Bildband über Zweiten Weltkrieg: Intimes von der Front

Der Bildband „My Buddy“ zeigt, was zwischen, vor und nach den Schlachten im Zweiten Weltkrieg geschah: ein Alltagsleben voller Intimität.

Nackte Männer während des Krieges: Bild aus „My Buddy“. Bild: promo

Die Bilder in diesem Coffee Table Book sprechen über den Krieg, sie zeigen ihn aber nicht mit seinen Schlachten und Gefechten. Sondern mit dem, was zwischen den blutigen Handlungen passiert: Alltag nämlich. Durchweg männlicher Art. Einer ohne Frauen. In den Feldlagern, den Rückzugsräumen, den Camps zwischen den Waffengängen.

Die Fotografien, die der US-amerikanische Sammler Michael Stokes auf Flohmärkten zusammengesammelt hat, tragen zu Recht den von Herausgeberin Dian Hanson gewählten Titel: „My Buddy“.

Ein Buddy, das ist im Amerikanischen für einen Mann mehr als die beste Freundin für die Frau; diese Figur verkörpert vielmehr den Kumpan, vor dem man sich entblößen kann, der alles weiß, mit dem man im Schützengraben allein ist, an den man sich anlehnt, der einen schützt – und dem man alles dies an Innigkeit zurückgibt, was der andere einem gibt: Freundschaft, kostbarer als jede eheliche, also heterosexuelle Verbindung mit einer Frau.

Die Fotografien, die von US-amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg aufgenommen wurden, waren stets Teile einer Serie verschiedener Motive – spezifisch auf Nacktheit gerichtete Fotostrecken gab es nicht. Aber: Gerade diese Zeugnisse von nachgerade unsoldatischer Gelöstheit, bar dessen, was Klaus Theweleit im deutschen Kontext den soldatischen Körperpanzer nannte. Denn Soldaten mögen im Gefolge der Schlachten, so sie überlebten, traumatisiert gewesen sein – zwischen den Gefechten jedoch waren sie hochkonzentriert Lebende in einem Feld, das nicht ferner von dem hätte sein können, was in ihren Heimaten war: familiäre Begrenzungen, Enge, Dörflichkeit, Nichtexzeptionalität.

Das Undenkbare unaussprechlich

Bild: promo

Bilder, wie sie dieser Bildband zeigt, sind niemals nach Hause adressiert worden. Keine wartende Freundin oder Frau hätte diese Motive verstehen wollen: War der Krieg nicht eine Lebensform, der man unbedingt entrinnen wollte? Diese Bilder enthüllen eine Intimität unter Kameraden, die niemals – so wäre das heutige Wort hierfür – schwul sein durfte. Hätten sie offenes Begehren am anderen Mann gezeigt, ja, wären sie für andere offenkundig ihrem Appetit nachgegangen, hätte das zum umgehenden Rausschmiss geführt.

Weil aber diese Zeiten auch in westlichen Kontexten nicht schwulenfreundlich waren, sondern, im Hinblick auf Homosexuelles, eisern schweigend, konnten diese Bilder so geknipst werden: Da das Undenkbare unaussprechlich – und damit im bürgerlichen Sinne unlebbar – war, konnte es dokumentiert werden: soldatische Männer im erotisierenden, nackten Modus miteinander – es waren ja alles nur Buddies, die besten Kumpels, an die man sich im Schützengraben, angstschlotternd, schmiegen konnte.

Es hätte auch, so Herausgeberin Dian Hanson, Bilder von deutschen Soldaten gegeben, aber man entschied sich für Amerikaner, für jene, die für Demokratie einstehen wollten. Die deutschen Bilder waren außerdem auch weniger explizit, womöglich hat sich Sammler Stokes seltener auf deutschen Flohmärkten herumgetrieben.

Lust am Phallischen

Die Lust am Phallischen, auch an dessen Fragilität in Zeiten des Tötens und Getötetwerdens, wäre freilich nicht minder deutlich zum Vorschein gekommen: Der Krieg als Passage des Abenteuerlichen, der intensiv (auch als lustvoll, weil entgrenzend, behütend und körperauflösend) erlebt wurde. Kaum etwas war noch mit Scham oder Distanz behaftet: das Scheißen, das Wichsen, das Entlausen, das Schubbern, das Duschen. Und, so entnimmt man dem Begleittext: Size does matter!, auch unter Soldaten, die sich ausgiebig gegenseitig betrachteten; jedoch mit Milde, schnitt einer beim Blick der anderen als klein dimensioniert ab.

Über diesen Bildband hinaus muss angemerkt werden, dass es weder im geschichtswissenschaftlichen noch im nachkriegsliterarischen Bereich nennenswert beachtete Forschung oder Lektüre gäbe zum Thema: Sind wirklich alle Soldaten gerne nach Hause gekommen aus den Kriegsgefangenenlagern? Ist es tatsächlich so gewesen, dass der Wehrmachtssoldat nichts stärker ersehnte als den Abschied von seinen Kumpels? Arbeiten, wie sie kürzlich Sönke Neitzel („Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“) veröffentlichte, sind allermeist dem gewidmet, was in den Militärs – vom Gefreiten bis zu höheren Rängen – noch an Nazigut geäußert wird.

Eine Forschung zu Genderfragen existiert faktisch nicht. Alliierte Kriegsgefangenenlager mit Wehrmachtssoldaten waren auch, bis in die fünfziger Jahre hinein, (teils offen) schwule, nicht homosoziale Lebensgehege.

Man könnte fragen: Hat das Adenauer-Regime den antihomosexuellen Paragrafen 175 beibehalten wollen, um dem homoerotischen Treiben unter deutschen Gefangenen für das zivile Leben ein Ende zu bereiten?

Dian Hanson (Hrsg.): „My Buddy – World War II Laid Bare“. The Michael Stokes Collection, Taschen, Köln 2014, 320 Seiten, 49,99 Euro

„My Buddy“ verdient eine weibliche, sagen wir: lesbische Entsprechung. Es wäre kein Soldatinnenbuch. Sondern müsste handeln von: Krankenschwestern an der Front. Es gäbe vermutlich viel zu entdecken.

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