Der Papst ist unfehlbar? Praktisch nie

PAPA ANTE PORTAS Gegen die katholische Kirche gibt es jede Menge Vorurteile. An welchen ist was dran? Ein taz-Check anlässlich der Wahl des neuen Pontifex

VON STEFFI DOBMEIER
UND BERNHARD PÖTTER

1. Es gibt die eine katholische Kirche

„Katholisch“ heißt allumfassend, das sind also alle Christen. Wenn es jedoch die römisch-katholische Kirche meint, ist es mit der Einheit aller Katholiken schnell vorbei. Auch wenn der Vatikan diese Einheit beschwört, gehen viele Theologen inzwischen von mehreren De-facto-Kirchenspaltungen aus: Demnach leben viele verschiedene Gemeinschaften unter dem Dach der katholischen Kirche, die wenig miteinander zu tun haben und nichtkatholischen Gläubigen oft näher sind als den Angehörigen der eigenen Konfession: Ein Basiskatholik aus Guatemala hat mit einem französischen Piusbruder oft gerade noch das Vaterunser gemein. Außerdem sprechen Wissenschaftler vom „hierarchischen Schisma“, der Kirchentrennung in vatikanische „Amtskirche“ und Kirchenbasis. Nach katholischem Verständnis ist „die Kirche“ auch nicht nur das Gebäude oder der Vatikan, sondern das gesamte „Volk Gottes“ – also die Gemeinschaft von 1,2 Milliarden Gläubigen.

2. Die Kirche ist frauenfeindlich

Stimmt. Die katholische Kirche schließt Frauen systematisch von ihren Leitungspositionen aus. Priester, Bischof oder Kardinal dürfen nur Männer werden. Feministische Theologie wird unterdrückt, mächtige Frauen wurden lange als Konkurrenz (Hexen) verfolgt, Frauen wurden als Verführerinnen definiert und als Mutter oder Jungfrau idealisiert. Die Mutter Gottes, Maria, war gleich beides. Dabei ist die Situation schizophren: Ohne die Frauen wären die hohen Herren schon lange am Ende: Frauen bilden das soziale Fundament der Gemeinden, gestalten Gottesdienste, forschen in der Theologie, erziehen die Kinder im Glauben und backen den Kuchen fürs Gemeindefrühstück.

3. Die Kirche ist reich

Offiziell verfügt der Vatikan über ein Budget von 300 Millionen Euro im Jahr – so viel wie ein mittelständisches Unternehmen. Insgesamt schätzen Experten den Umsatz der katholischen Kirche weltweit auf das Tausendfache: 300 Milliarden Dollar – irgendwo zwischen Toyota und BP. Verlässliche Zahlen sind kaum zu bekommen. Für Deutschland hat der Politologe und Kirchenkritiker Christian Frerk das Vermögen der katholischen Kirche auf 270 Milliarden Euro geschätzt. Die weist das zurück: Gemeinden und Bistümer seien wirtschaftlich selbstständig. Und: Wie taxiert man den Wert des Kölner Doms? An Kirchensteuern nehmen evangelische und katholische Kirche jährlich 4 bis 5 Milliarden Euro ein. Der Austritt von Gläubigen und Arbeitslosigkeit schmälern das Einkommen der Kirche – vielerorts muss sie sparen. Soziale Einrichtungen wie Kitas oder Krankenhäuser werden zum großen Teil vom Staat finanziert. Das deutsche System der Kirchensteuer ist allerdings die große Ausnahme. Anderswo leben die Kirchen von den Spenden ihrer Mitglieder.

4. Die Kirche ist dogmatisch und weltfremd

„Entweltlichung“ war für Papst Benedikt XVI. Aufgabe der Kirche. Denn die Kirche will sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen. Andererseits hat sie im Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen, sich der Welt zu öffnen und viel für dieses „Aggiornamento“ getan. Doch in ihrer Verwaltung gilt seit 150 Jahren eine strenge Hierarchie in theologischen und personellen Fragen. Bischöfe werden kontrolliert, Theologen, wenn sie ausscheren, gedeckelt. Die Kirche begründet die Härte gegen Abweichler oft damit, dass sie ihre Lehre unverfälscht über die Jahrhunderte retten muss.

An Universitäten und vor allem in den Gemeinden vor Ort, die sich mit den Alltagsproblemen befassen, sind TheologInnen, Ordensmänner und -frauen und „Laien“, also Nichtpriester, deutlich flexibler. Oft gilt das Motto „Rom ist weit“, wenn Verstöße gegen die Regeln nicht an die große Glocke gehängt werden.

5. Der Papst ist unfehlbar

Erst beim 1. Vatikanischen Konzil 1869/70 legte die Kirche fest, dass der Papst bei zentralen Aussagen über den Glauben so sehr vom Geist Gottes erfüllt sei, dass er dann „ex cathedra“ unfehlbare Wahrheiten verkünde. Das tut er aber nur, wenn er sicher ist, damit auch die Meinung der Gläubigen auszudrücken. Davon haben die Päpste nur sehr selten, bisher nur zweimal, Gebrauch gemacht. Im Alltagsgeschäft ist der Papst sehr wohl fehlbar und hat das auch immer wieder unter Beweis gestellt, wie manche Details der Verhandlungen mit den Piusbrüdern oder die Vatileaks-Affäre zeigen.

6. Die Kirche bekennt sich nicht zu ihren Fehlern

Das stimmt so nicht. Gerade die letzten beiden Päpste haben „Sünden durch Mitglieder der Kirche und im Namen der Kirche“ offen eingestanden und um Verzeihung gebeten: für den Missbrauch von Kindern, für die Mitschuld an der Verfolgung der Juden, für die unheilvolle Rolle der Kirche bei Kolonialismus und Sklaverei. Allerdings ist sie sehr vorsichtig, Fehler zuzugeben, die ihnen heute noch schaden könnten. Etwa die Hilfe für Nazimörder nach dem Krieg. Und nach irdischen Maßstäben kommt die Einsicht oft spät: 360 Jahre nach seiner Verurteilung erkannte Rom etwa an, man habe Galileo Galilei Unrecht getan, als man ihn für sein Beharren darauf, dass sich die Erde um die Sonne dreht, verurteilte.

7. Die Kirche ist undemokratisch

Stimmt. Sagt zumindest die offizielle Kirche immer wieder: „Über den Glauben und die Wahrheit lässt sich nicht abstimmen.“ Anders als bei vielen evangelischen Christen gibt es in der römischen Struktur keine regelmäßigen Synoden, die als Parlamente der Gläubigen entscheiden – allenfalls gewählte Gemeinderäte, die die Pfarrer beraten. Allerdings werden in Deutschland die Bischöfe in ihren Bistümern gewählt – auf Vorschlag aus Rom. Und seit 50 Jahren nehmen sich mehr und mehr Katholiken in „Basisgemeinden“ das Recht, sich von der theologischen und personellen Bevormundung zu befreien. Dort, in Jugendverbänden und Ordensgemeinschaften, werden sehr wohl Leitungsgremien demokratisch gewählt und abberufen.

8. Die Kirche ist lustfeindlich

Sex sieht die Kirche nach offizieller Doktrin nur als gerechtfertigt in der Hetero-Ehe und mit dem Ziel, Kinder zu zeugen. Die Wirklichkeit in den Schlafzimmern von Katholiken sieht natürlich anders aus. Homosexualität ist für die Kirche keine Sünde, homosexueller Sex dagegen schon. Die verordnete Ehelosigkeit der Priester ist dagegen kein Bestandteil des christlichen Glaubens. Sie geht auch darauf zurück, dass die Kirche im Mittelalter die Erbstreitigkeiten in den eigenen Reihen satthatte. Und auch die angeblich jungfräuliche Empfängnis, für die Maria, die Mutter Jesu, berühmt ist, ist für viele Theologen heute für den Glauben nicht zentral, sondern dient, ähnlich wie in anderen Kulturen, dazu, die Einmaligkeit eines Herrschers zu betonen.

9. Kirche und Religion sind von gestern

Das ist eine Glaubensfrage – und weder statistisch noch wissenschaftlich belegt. In Deutschland rechnen sich immerhin noch zwei Drittel der Bevölkerung einer christlichen Kirche zu. In der katholischen Kirche sind es 24,6 Millionen, in der evangelischen Kirche 23,9 Millionen. Dazu kommen etwa 4,1 Millionen Muslime, rund 103.000 Juden oder andere, nichtmonotheistische Religionsgemeinschaften. Nichtgläubige machen mit etwa 300 Millionen etwa 37 Prozent der Bevölkerung aus. Was die Katholiken angeht, so ist ihre Nähe zur Kirche ganz unterschiedlich. Etwa die Hälfte bezeichnet sich laut einer Umfrage als distanziert, unsicher und nicht religiös, nur 17 Prozent sehen sich selbst als gläubig und kirchennah. Unter den taz-AbonnentInnen sagen 29 Prozent, dass sie religiös oder kirchlich engagiert sind.

10. Ihre Strukturen fördern sexuellen Missbrauch

Diese Vermutung liegt nahe. Zwar wurden und werden auch in Familien, Sportvereinen und Reformschulen Kinder sexuell missbraucht, aber die Zahl der Missbräuche in katholischen Einrichtungen in Deutschland, Irland oder den USA ist besonders erschreckend. Eine rigide Sexualmoral, die verordnete Familienlosigkeit der Priester, die Autorität eines Pfarrers und ein autoritäres Erziehungssystem können Missbrauch befördern und verschleiern, vermuten Wissenschaftler und Betroffene. Der Pädophilie-Experte Michael Osterheider bestätigt das. Leute mit anderen sexuellen Interessen würden von Institution angezogen, die das Leben in einer Partnerschaft nicht verlangten, sagt er. Zudem biete die Kirche ein soziales Umfeld, in dem Täter verfügbare Opfer fänden. Was dieses System ausmacht und wie es funktioniert, muss nach wie vor noch aufgeklärt werden.

Wissenschaftliche Beratung: Michael Bongardt, Institut für vergleichende Ethik, FU Berlin