Erotisch und aggressiv

TANZTHEATER Beim Berliner Festival Tanz im August kreisen zwei berührende Stücke um Homosexualität, Begehren und die Angst vor dem Tod

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es gibt keine Zärtlichkeit, die nicht zugleich etwas Bedrohliches hat in „Them“, einem Tanzstück aus New York. Etwas unendlich Trauriges liegt über diesen Solos, Paaren und Trios von sieben jungen Männern und ihrer Sehnsucht nach Berührung und Nähe. Nicht nur weil ihre Kontakte so oft Bilder von Dominanz und Unterwerfung streifen, das Knien vor dem anderen, das Hingeworfenwerden auf die Matratze, sondern auch weil diese Begegnungen keinen Raum zu haben scheinen, sich zur Beziehung zu entfalten. Kaum haben sie sich, schon bringt der eine den anderen mit den Füßen oder den Knien zu Fall, drängt der eine den anderen an den Wand.

Weil nichts als schneller Sex das Ziel ist? Nein, so sieht es nicht aus in „Them“. Eher als ob, aller zur Schau gestellten Lässigkeit zum Trotz, ein ungeheurer Druck auf ihnen laste, der die Gefühle ständig implodieren lässt.

„Them“ entstand 1985, vor beinahe 30 Jahren, in New York. Dass viele der erotischen Gesten, die das Stück auch so anziehend machen, zugleich mit Aggressivität aufgeladen sind, sorgte damals für einen Skandal. Das Stück hat drei Autoren: den Choreografen Ishmael Houston-Jones, den Schriftsteller Dennis Cooper und den Gitarristen Chris Cochrane, dessen Beziehung zu seinem Instrument auch heute noch von höchst körperlicher Leidenschaft zeugt. 2010 nahmen die drei, die selbst mit auf der Bühne stehen, das Stück mit jungen Tänzern wieder auf – und so war es jetzt als Teil des Festivals Tanz im August in Berlin zu sehen. Am nächsten Tag gefolgt von Antony Rizzis Solo „Drugs kept me alive“, das dieses Jahr entstanden ist.

In beiden Stücken geht es um Homosexualität, die Bedrohung durch Krankheit und Ausgrenzung, die Angst vor dem Tod. Dennis Cooper, der die erregten Tanzszenen und den eruptiven Krach von Cochrane in „Them“ mit ruhiger Stimme unterbricht, liest einen melancholischen Text. Er ist rückwärtsgewandt und erzählt über vergangene Liebschaften, nicht zustande gekommene Wünsche, über Gestorbene und Selbstmörder. Am Ende liebkost ein Tänzer verzweifelt einen Tierkadaver, während die anderen ihre Achseln und Leisten betasten. Die Furcht vor Aids prägte die aufgeregte Diskussion über das Stück damals.

Vieles, was in „Them“ latent bleibt, formuliert in den äußerst ambivalenten Bewegungen, wie die Lust an der Überschreitung und an Schmerz, ist in Antony Rizzis Solo offensiv nach außen gerutscht, in einen Text, den Jan Fabre für Rizzi schrieb. „Drugs kept me alive“ ist eine Autobiografie und ein Manifest, ein Bekenntnis und eine Reflexion. Pillengläser rahmen die Bühne, serienweise schüttet Rizzi sie sich in den Hals. Er trägt weiße Schuhe und Handschuhe, eine hohe weiße Mütze, eine dicke, dunkle Brille und tanzt zwischen den Textpassagen und auch währenddessen, stets den erzählten Episoden zum Trotz. Vom Krieg in seinem Körper, den Krankheit und Medikamente, Ängste und Aufputschmittel miteinander führen. Von Euphorie und Zusammenbruch redet er, jeden einzelnen Zustand, jede neue chemische Substanz wie einen neuen Freund beschreibend, mit dem eine Auseinandersetzung unumgänglich ist. Antony Rizzis Bewegungen sind virtuos, aber auch atemlos, narzisstisch und selbstironisch, romantisch und sexy. Sie sind das Dennoch, das, weshalb er alles andere sich zumutet oder erträgt. Am Ende wird ihm die Erfahrung der Sterblichkeit selbst, die er zuvor so dramatisch ausgemalt hat, zur Droge, die ihn am Leben erhält. Das ist eine leidenschaftliche, fantastische und doch von Rizzi glaubhaft verkörperte Wendung.

Mit Seifenblasen spielt er dabei, großen, in die er fast selbst hineinpasst, und kleinen, die in den großen wohnen. Sich selbst in einer Blase zu wähnen, in der der Sauerstoff knapp wird, ist eines der vielen sprachlichen Bilder, die sich damit überschneiden. Es ist dennoch eine andere Blase als die, die den Protagonisten in „Them“ die Luft abschnürt. Sie ist wandelbarer, durchlässiger, utopischer. Indem sie im Laufe des Abends hundertfach vor unseren Augen zerplatzt, ist sie jedoch auch ein steter Hinweis auf das Ende.