„Baby mit dunkler Hautfarbe“

ZENSUR Familienministerin Kristina Schröder liest ihrer Tochter die Jim-Knopf-Bücher nur entschärft vor, ohne „Neger“ und derlei Wörter – und unterschätzt damit ihr Kind

VON ANNA KLÖPPER

Lotte wird sicher mal ein kluges Kind. Ob die anderthalb Jahre alte Tochter von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder später mal Bücher mag, wenn sie aus dem Vorlesealter raus ist, wird sich noch zeigen. Frau Schröder hat nämlich etwas bemerkt: Was den Kindern da in Grimms Märchen (sexistisch), „Pippi Langstrumpf“ oder „Jim Knopf“ (rassistisch, alle beide!) an Stereotypen und diskriminierenden Klischees um die Ohren gehauen wird, ist nicht ohne.

Also, erklärte sie der Wochenzeitung Die Zeit, werde im Hause Schröder konsequent zensiert, entschärft, erklärt. Frau Schröder ist da hellwach: Beim „Negerbaby Jim“ in „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ übersetzte sie, praktisch „synchron“: „Baby mit dunkler Hautfarbe.“ Für den „Negerkönig“ aus „Pippi Langstrumpf in Taka-Tuka-Land“ schwebt Frau Schröder – wie es übrigens auch schon der Oetinger Verlag seit 2009 in den Langstrumpf-Neuauflagen handhabt – der „Südseekönig“ vor. Und wenn Lotte ein bisschen älter sei, könne man ja auch noch mal ausführlicher über alles reden. Da wünscht man Lotte doch schon mal im Voraus viel Spaß mit „Jim Knopf“.

Dabei hat Frau Schröder natürlich zunächst mal Recht. Wenn man Grimms Märchen liest, muss man noch nicht mal Feministin sein – man kann, im Gegenteil, sogar Frau Schröder sein –, um das dort postulierte Frauenbild ziemlich reaktionär zu finden. Da wären etwa Rotkäppchen und die Oma. Beide ein bisschen blöd oder – mild ausgedrückt – begriffsstutzig, bis sie schließlich der Wolf frisst. Aber zum Glück gibt’s da den Jägersmann, der sie rettet. Und Aschenputtel, Schneewittchen und ihre Kolleginnen warten bloß darauf, an irgendeinen Prinzen verheiratet zu werden, den wiederum lediglich interessiert, wer die Schönste im Land ist.

Das kann man nun doof finden und sexistisch sowieso. Man kann sich wie Frau Schröder die Mühe machen und vorlesen, dass – ja, was eigentlich? Dass Schneewittchen bestimmt noch erstmal eine Weile überlegt hat, bevor sie sich an irgendeinen dahergelaufenen Königssohn verheiratet, kaum dass sie fertig ist mit Apfelauskotzen?

Dabei ist die Realität ja leider oft verdammt nah am Märchen. Wäre Silvio Berlusconi bloß ein alter, 1,65 Meter kleiner Römer, hätte sich seine 27 Jahre alte Verlobte woanders hochgeschlafen. Und dass das Playmate Anna Nicole Smith sich anno 1994 tatsächlich in die inneren Werte des damals 89 Jahre alten Milliardärs Howard Hughes verliebt haben könnte statt in sein Konto – das wäre in der Tat märchenhaft.

Und das „Negerbaby“? Vor Frau Schröder hatte im Herbst 2011 auch schon der Kika, der gemeinsame Kinderkanal von ARD und ZDF, Jim Knopf auf den Index gesetzt und die „Augsburger Puppenkiste“ aus dem Programm gestrichen. Es hagelte Proteste, sogar der bayerische Kultusminister intervenierte pro Puppenkiste.

Zu Recht. Denn Zensur, auch gutgemeinte, ist immer reaktionär – und gipfelt mancherorts bis heute in Verbrennungen missliebiger Kulturgüter.

Kristina Schröder übersetzt bloß synchron. Aber trotzdem darf man ruhig mal aufhören, die Kinder ständig zu unterschätzen. Tumbe Prinzessinnen und Comics aus der Kolonialzeit („Tim und Struppi im Kongo“) allein machen Kinder kaum zu kleinen Rassisten. Bücher sind ein Teil, aus dem sich Kinder ihre Welt zusammenbasteln. Dass die Lebenswirklichkeit komplexer ist als, noch so ein Fall, die von Tom Sawyer (in den neueren Ausgaben wird „Neger“ durch „Sklave“ ersetzt), das kriegen auch Dreijährige schon zwischen Kita, Spielplatz, „Sesamstraße“ und „Sandmann“ schon mit. Da könnte Frau Schröder sich bei Pippi Langstrumpf ruhig mal ein bisschen entspannen, statt sich und Lotte einen Knoten ins Hirn zu lesen.