Geschmeide aus Klang

ACCESSOIRE David Bizer hat kein Faible für Mode oder Schmuck – und ist Kettendesigner. Er verkauft personalisierte 3D-Druck-Anhänger

„Zu 90 Prozent schicken die Käufer ein ‚I love you‘ für die Form der Kette“

DAVID BIZER, 3D-SCHMUCKDESIGNER

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

David Bizer, 32, ist ein Unternehmer wider Willen. Eigentlich waren seine „Waveform Jewelry“ nur ein Nebenprodukt seiner Abschlussarbeit über digitale Produktion. Er wollte zeigen, dass man längst auch Entwürfe im Netz präsentieren kann. Und dass, wenn sie gefallen, daraus ein Unternehmen werden kann. Bizer bekam die drittschlechteste Note seines Jahrgangs. „Die Professoren haben lieber Arbeiten gesehen, die einen gesellschaftlichen Nutzen hatten. Computer-produzierte Produkte waren denen ein Graus.“ Das war 2008. Inzwischen kann Bizer die Bestellungen kaum noch abarbeiten.

Jeans trägt er, als er das erzählt, einen gestrickten Star-Wars-Pullover und Drei-Tage-Bart. Mit einer computergesteuerten Fräse schneidet er Acrylscheiben in verschiedenen Größen aus und fädelt sie so auf eine Lederschnur, dass sie wie die Hüllkurve eines kurzen Klangs aussehen. Die Form der Kette ergibt sich durch einen kurzen Satz, den der Träger mit einem Sprachrekorder selbst aufgenommen und geschickt hat. „In 90 Prozent der Fälle ist es ‚I love you‘“.

Bizer reiht die Scheibchen aus Kunststoff oder Holz so aneinander, dass man sie als Halskette, Armband oder Schlüsselanhänger tragen kann und verschickt das Schmuckstück per Post. Je nach Material kostet das zwischen 30 und 100 Euro plus Versand. Selbst Versionen aus Silber und vergoldetem Messing, die mit einem 3D-Drucker gefertigt werden, bietet der Unternehmer inzwischen an. Inspiriert wurde Bizer durch Firmen, die online die Herstellung von individuellen Produkten anbieten, etwa „Spreadshirt“, die T-Shirts in kleinen Auflagen drucken.

„Ohne das Internet hätte das alles nie funktioniert“, sagt er. Nach Studienabschluss veröffentlichte er seinen Entwurf im Portfolio auf seiner Website, weil man das eben so macht. Bald trudelten die ersten Bestellungen ein, auch wenn das gar nicht so geplant war. „Ich habe es den Leuten nicht einfach gemacht, mich zu kontaktieren. Aber wenn es jemand geschafft hatte, wollte ich ihn nicht enttäuschen.“

So kam Bizer zu einem eigenen Geschäft. Was folgte, war eine Start-Up-Entwicklung fast wie aus dem Betriebswirtschafts-Schulbuch, das Bizer freilich nie gelesen hat, ganz ohne Business Angels und Venture Capital. Wie ein klassischer Gründer hörte er auf den Markt und lieferte, was dieser per Email bestellte. Wenn auch erst nach Widerstand. Als ihm die Bestellungen „zu stressig“ wurden, veröffentlichte er im Netz eine Anleitung, wie man sich die Ketten selbst macht. Das Resultat: Noch mehr Bestellungen. „Die Kunden haben gesehen, dass das doch nicht so einfach ist, wie es aussieht. Da habe ich gelernt, dass es etwas bringt, wenn die Leute von dir klauen wollen.“

Er gestaltete seine Website zum Online-Shop um, richtete einen Paypal-Account ein, und erhält inzwischen täglich fünf bis zehn Bestellungen. In Deutschland verkauft er relativ wenig, die meisten Bestellungen kommen aus dem Ausland. Von seinen aufgefädelten Soundfiles kann Bizer in Berlin inzwischen ganz gut leben – obwohl er seinem eigenen Produkt immer noch reserviert gegenübersteht: „Für meine Abschlussarbeit habe ich nach etwas gesucht, dass man leicht mit 3D-Programmen entwerfen kann, das eine Maschine wie ein 3D-Drucker oder eine Laser-Fräse schnell, aber individuell produziert und für das die Leute bereit sind, Geld auszugeben.“ Das alles gilt für Schmuck. „Dabei habe ich selbst eigentlich gar keinen Bezug zu Schmuck. Und ich würde diese Ketten auch selbst nicht unbedingt tragen.“

Die These seiner Abschlussarbeit über digitale Produktion hat Bizer inzwischen selbst bewiesen. „Ich habe mir keine Maschinen angeschafft, keine Mitarbeiter angestellt und keinen Kredit aufgenommen.“

Inzwischen produziert Bizer die Scheibchen für seine Ketten im FabLab in Berlin – hier kann man stundenweise Geräte mieten – und fädelt sie in einem ziemlich vollgestellten Büro auf, das er sich mit einer Gruppe von Designern teilt. In der Vorweihnachtszeit musste er Helfer anstellen, die ihn beim Fädeln unterstützen – unter anderem die schulpflichtige Tochter seines Programmierers, die für ihn die Schutzfolie von den Plättchen aus der Laser-Fräse abpulte.

„Am Anfang hatte ich plötzlich viele Bestellungen, wenn mein Schmuck in einem Blog erwähnt wurde“, sagt er. Doch inzwischen sind solche „Peaks“ der Normalfall geworden. „Wenn jemand eine Kette von mir bekommt, posten die Leute oft ein Bild auf Facebook, und das bringt mir neue Kunden.“ Und bei Micro-Blogs wie Tumblr und Pinterest „verschwindet man nicht mehr einfach so im Archiv. Wer da nach Schmuck sucht, findet die Postings über meine Arbeit und bestellt unter Umständen.“

Ganz glücklich wirkt Bizer trotz allem nicht. „Ich bin eigentlich ein Unterstützer des bedingungslosen Grundeinkommens. Am liebsten wäre es mir, wenn der Staat mir ein kleines Gehalt zahlen würde. Dann könnte ich an meinen Entwürfen arbeiten und sie verbreiten. Aber solange es das nicht gibt, ist halt dieser Schmuck mein Grundeinkommen.“