Thees Uhlmanns zweites Soloalbum: Einer muss den Job ja machen

Thees Uhlmann ist irgendwo zwischen Feuilleton und Vorband der Toten Hosen gefangen. Deshalb geht er vielen gehörig auf die Nerven.

Thees Uhlmann will zwar kein Gedöns machen, eine Reizfigur ist er für viele trotzdem. Bild: dpa

Da draußen ist Berlin, hier drinnen ist Thees Uhlmann trotzdem zu Hause. Das geht sogar so weit, dass er die Füße vom Stuhl neben sich nimmt, um selbst das Bier aus dem Kühlschrank zu holen, wenn Wirt Stefan gerade mal nicht hinterm Tresen steht. Dessen kleiner Sohn heißt mit zweitem Vornamen Thees – Exilhamburger unter sich.

Wenn Uhlmann die Neuköllner Kneipe betritt, überschreitet er mit der Türschwelle auch die Stadtgrenze – raus aus der ungeliebten Wahlheimat, rein in die Stadt, die ihn „zum Mann gemacht hat“, wie er in einem alten Tomte-Song singt, der er aber vor sieben Jahren den Rücken gekehrt hat. In der Astra Stube gibt’s Hamburger Bier vom Fass, die Wände zieren St.-Pauli-Devotionalien. Uhlmann ist Anhänger des Fußballzweitligisten und schreibt seit Jahren für das Fanzine Übersteiger.

Am Freitag erscheint Uhlmanns zweites Soloalbum, schlicht „#2“ betitelt, „weil wir keinen Fokus auf einen bestimmten Song legen wollten“. Die Namensgebung ist konsequent puristisch: Auf das Debüt „Thees Uhlmann“ folgt „#2“, „Simplifizierung“ nennt Uhlmann das, „kein großes Gedöns machen“.

Thees Uhlmann: „#2“ (Grand Hotel van Cleef/Indigo)

Aufgeblasener Schnacker?

Was beim Titel geklappt hat, ist bei der Promo irgendwie schiefgelaufen – oder war das doch so beabsichtigt? Auf dem Cover der Augustausgabe des Musikexpress steht ein Uhlmann-Zitat, das allen in die Hände spielt, die ihn für einen aufgeblasenen Schnacker halten – und das sind nicht wenige. Thees Uhlmann ist eine Reizfigur wie Michel Friedman oder Hartmut Engler von Pur. Auf eine weitere, Uli Hoeneß, kommen wir später noch zurück. „Ich bin der Springsteen Niedersachsens“, steht da. Bruce. Springsteen.

Nein, das macht es nun wirklich nicht besser.

Das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, verteidigt sich Uhlmann. „Das ist überhaupt nicht meine Art, so irre und anmaßend zu sein.“ Er habe diese Formulierung nur einmal in den Mund genommen, „ein Zitat aus einem Zeitungsartikel über mich“, als er im Studio in Los Angeles gebeten wurde, seine Musik zu beschreiben.

Sein Amigesprächspartner, der schon bei seinem Heroen Elliott Smith an den Reglern saß, habe daraufhin freundlich gelacht – und um seinen Punkt ganz klar zu machen, ergänzt Uhlmann: „Der war sich der Absurdität und Lustigkeit dieses Vergleichs voll bewusst, hat das null als arrogante Geste aufgefasst.“

Je nach Haltung zu ihm kann man es also als Hommage oder Anmaßung verstehen, dass der „#2“-Song „Zerschmettert in Stücke“ unüberhörbar von Springsteens „Streets of Philadelphia“ inspiriert ist.

„Manchmal kommt mir die deutsche Musikszene so langweilig vor, dass ich wirklich dankbar bin, dass es einige Leute und Bands gibt, über die man sich aufregen kann“, sagt Uhlmann.

Und dass Sie dazu gehören …?

„… ist zwar ärgerlich für einen privat, aber dann soll das halt so sein.“ Seine Botschaft: Einer muss den Job ja machen. Seine Tragik: Er käme da auch gar nicht raus. Schublade auf, Uhlmann rein, Schublade zu. „Angegriffen zu werden, begleitet mich ja jetzt auch schon zehn Jahre“, sagt er.

Die Band Tomte ist nicht aufgelöst

Vor zehn Jahren hatte Uhlmann, abgebrochener Lehramtsstudent Politik und Englisch, seine ersten größeren Erfolge als Sänger von Tomte, einer Hamburger Band, die so klingen und verehrt werden wollte wie Tocotronic, für die Uhlmann damals schwärmte und über die er sogar ein Buch schrieb. Zum Intellektuellenliebling fehlte Tomte aber immer der Subtext, obwohl (oder gerade weil) sie sich so sehr um Tiefgründigkeit bemühten.

Noch heute erzählt Uhlmann, wie geehrt er sich gefühlt hat, als Jochen Distelmeyer von den ebenfalls sehr verkopften Blumfeld auf einem Festival backstage mit Tomte abhängen wollte. Uhlmann will dazugehören, am liebsten überall, und wirkt in seinem Buhlen um Anerkennung manchmal ziemlich verloren.

Offiziell sind Tomte nicht aufgelöst. Die Band „ruht jetzt einfach“, sagt Uhlmann. Wenn er „nicht mehr mit reinem Herzen dabei“ sei, müsse er weiterziehen. „Ist Kalkül im Spiel, kommt nichts Gutes raus.“ Es sei eine Befreiung gewesen, nach 18 Jahren „den Tomte-Rucksack abzuschnallen und Texte schreiben wieder als geradezu körperliche Lust zu empfinden“.

Mit seinem Solodebüt verabschiedete sich Thees Uhlmann also vom prätenziöseren Tomte-Songwriting und sang stattdessen eingängige Lieder über seine Jugend in der nordniedersächsischen Einöde. Es wurde – man ahnt es bereits – auch wieder kein Konsensalbum. Aber ein kommerziell ungewöhnlich erfolgreiches. Uhlmann, der mit Zahlen auf Kriegsfuß steht, weiß spontan nicht, wie oft es sich verkauft hat, „aber es ist nicht Gold, so viel weiß ich“, also weniger als 100.000 verkaufte Alben.

Um das Finanzielle kümmern sich zwei alte Kumpel aus Punkzeiten, „die bescheißen mich nicht, das sind geile Typen, die früher Bands für das Autonome Zentrum im Köln gebucht haben“. Und wenn sie ihn doch mal über den Tisch ziehen sollten? „Dann wäre das wenigstens gute Promo.“ Uhlmann ironisiert seine Achillesferse – und fügt hinzu: „Alles kommt zu einem Preis, das ist meine feste Überzeugung.“

Womit wir dann auch bei Uli Hoeneß wären, den Uhlmann für – das will er jetzt aber ironisch verstanden wissen – „einen der fünf besten Deutschen“ hält: klare Kante, Verträge mit Handschlag, nimmt kein Blatt vor den Mund. Ein bisschen klingt es so, als spräche Uhlmann über sich selbst. Und die Steuerhinterziehung? „Für mich ist seine Persönlichkeit jetzt erst komplett“, erwidert Uhlmann, der sich an „ein shakespearisches Drama“ erinnert fühlt: „Es gibt kein Licht ohne Schatten.“ Eine Erkenntnis so richtig wie banal.

Uhlmann beobachtet in Deutschland eine „ewige Suche nach der Lichtgestalt – aber wer ist denn schon eine Lichtgestalt?“ Hm, und weiter? So richtig erhellend ist Uhlmanns Argumentation nicht immer.

Sänger, kein Philosoph

Man darf aber auch nicht zu streng mit ihm sein: Uhlmann ist Sänger und wollte nie Philosophieprofessor sein. Er hat die Gabe, das Publikum mit seinen pathetisch-überhöhten, von großer Empathie getragenen Alltagsgeschichten über das Mädchen von Kasse 2 oder einen SPD-Wahlkämpfer im Ruhrgebiet zu berühren – selbst wenn es eigentlich auf die Toten Hosen wartet.

In deren Vorprogramm spielt Uhlmann diesen Sommer einige Open-Air-Konzerte in Fußballstadien. „Wie Pac Man“ versuche er sich dabei durch die Reihen zu fressen, um einzelne Statements offener Feindseligkeit aufzulösen und in Interesse, wenn nicht gar Zuspruch zu verwandeln. „Eine gute, gerechte Herausforderung.“ Stolz erzählt er vom Auftritt in Heilbronn, wo er einen Zuschauer inmitten von 35.000 so lange fixiert hat, bis der seinen Stinkefinger runtergenommen hat. Auf der Bühne gelingt Uhlmann, was abseits kaum funktioniert: die Stimmung gegen ihn zu drehen.

Die Bühne, auf der er steht, kann einer Rampensau wie Thees Uhlmann gar nicht groß genug sein. Deswegen – und weil sein Ruf in der Indieszene sowieso schon ruiniert ist – hat er keine Sekunde gezögert, das Angebot anzunehmen. „Das ist doch der eigene Pursuit of Happiness, der einem das befiehlt“, sagt er. „Was ist besser? Wenn ich meiner Tochter später erzählen kann, dass ich mit den Toten Hosen in Stadien gespielt habe, oder wenn ich ihr erzähle, dass ich nicht mit den Toten Hosen in Stadien gespielt habe?“

Nächstes Jahr wird Uhlmann 40 und hat vieles erreicht, wovon er als junger Musiker geträumt hat, der „donnerstags nicht zu linearer Algebra gehen konnte, weil ich nach Saarbrücken fahren musste, um vor zehn Leuten im Baseballheim zu spielen“. Auch als Mitgründer des gemeinsam mit Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff aus der Taufe gehobenen Labels Grand Hotel van Cleef hat Uhlmann viele Bands kommen und gehen sehen. Zuletzt haben von dem Label die gar nicht mal so erfolglosen Kilians ihre Auflösung angekündigt – eine Entscheidung, die Uhlmann „grandios“ findet.

Wie bitte?

„Wer eine Familie ernähren muss, hat oft keine andere Wahl. Ohne durchschlagenden Erfolg, der bei 100.000 verkauften Platten anfängt, ist das Musikerdasein ein sehr, sehr großes Risiko für die eigene Biografie.“

Ein Risiko, das Uhlmann eingegangen ist, dafür etwa Jahre ohne Krankenversicherung in Kauf genommen hat, „aus Dummheit, nein, nicht aus Dummheit, sondern weil es mir immer unheimlichen Spaß gemacht hat, durch die Gegend zu fahren, Konzerte zu spielen, zu sabbeln, Platten zu machen, Bruce Springsteen zu sein, höhö“.

Nach dem Konzert mit den Hosen in Uhlmanns Unistadt Köln hat er sich noch mit ein paar früheren Kommilitonen getroffen, die ihn mitunter belächelt haben, wenn er damals in seiner viel zu großen Strickjacke faselte, dass er auch mal in Stadien spielen werde wie seine Idole von Oasis. Genugtuung darüber, das – wenn auch mit Hilfe der Hosen – geschafft zu haben, verkneift er sich im Gespräch aber.

Thees Uhlmann ist ein Überlebender des Rock ’n’ Roll, der aber weiß, dass er genauso gut auf der Strecke hätte bleiben können. Auch wenn er mehrfach betont, wie bedeutungslos persönliche Befindlichkeiten durch die Geburt seiner Tochter geworden sind, kann und will er die Freude über sein Glück doch nicht verbergen: „Ich bin immer noch auf Peterchens Mondfahrt.“

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