Treffer, versenkt

ANGRIFF Vor 100 Jahren torpedierte ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff Lusitania mit 2.000 Passagieren. Die Kaiserliche Marine hatte die Versenkung lange geplant – Deutschland jubelte über den Massenmord, das Ausland war entsetzt

VON JÖRG SUNDERMEIER

Im Mai 1915 fühlte sich Thomas Mann pudelwohl. Er feierte nämlich, wie er in seinen 1918 erschienenen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ freimütig bekannte, „die Vernichtung jenes frechen Symbols der englischen Seeherrschaft“, mit der „einer immer noch komfortablen Zivilisation“ und „dem welterfüllenden Zetermordio humanitärer Hypokrise die Stirn geboten“ werde.

Gemeint war das von Mann als „Riesenlustschiff“ bezeichnete Passagierschiff Lusitania, das vom deutschen U-Boot U 20 am 7. Mai 1915 versenkt worden war. Thomas Mann war mit seinem Glücksgefühl nicht allein. Kronprinz Wilhelm etwa telegrafierte an den Kaiser: „Hier große Freude über die Torpedierung der Lusitania.“

Die RMS Lusitania nämlich war nicht irgendein Schiff. Und ihre Versenkung durch die deutsche Marine sollte den Verlauf des Ersten Weltkriegs deutlich verändern. Diese Versenkung führte schließlich dazu, dass die bis dato unwilligen USA in den ersten Weltkrieg eintraten.

Doch der Reihe nach. Die Lusitania war bei ihrer Indienststellung im Jahr 1907 das größte Schiff der Welt, ein prachtvoller Dampfer, der über 2.000 Passagiere befördern konnte, daneben arbeiteten rund 800 Menschen auf dem Schiff. Die Lusitania war luxuriös ausgestattet, gemeinsam mit ihrem Schwesterschiff, der RMS Mauretania, war sie der Star der Reederei Cunard Line. Sie galt schon bald, da sie schwere Stürme überstanden hatte, als sehr zuverlässiges Schiff und anders als die Titanic, die fünf Jahre später auf ihrer Jungfernfahrt sank, hätte die Lusitania, so meinen Experten, wohl auch die Kollision mit einem Eisberg überstehen können.

Mit der Lusitania und der Mauretania war es der britischen Cunard Line zudem gelungen, mehrfach Rekorde für die Überquerung des Atlantiks aufzustellen. Mit diesem Erfolg wurde zugleich das deutsche Kaiserreich vorgeführt, das sich unbedingt als Seemacht auszeichnen wollte und dessen Schiffe zuvor einige Rekorde hatten aufstellen können. Diese Zeiten waren nun vorbei. Den „Riesenlustschiffen“ wurde dies von deutschnationaler Seite nie verziehen.

Wie der Kulturwissenschaftler Willi Jasper in seiner sehr lesenswerten Studie „Lusitania. Kulturgeschichte einer Katastrophe“ (Bebra Verlag, Berlin 2015, 208 Seiten, 19,95 Euro) minutiös rekonstruiert, war die Versenkung des Schiffes, bei der etwa 1.200 Menschen, darunter 94 Kinder, starben, von der deutschen Marine geplant.

Bevor das Schiff am 1. Mai 1915 zu seiner 202. Überquerung des Atlantiks aufbrach, hatte die „Imperial German Embassy“ im Auftrag der deutschen Regierung in amerikanischen Tageszeitungen Anzeigen drucken lassen, in denen davor gewarnt wurde, die Reise über den Atlantik anzutreten – teilweise direkt unter Werbebildern der Cunard Line für Reisen auf dem „fastest and largest steamer now in atlantic service sails“. Auch hatten einige prominente Passagiere anonyme Telegramme erhalten, die vor der Mitfahrt warnten.

Die Lusitania konnte wegen ihrer hohen Fahrgeschwindigkeit unmöglich von U-Booten eingeholt werden. Dies wog die Passagiere in trügerischer Sicherheit. Doch am 7. Mai musste vor der irischen Küste der Kurs neu berechnet werden, dafür verringerte der Dampfer seine Geschwindigkeit stark.

Obschon der Kapitän des Schiffes, William Turner, mehrere Hinweise der britischen Admiralität auf ein feindliches U-Boot auf seiner Stecke erhalten hatte, wollte er die drohende Gefahr nicht erkennen. Der Kapitänleutnant Walther Schwieger, der das deutsche U-Boot U 20 führte, erkannte das Schiff hingegen recht bald und gab den Befehl, es ohne Vorwarnung zu torpedieren. Der Explosion, die der Torpedo verursachte, folgte eine zweite heftige Explosion an Bord, vermutlich eine Kohlenstaubexplosion. Das Schiff sank in weniger als zwanzig Minuten, und viele, die sich hatten ins Wasser retten können, wurden vom sinkenden Schiff hinunter gezogen. Als die Rettungsschiffe eintrafen, waren sie mit einem schwimmenden Leichenteppich konfrontiert, konnten aber immerhin fast 800 Menschen retten.

Im Ausland kochte, insbesondere wegen der Ermordung von beinahe 100 Kindern, eine antideutsche Stimmung hoch. Deutsche Geschäfte wurden geplündert und Zeitungen in den Vereinigen Staaten forderten den sofortigen Kriegseintritt gegen die deutschen „Hunnen“.

Der Kapitänleutnant der U 20, Schwieger, hingegen wertete seine Tat als Erfolg. Er warf laut Logbuch nur einen Blick zurück, um dann sofort einen britischen Frachter zu jagen. Weit weniger emotionslos blieben seine Landsleute – vor allem Journalisten und Intellektuelle jubelten. Dass in den USA und in England Entsetzen herrschte, da ein unbewaffnetes Schiff kriegsrechtswidrig versenkt worden war, rührte die meisten Deutschen nicht. Im Gegenteil. Ludwig Ganghofer, nach dem noch heute viele Straßen benannt sind, zum Beispiel schrieb: „Vor Jahren einmal, an einem Faschingsdienstag, hab’ ich ein Maskenfest in einem Irrenhaus gesehen. An diesen namenlosen Wirrwarr von tragischem Schauder und grotesker Komik musste ich immer denken, wenn ich die Auslandsurteile über die Torpedierung der Lusitania las …“ Nur wenige sahen damals die wahre Tragweite der Versenkung. Der Anarchist Erich Mühsam notierte in sein Tagebuch: „Es mag also sein, daß vom Standpunkt des Kriegsrechts aus der schauderhafte Mord unangreifbar ist. Gleichwohl – mich ekelt’s hier noch nach Recht und Unrecht zu suchen, wo jedes menschliche Empfinden vor Grauen aufschreien muß. Was war das vor 3 Jahren für ein Jammer auf dem ganzen Erdball, als die Titanic auf einen Eisberg lief. Heut sind wir weit entfernt vom Jammern. ,Laute Freude‘ konstatiert die Münchner Zeitung, weil der ingeniöse deutsche Technikergeist die Maschinen ersonnen hat, die jeden Eisberg weit übertrumpfen und deutscher Heldensinn diese Maschinen ohne falsche Scham sicher und wirkungsvoll zu gebrauchen weiß. Oh Scham vor den Sternen am Firmament!“

Auch Karl Kraus, Heinrich Mann oder Kurt Tucholsky konnten sich der „lauten Freude“ nicht anschließen, doch sie blieben in der Minderheit. Noch im Jahr 1918, ja selbst 1920, als die gekürzte Fassung der „Betrachtungen eines Unpolitischen“ erschien, sah sich Thomas Mann nicht dazu veranlasst, seinen Jubel über den Massenmord zu verbergen, wie sein Sohn Golo bedauernd feststellen musste.

Erst mit den Jahren veränderte sich in Deutschland das Bild von der Untat. Dennoch gibt es auch viele Versuche, die Lusitania zu einem Kriegsschiff umzulügen oder aber zu behaupten, ihre Versenkung sei durch die amerikanische oder britische Regierung und insbesondere durch Winston Churchill in Kauf genommen oder sogar veranlasst worden. So wollen Berufsdeutsche ihre Vorväter und auch ihr Land von dem Vorwurf reinwaschen, dass es schon weit vor Guernica und Coventry gezielte Angriffe der Deutschen auf „feindliche“ Zivilisten gegeben hat.

Denn bereits in diesem Kriegsverbrechen, das vor genau 100 Jahren mit der ausdrücklichen Billigung des Kaisers ausgeführt worden ist, zeigte sich die Ideologie vom „deutschen Sonderweg“, vom Kampf der „Kultur“ gegen die Zivilisation, in ihrer ganzen Grausamkeit. Dass dieser Massenmord hierzulande zumeist beschwiegen oder sogar geleugnet wird, liegt sicher daran. Lieber wird da pauschal aller Toten des Krieges gedacht oder ganz unverbindlich von Schiffskatastrophen geredet – ganz so als handele es sich bei den Morden um Unfälle und Naturkatastrophen. Ereignisse für die niemand verantwortlich gemacht werden kann.