigen Entwurf so absegnen. Doch zumindest im Bundesrat könnte er auf Kritik stoßen. Der hatte in der Vergangenheit beispielsweise ein Verbot von Wildtieren in Zirkussen gefordert – doch das zuständige Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von Ilse Aigner (CSU) konnte sich bislang nicht dazu durchringen.

■ Betroffen: Unter anderem Ratten und Affen

■ Prominent: Unser Charly

■ Das ändert sich: Versuche an Menschenaffen sollen in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein. Außerdem werden mehr Versuche genehmigungspflichtig sein statt nur anzeigepflichtig.

■ Das bleibt erlaubt: „Es gibt eigentlich keine Abartigkeit, die bei Tierversuchen nicht gemacht wird“, sagt Martina Stephany von Vier Pfoten. Zeitweise fehlende Versorgung mit Wasser und Nahrung, um die Tiere zur Kooperation zu bewegen, implantierte Tumore, Versuche an schwangeren Affenweibchen, bis hin zur Tötung der Tiere seien Alltag. Abgesehen davon hätte die EU eigentlich ein vollständiges Verbot von Versuchen an Menschenaffen gewollt – in Deutschland ist das Verbot selbst laut dem Landwirtschaftsministerium nur „fast vollständig“. Weiterhin erlaubt bleiben auch Botox-Versuche an Mäusen. Pro Produktionseinheit des Nervengifts, das zur Hälfte für kosmetische Zwecke eingesetzt wird, müssen laut Deutschem Tierschutzbund 100 Mäuse sterben. Ein Ziel, die Zahl der Versuche zu reduzieren, fehlt.

■ Kommentar des Tiers: muss wegen Todesfall leider ausfallen

Tierschützer kritisieren neben dem Fehlen wirklich tief greifender Änderungen noch etwas anderes: Die Bundesregierung hat darauf verzichtet, ein Verbandsklagerecht einzuführen. Anders als beispielsweise im Naturschutz – wo Verbände etwa gegen den Bau einer Autobahn klagen können – haben die Tierschutzverbände keine Möglichkeit, gegen aus ihrer Sicht bestehende Missstände oder umstrittene Pläne vorzugehen.

■ Betroffen: Unter anderem Elefanten, Affen, Großbären, Giraffen, Nashörner, Flusspferde

■ Prominent: Benjamin Blümchen

■ Das ändert sich: Erst mal nichts. Die Länder wollen zwar die Nutzung der oben genannten Tiere in Zirkussen verbieten, das Gesetz sieht deshalb eine „Ermächtigung“ für entsprechende Verordnungen vor. Dort heißt es: „Es zeichnet sich ab, dass für einige der genannten Tierarten ein Verbot oder eine Beschränkung des Zurschaustellens an wechselnden Orten aus Gründen des Tierschutzes erforderlich sein könnte.“

■ Das bleibt erlaubt: „Die Tiere sind bis zu 20 Stunden in ihren Transportboxen eingesperrt“, sagt Martina Stephany von Vier Pfoten. Soziale Kontakte seien kaum möglich. Und mangelnde und nicht artgerechte Bewegung führe zu Gelenkschäden. In diesem Jahr seien drei Zirkuselefanten in Deutschland frühzeitig gestorben, sagt Marius Tünte vom Tierschutzbund. Dazu kommt, dass Tierarten wie Wildkatzen oder Schlangen wohl nicht unter eine solche Verordnung fallen würden.

■ Kommentar des Tiers: Wie bitte? „Es zeichnet sich ab, dass erforderlich sein könnte“? Soll das ein Witz sein?

„Seit zehn Jahren steht Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung. Ein großes Ziel, dem die Novelle nicht annähernd gerecht wird“, sagt Martina Stephany von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten.