„Es ist eine Lüge, keine Zeit zu haben“

TEMPO Karlheinz Geißler erforscht die Pausen und das Warten. Er sagt, wir können die Zeit nicht schätzen, die uns geschenkt wird. Ein Gespräch über Rituale, Verzicht und das Schicksal der Uhr

■ Leben: Karlheinz Geißler, 68, ist Zeitforscher und lebt mit seiner Frau in München. Sie haben zwei erwachsene Söhne, die sich nicht immer gleich auf einen Termin festlegen lassen. Wenn ihn das stört, sagen sie manchmal: Lies doch mal deine Bücher!

■ Arbeit: Geißler hat Philosophie, Ökonomie und Pädagogik studiert und an den Universitäten in Karlsruhe, Augsburg und München unterrichtet und geforscht. Er hat die Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik mitgegründet und leitet das Institut für Zeitberatung „times and more“. Momentan schreibt er vor allem Bücher oder hält Vorträge über die Zeit.

■ Literatur: Karlheinz Geißler hat die Bücher „Lob der Pause“, „Vom Tempo der Welt – und wie man es überlebt“, „Anfangssituationen“ und „Schlußsituationen“ geschrieben. Sein aktuelles Buch, „Enthetzt Euch! Weniger Tempo – mehr Zeit“, ist 2012 beim Hirzel Verlag erschienen.

GESPRÄCH ANNABELLE SEUBERT

Der Mann, der die Zeit erforscht, sitzt bei den Quittenbäumen. München, ein Haus im Grünen, zu dem ein schmaler Weg führt. Karlheinz Geißler, früher lehrender Wirtschaftspädagoge, heute vor allem Schriftsteller – er lebt hier mit seiner Frau –, schenkt Apfelsaft auf der Terrasse ein. Dass es zu regnen beginnt, stört ihn nicht. „Ist doch schön draußen, oder?“

sonntaz: Herr Geißler, Sie erforschen die Zeit. Und tragen keine Uhr.

Karlheinz Geißler: Ich lebe seit 25, 30 Jahren ohne. Ich habe Uhren nie sehr gemocht, aber hatte immer mal eine um. Irgendwann habe ich sie dann einfach abgelegt.

Lebt es sich besser ohne?

Anders. Und das erlebe ich als besser. Pünktlichkeit ist für mich nicht dieses große Kriterium wie für andere. Außerdem bekomme ich ein sehr sensibles Gefühl für zeitliche Veränderungen, die Natur, den Sonnenstand oder auch für soziale Verhältnisse. Ich merke besser, wie die Zeit vergeht.

Zu merken, wie die Zeit vergeht, wie sie abläuft: Das macht doch Angst.

Die Angst vor der eigenen Zeit gibt es natürlich immer. Dass der Mensch sterblich und begrenzt ist. Man kann diese Angst nicht ganz wegdrängen, weil sie realistisch ist und um einen herum die Leute sterben. In einer säkularisierten Welt, die nach dem Tod nichts mehr erwartet, versucht man darum, möglichst viel zu erleben, die Zeit also quantitativ zu füllen, nicht qualitativ zu erfahren.

Was ist denn das Schöne an der Zeit?

Dass sie eine sehr treue Freundin ist, sie begleitet dich von der Geburt bis zum Tod. Und dass sie nur eine Vorstellung ist. Sie existiert ja nicht. Meine Enkeltochter sagt mit sechs Jahren: Die Zeit gibt’s nur im Gehirn, und zwar gleich neben den Träumen. Sie hat noch einen synästhetischen Sinn, kennt die Uhr noch nicht. Manchmal malt sie und sagt, schau, so sieht die Zeit aus.

Und, wie sieht sie aus?

Meistens sehr bewegt, und montags ist sie gelb, und dienstags ist sie grün, und mittwochs ist sie weiß, und freitags ist sie dunkelweiß. Das ist gut, ich versuche, meiner Enkelin die Uhr nicht beizubringen. Wenn sie die lernt, ist ihre Kindheit vorbei.

Warum?

Kinder leben dann nicht mehr ihren Impulsen, ihren Anmutungen nach. Sie geben ihr Zeitempfinden an die Uhr ab.

Umgekehrt legen viele Erwachsene, wie Sie auch, irgendwann ihre Uhr ab.

Viele schauen jetzt aufs Handy. Das Schicksal der Uhr ist weitgehend besiegelt, es wird dem Schicksal des Pferds und des Segelschiffs gleichen: ein Luxusgegenstand sein. Früher hatte jeder ein Pferd, inzwischen nur noch jemand, der das Vergnügen haben will oder Prestige.

Haben wir verlernt, die Zeit schön zu finden?

Ja, seitdem wir sie in Geld verrechnen und hetzen müssen und Zeit sparen.

Schlimmer Ausdruck, Zeit sparen.

Zeit sparen kann man gar nicht. Wie die Zeit ist auch das bloß eine Vorstellung. Eine, die unser Leben problematisch macht und unzufriedener, als es sein müsste. Die Zeit, die man spart, spart man ja nicht in dem Sinn, dass man sie hinten dranhängt. Sondern in dem Sinn, dass man die Gegenwart ignoriert. Sie sparen Erfahrungen, Gelegenheiten. Heute sitzen Sie hier, und es regnet, morgen nicht. Wenn Sie Zeit sparen müssen oder wollen, müssen Sie eher ein feindliches Verhältnis zur Zeit haben. Sie messen die Zeit als das, was es zu minimieren gilt, und ich bin der Meinung, dass es die Zeit eigentlich zu leben gilt und nicht totzuschlagen oder zu verjagen, oder was die Menschen alles mit ihr machen.

Wir unterteilen zum Beispiel noch in die gute und die schlechte Zeit.

Das sind meistens Geldkriterien. Die kapitalistische Gesellschaft arbeitet ja mit der Uhrzeit. Das ist eine spezielle, eine tote Zeit, die keine Qualität hat.

Und wir reden oft davon, dass wir keine Zeit haben, tun aber wenig dafür, mehr Zeit zu haben.

Es ist eine Lüge, keine Zeit zu haben. Man hat immer Zeit. Wenn Leute sagen: Ich habe keine Zeit. Dann haben sie keine Zeit für diese Person. Dann ist das eigentlich ein Beziehungsproblem. Und da Zeit bei uns mit Geld in Verbindung gebracht wird, wird das als Ausrede anerkannt. In vielen Ländern werden Leute, die sagen, sie hätten keine Zeit, hoch angesehen. Wir unterstellen ihnen, Wohlstand und Reichtum zu erwerben, dadurch, dass sie Wichtiges zu tun haben. Wichtig heißt immer: Geldwert.

Sie glauben, wir brauchen vor allem Langsamkeit. Es gibt aber doch Leute, die vor allem Schnelligkeit brauchen.

Ja, die täuschen sich. Weil sie ihrer eigenen Natur zum Opfer fallen. Und ihre Natur schreibt ihnen Langsamkeit vor. Meine Zeitnatur ist keine Sache, mit der ich verhandeln kann. Da gibt es keine Mitbestimmung. Das ist ein Diktat. Wobei dieses Diktat den Riesenvorteil hat, dass es elastisch ist. Ich muss nicht jeden Tag zur gleichen Minute ins Bett, zur gleichen Minute die Augen zu- oder wieder aufmachen.

Der Mensch ist elastisch?

Der Mensch ist ein Zeitvielfaltswesen. Er lebt ganz vielfältige Zeiten, schnelle und langsame, aktive und passive. Ich bin auch nicht für Entschleunigung, ich finde den Notarzt angenehm, wenn er nicht mit der Kutsche kommt. Die Menschen lieben ja auch Schnelligkeit, die hat ihnen die Natur mitgegeben. Sie hätten die wilden Tiere nicht überlebt, wären sie nicht schnell gewesen. Nicht das Schnelle ist das Problem, sondern das zu Schnelle.

Können wir überhaupt noch rastloser werden?

Ich denke schon. Das werden wir automatisch, solange sich Schnelligkeit wirtschaftlich als Produktivkraft herausstellt. Die Griechen kriegen längst mit, dass sie schneller werden müssen.

Egal scheint die Zeit eigentlich nur in der Liebe.

Ja, das ist Zeitvergessenheit. Arbeit ist Zeitversessenheit und Liebe ist Zeitvergessenheit. In dem Sinn, dass die Liebe ja ein Stück Vorwegnahme der anderen Zeit ist, der Ewigkeit, also der Zeitlosigkeit. Das ist das Attraktive an der Liebe, dass sie die Vergänglichkeit vergessen macht.

Wie macht die Liebe das?

Indem sie die Sehnsucht provoziert, die Zeit anhalten zu wollen. Und diese Sehnsucht ist keine abstrakte Sehnsucht, sondern eine ganz konkrete, weil etwas Schönes passiert: Das Hirn wird ausgeschaltet. Und damit das Zeitgefühl. Zeit, das hat Novalis schön gesagt, entsteht mit der Unlust. Wir reden über Zeit, wenn wir Probleme haben.

Ist das so?

Ja, immer. Ich hab keine Zeit, tut mir leid. Bei den schönen Dingen, in der Liebe, reden Sie nicht über Zeit. Außer, Sie haben Probleme mit der Liebe. Dann schon.

Denken Sie, die ganzen Diskussionen über das überforderte Ich und unsere vor dem Burn-out stehende Gesellschaft sind wirklich bloß eine Reaktion auf zu viel Schnelligkeit?

Alle Veränderungen, wirtschaftliche, gesellschaftliche, sind mit zeitlichen Belastungen verbunden, weil es darum geht, einen neuen Umgang mit der Zeit zu lernen. Das heißt: Die Industriegesellschaft hatte dieses Problem auch. Vor hundert Jahren sind die Leute massenweise in genau die gleichen Einrichtungen. Wellness-Center hießen damals eben Sanatorien. Thomas Mann zum Beispiel ist öfter in Sanatorien, um seiner Nervosität ein Stück weit zu entfliehen. Damals war es eine Reaktion auf die Elektrisierung als Beschleunigungselement. Man hat die Eisenbahn erfunden. Und den Leuten wurde schlecht, weil sie noch den Postkutschenblick hatten und diese Geschwindigkeit nicht kannten. Heute reagieren wir auf die Zeitverdichtung.

Wir kennen das Tempo, das von uns verlangt wird, und laufen ihm doch nur hinterher?

Man kann lernen und wird auch viel lernen. Ich sehe das bei meinen Kindern, die können ganz andere Zeitverdichtungen ertragen als ich. Wenn die am Computer sitzen, muss ich immer stopp mal, stopp mal, sagen. Und diese Schrittfolge einhalten, die sie mir mal beigebracht haben. Eins nach dem anderen, nach dem klassischen Uhrzeitmodell. Während die das nicht brauchen. Die können vieles gleichzeitig laufen lassen.

Ist Gleichzeitigkeit nicht auch ein Problem? Wir lesen Mails, telefonieren parallel und planen nebenher noch Termine. Wie soll eine Gesellschaft, die Multitaskern Anerkennung zeigt, unter Nichtstun wieder Qualität verstehen?

Na ja, das eine bedingt das andere. Wenn Sie fünfzigjährige Manager, die lange genug in ihrem Geschäft waren, die Kinder sind aus dem Haus, nach ihren Sehnsüchten fragen, dann sagen die immer, sie wollen einen Weinberg. Oder einen Blumenladen aufmachen. Das ist so diese andere Seite, dass die Hochgeschwindigkeit die Sehnsucht nach dem Nichtstun, nach der Muße und der Langsamkeit produziert. Nach den nicht erfüllten Wünschen. Die Menschen merken, sie haben was versäumt und viele Erfahrungen nicht gemacht, die sie hätten machen können. Dieses Nichtstun hat durchaus eine Resonanz, es hat nur im aktiven Geschäfts- und Arbeitsleben keine Chance. Da ist, weil wir eben Zeit in Geld verrechnen und Wirtschaftswachstum als Ziel haben, Beschleunigung angesagt. Aus der Situation kommen Sie nicht raus. Es sei denn, Sie leisten Verzicht.

Eigentlich kein netter Begriff: Ich entsage einem Wunsch oder etwas, das ich gerne möchte. Trotzdem macht Verzicht oft glücklich. Warum?

Goethe hat gesagt: Verzicht ist doch Gewinn. Durch den Verzicht gewinne ich Freiheit.

Und zwar wie?

Wohlstand macht abhängig. Wie abhängig sind die Menschen heute alle von den Multifunktionsgeräten! Das ist wahnsinnig. Sie brauchen nur zu sehen: Da schenkt ihnen die Deutsche Bahn täglich Minuten auf dem Bahnsteig. Ein Zeitgeschenk. Und was machen sie? Können die Zeit nicht nutzen, telefonieren, machen Hektik, schicken Mails. Da wäre der Verzicht, etwas zu tun, ein Riesengewinn.

Wenn wir in der Schlange stehen oder im Wartezimmer sitzen, wird uns auch Zeit geschenkt. Viele finden das lästig. Sie auch?

Ich warte ungern, wenn andere ihr Prestige davon abhängig machen. Wenn sie versuchen, auf meine Kosten und auf meine Zeiten soziale Abhängigkeit und ihre Überlegenheit zu inszenieren. Zum Beispiel ein Beamter, der am Schalter betont langsam macht, Dienst nach Vorschrift, um zu demonstrieren, dass er mächtig ist und ich mich nach seinen Zeiten richten muss. Da wird Zeit zum Kampfmittel.

Und ansonsten?

Ansonsten liebe ich Wartezeiten, weil Dinge, auf die man wartet, fantasiefördernd sind. Walter Benjamin hat das gut ausgedrückt, ungefähr so: Je länger ich am Bahnsteig auf Frauen warte, umso schöner werden sie. Warten bietet überraschende Gelegenheiten, sich zu verhalten. Ich kann mit Leuten reden, mit denen ich sonst nie spreche. Ich kann etwas sehen, auf das ich nie geschaut hätte. Mir werden Dinge klar, oder mir fallen Dinge ein, die mir sonst nie eingefallen wären, weil sonst anderes zu tun wäre. Die Produktivität des Wartens halte ich für wichtig, sie wird in der Wirtschaft viel zu selten genutzt. Denn auch dort ist Warten produktiv, wenn Sie den richtigen Zeitpunkt abwarten, wann Sie etwas auf den Markt bringen etwa. Pausen sind in Untersuchungen völlig unterrepräsentiert.

Pausen sind manchmal schwer auszuhalten.

Das stimmt, aber Pausen müssen Sie ja machen. Wenn ich schon die Diskussion über das Verbot von Raucherpausen sehe! Das läuft natürlich unter dem Aspekt Rauchen ist ungesund. Dann müsste aber das Rauchen abgeschafft werden. Stattdessen würden die Pausen abgeschafft. Ich finde es völlig idiotisch, so zu argumentieren.

Dann möchten Sie sicher auch den Sonntag als Feiertag erhalten, oder?

Der Handelsverband rechnet uns immer vor, dass die Abschaffung des Sonntags uns was einbringt. Dabei wären die Kosten immens, wenn der Sonntag als Feiertag fehlen würde, er ist ja eine Pause in der Woche. Die Aggression in der Gesellschaft und die Hetze würden wachsen. Und die Orientierung würde leiden. Die Leute wüssten nicht mehr, wann sie wo sind, und mit wem sie es zu tun haben.

So langweilig der Sonntag sein kann, so gut kann es sein, wenn er langweilig ist?

Die Argumentation, jeder kann Sonntag machen, wann er Lust hat, ist so nach dem Prinzip: Jeder kann Weihnachten machen, wann er Lust hat. Wieder ein gutes Beispiel für gewinnbringenden Verzicht. Weil sonntags die Geschäfte geschlossen sind, ist anderes möglich. Ich musste in Frankfurt kürzlich einen Vortrag darüber halten, im Bankenviertel. Ja, Leute, hab ich zu denen gesagt, ihr seid doch alles fitte Menschen. Ihr macht Marathonlauf und so weiter. Also, wann findet ein Marathonlauf statt? Am Sonntag, genau. Die Leute kommen sonst gar nicht zusammen. Es braucht auch einen kollektiven Tag.

Sie sagen, die Uhr sei schuld am Kapitalismus. Wie würde Demokratie uhrlos funktionieren?

Demokratie würde von der Uhrlosigkeit eher profitieren.

Inwiefern?

Weil der Zeitdruck wegfallen würde, mit dem Entscheidungen getroffen werden. Jetzt sagt sofort wieder jemand: Der ist doch heilsam. Aber Zeitdruck macht unruhig.

Was sollte jemand, der sehr ausgelastet ist und endlich mal Zeit hat, am besten mit seiner Zeit anstellen? Nichts?

Einem sehr beschäftigten Menschen rate ich zu Ritualen, festen Strukturen. Sie haben Anfang und Ende und bieten Orientierung. Ein Sonntagsspaziergang, das Abendessen. In dem Moment, in dem man stark auf andere Leute angewiesen ist, muss man sich über Rituale stabilisieren und merken, dass man auch Zeit für sich hat. Und für die Dinge, für die man sich entschieden hat, ohne sich entscheiden zu müssen. Rituale sind Auslöser von Möglichkeiten, obwohl sie festlegen. Sie verzichten auf etwas, nämlich auf Beliebigkeit und Freiheit, und gleichzeitig ermöglicht Ihnen das, miteinander zu reden, sich zu treffen.

Welche Rituale haben Sie?

Ich habe relativ viele. Gerade seit ich nicht mehr im Dienst bin. Vorher hat mir natürlich die Arbeit Rituale auferlegt, Mittagessen oder Vorlesungen. Jetzt frühstücke ich mit meiner Frau, und dann lese ich Zeitung. Das ist sozusagen das tägliche Morgengebet. Es endet immer mit einem Espresso.

Warum ist Nichtstun so angenehm?

Das ist nicht für jeden angenehm. Nichtstun heißt für mich, der Zeit die Chance zu geben, auf mich zuzukommen. Für manche aber kommt die Zeit immer auf einen zu, für ältere Menschen oder für vereinsamte. Die empfinden das als bedrohlich. Oder arbeitslose Menschen. Wenn Zeit Geld wäre, hätten Arbeitslose am meisten. Aber nicht Zeit ist Geld, sondern Arbeitszeit ist Geld.

Herr Geißler, wie oft lesen Sie Ihre Mails?

Vielleicht so zweimal am Tag. Ich beantworte die Mails auch oft erst so nach zehn Tagen. Ich gehe etwas leger damit um.

Und wenn Sie verreisen?

Nehme ich nichts mit. Kein Handy und nix. Habe ich auch gar nicht. Wir haben ein Familienhandy, wenn ich zu Vorträgen fahre, nehme ich das mit, weil der Zug oft Verspätung hat und Leute auf mich warten könnten. Übrigens könnte man auch den Bahnverkehr ohne Uhr gestalten. Von Frankfurt nach München etwa fährt offiziell alle halbe Stunde ein Zug. Und inoffiziell fährt wegen der Verspätungen andauernd einer. Man muss einfach nur an den Bahnhof gehen.

Und wenn Sie wirklich verreisen? Wie machen Sie Urlaub?

Ich fahre sehr häufig an die Nordsee. Da schreibe ich auch meine Bücher manchmal, auf der Insel Langeoog. Das ist eine der Ostfriesischen Inseln, die ist autolos, das heißt ganz still. Immer erst, wenn ich dort bin, merke ich, wie laut es eigentlich in der Stadt ist. Und wenn ich im Winter schreibe, gehe ich in ein altes sizilianisches Kloster, das zum Hotel umgebaut wurde, nach Taormina. Ich mache mir dann schon ein schönes Leben und sitze unter Orangen im Kreuzgang. Dann esse ich mal eine Orange und schreibe weiter. Oder ich setze mich ins griechische Theater und schaue auf den Ätna.

So erforscht man die Zeit?

Wenn Sie so wollen: Ich forsche nicht. Ich denke.

Annabelle Seubert, 27, ist sonntaz-Redakteurin. Sie trägt seit 15 Jahren keine Uhr mehr