Geisteswissenschaftler über Finanzkrise: Die Krise auf der Couch

Die deutschen Psychoanalytiker wollten die europäische Finanzkrise einmal anders betrachten und luden ein. Doch die Krise lässt sich nicht so leicht fassen.

Hier noch jemand bereit zur Therapie? Deutsche Bank in Frankfurt. Bild: reuters

Die Eurokrise ist nicht nur ein ökonomisches Ereignis. Sie berührt Gefühle, löst Ängste aus, Ressentiments. Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung kam daher auf die Idee, ein „interdisziplinäres Gespräch“ zwischen Ökonomen und Psychologen zu organisieren.

Eingeladen waren der Hedgefonds-Manager George Soros, der japanische Ökonom Richard Koo, die Berliner Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun sowie der Kölner Psychoanalytiker Rupert Martin. Zudem waren geschätzte 400 Gäste gekommen, die meist ebenfalls den Geisteswissenschaften entstammten.

An Kompetenz fehlte es also nicht – und dennoch machte dieser Mittwochabend in Frankfurt deutlich, dass fünf Experten noch lange kein interdisziplinäres Gespräch ergeben. Wie Koo feststellte: „Man muss das Problem verstehen, über das man reden will.“ Also nutzte Koo sein Eingangsstatement, um den Psychoanalytikern ökonomische Nachhilfe zu erteilen. Dies war nicht als Affront gemeint, Koo gab zu, dass er umgekehrt nichts über Psychologie wisse – „außer dass mein Bruder Psychologe ist“.

Die Eurokrise lässt sich jedoch nicht in wenigen Worten erklären, und so benötigte allein Koo 30 Minuten, um das Problem zumindest zu umreißen. Da die drei anderen Diskutanten ebenfalls Statements halten sollten, war früh klar, dass der angestrebte „Dialog“ schon mangels Zeit ausfallen würde.

Vermögenspreise fallen, Kredite bleiben gleich

Um Koo kurz zusammenzufassen: Die europäischen Krisenländer befinden sich in einer „Bilanzrezession“. Ihre Bürger sind überschuldet, weil sie auf Kredit überteuerte Häuser gekauft haben, die nun einen großen Teil ihres Werts verlieren. Doch während die Vermögenspreise fallen, bleibt die Höhe der Kredite nominal gleich. Die Haushalte stottern daher mühsam ihre Darlehen ab, was für die Gesamtwirtschaft fatal ist: Wer Kredite zurückzahlt, konsumiert nicht. Das Geld fehlt als Nachfrage – sodass der Schuldenabbau die Krise verschärft.

Noch schlimmer: Die Zentralbank ist machtlos. Selbst wenn sie ihre Zinsen gen null senkt, nimmt niemand Kredite auf, weil die Haushalte noch ihre alten Darlehen abzahlen müssen. Ungebremst schrumpft die Wirtschaft weiter.

In dieser Situation bleibt nur noch der Staat. Er muss sich verschulden und Konjunkturpakete auflegen. Doch diese Politik scheitert bisher an den Deutschen, die von den Krisenländern Sparprogramme fordern.

Koo war also nach Frankfurt gekommen, um 400 deutsche Akademiker zu überzeugen, dass ihre Regierung falsch liegt. Diese Mission dürfte misslungen sein. Denn Koo jonglierte mit diversen Folien, auf denen jeweils mindestens vier Kurven zu sehen waren, sodass viele im Publikum etwas desorientiert wirkten. Erleichtert lachten sie auf, als George Soros trocken kommentierte: „Jetzt sind Sie bestimmt verwirrt.“

Deutsche Phobie vor Staatsschulden

Soros versuchte gleich zur Politik zu kommen. Die Deutschen müssten ihre Phobie vor Staatsschulden aufgeben. Für die Psychoanalytiker hatte Soros einen Arbeitsauftrag: Sie sollten erforschen, wie sich die Doppeldeutigkeit des deutschen Worts „Schuld“ auswirkt. Anders als in anderen Sprachen kann es moralisch und ökonomisch verwendet werden, sodass die Schuldenprobleme in der Eurozone immer eine moralische Konnotation erhalten würden.

Wie tief die Missverständnisse zwischen Kulturwissenschaften und Ökonomie sein können, machte das Referat von Christina von Braun deutlich, die über die Geschichte des Geldes sprach. Die Kulturwissenschaftlerin vertritt nicht nur eine eigenwillige Geldtheorie – vor allem war den einladenden Psychoanalytikern offenbar nicht bewusst, dass es in der Eurokrise gar nicht um Geld als Geld geht, sondern um Schulden und Zinsen. Das Phänomen „Kredit“ kam jedoch bei von Braun nicht vor.

Die Eurokrise kann nur bewältigt werden, wenn es eine gemeinsame Analyse der Probleme gibt. In Frankfurt gelang dies nicht einmal innerhalb der akademischen Elite.

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