Kolumne Die eine Frage: Die Jägerschnitzelfrau

„Ich bin auf Partys immer die Betrunkenste“, sagt Ildiko von Kürthy. Aber warum verweigern Sie One-Night-Stands? Im Café mit der Bestsellerautorin.

Sie muss den Massengeschmack nicht suchen. Sie sei der Massengeschmack, sagt Ildiko von Kürthy. Bild: dpa

Ich komme schwer erkältet, und als Erstes warne ich sie, aber Ildiko von Kürthy lacht und sagt: „Sie können mich jederzeit küssen, kein Problem“. Also: Das fängt ja mal wirklich interessant an.

Sie hat ein Café am Hamburger Mittelweg betreten, ein Kilometer südlich von Harvestehude, wo sie mit Kleinfamilie lebt. Nachher holt sie den älteren Sohn von der Schule ab. Sie trägt perfect casual: eine leichte Kapuzenjacke und Jeans. Man hört ihr die Aachener Herkunft an.

Kürthy hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten einige Millionen Bücher verkauft. Es fing an mit dem Superbestseller „Mondscheintarif“: Cora Hübsch, 33, wartet nach dem ersten Geschlechtsverkehr, dass ER sie anruft. Und es ging so weiter.

Selbstverständlich muss sie häufig herhalten für pauschale Ablehnung der Unterhaltungsindustrie. Für Kulturpessimismus. Für Abgrenzungsbedürfnisse und Neidreflexe eines geistigen Mainstreams, der sich gegen Mainstream verwahren will. Ich habe ihr Werk vor zehn Jahren auch als „Oberschenkelliteratur“ bezeichnet. Jetzt interessiert mich: Was hat Kürthy ihren Leserinnen heute zu geben?

Wie kriegt man als Frau ein gutes Leben hin

Unsere Autorin hat sich bewusst von ihrem Glauben verabschiedet, doch der religiöse Phantomschmerz bleibt. Warum wird sie Gott nicht los? Eine Spurensuche bei einem Religionswissenschaftler, einem Psychologen und im Kloster lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20./21. April 2014. Außerdem: Warum wir Verräter wie Judas brauchen. Was Versteckexperten raten. Und: Bela B. von den Ärzten über seinen Rolle als Vater, graue Haare und Spermaflecken auf dem Rücksitz. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ihr neues Buch, „Sternschanze“, handelt auf der ersten Ebene von einer nicht berufstätigen Frau von 43 Jahren („Nicki“), deren beruflich erfolgreicher Mann („Oliver“) sich von ihr trennt, weil sie einen Liebhaber hat („Tom“). Es geht auch um Falten, Übergewicht und das Übliche. Aber auf der zweiten Ebene ist „Sternschanze“ ein Essay zur Frage, wie man als Frau ein gutes Leben hinkriegen kann, wenn es ernst geworden ist. Es geht um verlorene Kinder, das Sterben und den Verlust der Eltern. Die Bedingungslosigkeit einer Vaterliebe. „Meine Bücher sind so wie ich“, sagt Kürthy, „sie werden mit mir erwachsener, nachdenklicher, melancholischer.“ Sie ist jetzt 46.

Es ist ein Risiko, das sie eingeht: Goutieren ihre Leserinnen die neuen düsteren Passagen? Sie hofft. „Das Sterben der Eltern beschäftigt alle Frauen in meinem Alter“, sagt sie, „selbst wenn die Eltern noch gesund sind.“

Grundsätzlich muss sie den Massengeschmack nicht suchen. Sie sei der Massengeschmack. „Ich bin in vielerlei Hinsicht nicht individuell, finde das ganz gut, und das macht mich erfolgreich“, sagt sie. Beim Stern, für den sie bis 2005 zehn Jahre Unterhaltungsredakteurin war, galt sie als „nettes Mädel“, das in Redaktionskonferenzen nicht weiter auffiel; und auch nicht mit ihren Geschichten. Sie ist „so ein Jägerschnitzeltyp“. Wenn sie einen Song gut findet, ist der hundertprozentig schon in den Charts. Und was sie wählt, ist immer regierungsfähig. Also Merkel? Ja, Merkel. Sie findet, man soll wählen, aber hinterher auch dazu stehen. Dass eine weitgehend konformistische Mittelschicht sich in Nonkonformismus-Fantasien geriert, findet sie „unreif“.

In einem ist Ildiko von Kürthy allerdings gar nicht Mainstream: Sie macht sich das Leben leicht und ist schnell mit sich zufrieden. „Ich kenne fast nur Frauen, die es sich wahnsinnig schwermachen, alles richtig machen wollen, Kinder, Karriere, Partnerschaft, Fettverbrennung, sich unglücklich planen und darunter sehr leiden.“ Sie leidet nicht mal beim Schreiben ihrer Bücher, wie sich das für Literaten gehört. „Es geht mir darum, beim Schreiben eine gute Zeit zu haben, Lebensqualität zu gewinnen, Türen zu öffnen.“ Ihre Arbeitsmethode geht so: Sie verarbeitet, was sie erlebt und fühlt. Und findet beim Schreiben heraus, was es bedeutet. „Finden Sie mal eine Autorin, die von sich sagt, dass sie es sich leicht macht“, sagt sie.

Mit Schwächen nicht mehr hadern

Im Gegensatz zu ihren Protagonistinnen hat sie aufgehört, mit ihren Schwächen zu hadern. Ihre Figur Rona van Dongen sagt es so: „Hör auf, auf deine hässlichen Füße zu glotzen, wenn du schöne Titten hast.“ Sie empfindet die Schwächen immer mehr als Schattenseiten ihrer Stärken.

Heißt? „Ich bin irrsinnig schnell beleidigt und fast nicht fähig, Kritik anzunehmen, aber dafür bin ich auch empfindsam und sehr emotional zu anderen.“ Wie wirkt sich die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, aus, wenn ihr Mann ihre Bücher lektoriert?

„Es gibt unfassbaren Ärger.“

Sie habe noch die Streitkultur eines Teenagers. „Ich bin aber auch teenagerhaft, wenn Sie mir einen Pfannekuchen backen. Dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt.“ Sie ist auch Kolumnistin der Frauenzeitschrift Brigitte, hat für die mal einen Test gemacht: in fünf Wochen so jung und schön wie möglich. Kein Alkohol, früh ins Bett, gesunde Ernährung, Sport, Botox.

Wie war’s?

Sie sah gut aus, Botox war okay, aber gesund essen macht ihr keinen Spaß, früh ins Bett gehen auch nicht. Und: „Ich liebe es, mich abends mit meinem Mann schön gemächlich zu beduseln.“ Das sei ihr Lebensthema: nicht aufhören können. Nicht mit Schokolade, nicht mit Gesprächen. „Ich bin auf Partys immer die Letzte, immer die Betrunkenste, immer die Lustigste. Ich finde nicht das richtige Maß.“

Das geht so weit, dass sie One-Night-Stands stets verweigerte. „One-Night-Stand ist mir total fremd. Ich habe fast alle Männer geheiratet, mit denen ich geschlafen habe.“

Oh. Es sind bisher zwei. Weil: „Warum etwas nicht wieder tun, wenn es gut war?“

Im besten Fall sieht man so aus, wie man ist, sagt Ildiko von Kürthy. Wenn das so sein sollte, ist sie eine glückliche Frau.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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