Wulstig, rosa, körperwarm

NACHRUF Der Wiener Bildhauer Franz West ist gestorben – er ging mit dem Betrachter seiner Skulpturen ungewöhnliche Dialoge ein

Das Ding ist sehr groß, rosa, wulstig, und es sagt: „Pop.“ Es liegt einfach so rum und füllt eine Ausstellungshalle der Art Basel im Juni 2012 bis zur Decke. Kinder nutzen die Ritzen zum Verstecken und Durchkriechen. „Gekröse“ nennt der Bildhauer Franz West diese Skulptur, seine bisher monumentalste Fassung dieses Ereignisses im Raum. Und tatsächlich denkt man angesichts der organischen Wölbungen und Krümmungen auch an das Innere des Körpers und seine intimen Öffnungen. Und weil das unübersehbar Große so gar nicht zu den versteckten Funktionen des Körpers passt, ist das Ganze auch von einem verblüffenden Witz.

„Getrocknete Fragmente eines österreichischen Barocks der Seele und des Geistes“ hat der Ausstellungsmacher Harald Szeemann einmal solche übergroßen Auswürfe genannt, von denen Franz West viele in die Welt gesetzt hat. Der Bildhauer umschrieb sie: „Wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus.“ Die Wiener Aktionisten, eine Generation älter als West, gaben seinem Werk inhaltlich die Sensibilität für den Körper bei, die er jedoch formal mit ganz eigenen Mitteln bearbeitete.

Am Donnerstag starb der Wiener Bildhauer mit 65 Jahren an den Folgen einer Gelbsucht. Er ist in der Welt nicht nur ob des Humors seiner Skulpturen bekannt geworden, sondern auch, weil sie oft theoretische Fragen der Kunst auf eine praktische und unerwartet unterhaltsame Weise beantworten.

Die dramatischen Großformen zum Beispiel verhandelten auch das Verhältnis Volumen und Raum, das jeden Bildhauer beschäftigt, und gaben dem Betrachter durch ihre Raumverdrängung auch schon eine Weise ihres Angeschautwerdens vor. „Passstücke“ nannte Franz West eine Reihe von dürren Gebilden mit klumpigen Verdickungen, die Ausstellungsbesucher zum Flanieren durch Museen- und Galerieräume mitnehmen konnten. Sie veränderten den eigenen Gang, man kam ins Humpeln oder Kreiseln, wurde des eigenen Körpers bewusst – und damit stellte sich die Spannung zwischen Betrachter und Werk neu her. Andere Werkgruppen verhandelten das Problem Figur/Sockel: Betonschwer aussehende Brocken balancierten auf dünnen Stangen.

So gab es oft einen Moment des Staunens, mit dem West sich die Aufmerksamkeit sicherte. Am unpathetischen Umgang mit den Behauptungen von Größe in der Kunst und oft auch am Rosa – er überschüttete 2001 einen Maserati mit rosa Lack – war er zu erkennen. Ansonsten war seine Handschrift offen, Performances und als Möbel benutzbare Werke gehörten dazu.

2011 erhielt er auf der Biennale von Venedig einen Ehrenlöwen für sein Lebenswerk. West hat mehrfach an der Documenta teilgenommen; einer großen Einzelausstellung im MoMA New York 1997 folgte weitere in Hamburg, London, Bregenz, Basel, Graz. Anfang dieses Jahrhunderts gehörte West zu den am teuersten gehandelten Bildhauern, vertreten von der Gagosian Gallery. Das Wiener Museum Moderner Kunst arbeitet gerade an einer Retrospektive. Die Stadt Wien will Franz West mit einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof würdigen.

KATRIN BETTINA MÜLLER