Napalm für alle!

EINZELHANDELSKRISE IN DER HAUPTSTADT Die neue fundamentalistische Dienstleistungswüste Berlin – eine sachliche Bestandsaufnahme

Im halbblinden Schaufenster stehen neben Wasserpfeifen ein paar verstaubte alte Krummsäbel

Neues aus Berlin. Wie kürzlich bekannt wurde, lässt der arabische Investor, dem das Bürogebäude am Ernst-Reuter-Platz 2 gehört, den Interessenten „Scharia-konforme“ Mustermietverträge vorlegen. So wird man im Haus weder „Alkohol, Schweinefleisch noch Massenvernichtungswaffen kaufen können“ (Der Tagesspiegel vom 12. 10. 2010).

Das ist allerdings hart – man stelle sich das nur mal vor: Über die volle Breite eines Hochhauses wird das Angebot an Alkohol, Schweinefleisch und vor allem Massenvernichtungswaffen brutal unterbrochen und so eine klaffende Bresche in den natürlich gewachsenen Einzelhandelskosmos am schönen Ernst-Reuter-Platz gerissen. Immer wenn von nun an ein braver Berliner Bürger heißhungrig oder kriegslustig das Bürogebäude am Ernst-Reuter-Platz Nr. 2 betritt, um ein warmes Schnitzelbrötchen, eine frische Molle oder einen Kanister Napalm zu erstehen, schallt ihm ein böse meckerndes „Nein“ ins arglose Gesicht. Von unserem Deutschland, wie wir es kennen und lieben, grinst uns hier nur noch ein grausames Zerrbild entgegen.

Doch die asketischen Wüstensöhne lachen sich zu früh ins Fäustchen, denn ein Ortstermin zeigt: Längst hat der gewohnt improvisationsfreudige Deutsche Mittel gefunden, die Schikanen der Mullahs und Muftis elegant zu unterlaufen. In den Nachbarhäusern Nummer 1 und 3 werden einfach Kapazitäten und Bestände hochgefahren. Dort kann sich der Bürger gleich doppelt versorgen, um die lange Durststrecke an Haus Nummer 2 vorbei zu überstehen beziehungsweise sich im Anschluss wieder aufzurüsten.

„Wir machen absolute Rekordumsätze“, strahlt Ilka Tausendfreund, die Geschäftsführerin von „Schwein & Friends“ am Ernst-Reuter Platz 1. „Allah sei Dank. Ohne die Scharia nebenan hätten wir längst Personal entlassen müssen!“ In ihrem Laden wimmelt es wie in einem Ameisenhaufen. Die Kunden sind mit Rucksäcken und Rollkoffern ausgestattet, die sie mit Schinken, Schnaps und Mittelstreckenraketen vollstopfen. An der Kasse liegen bunte Handzettel aus, die den Weg zu Haus Nr. 3 beschreiben. „Mit denen arbeiten wir natürlich zusammen“, erläutert Frau Tausendfreund. „Schließlich kommen die Kunden auch oft von der anderen Seite um den Platz herum.“

Unter dem ohrenbetäubenden Quieken aus der hauseigenen Schlachterei verlassen wir das Bürogebäude. Unser Weg führt an Haus Nummer 2 vorbei. Die Adresse wirkt wie ausgestorben. Nur im halbblinden Schaufenster stehen neben eingetrockneten Wasserpfeifen ein paar verstaubte Krummsäbel, doch wer braucht die schon, außer vielleicht um ein Schwein zu schlachten. Offenbar hat man zu diesen absurden Konditionen letztlich doch keinen Mieter gefunden – und das ist gut so. Der Schulterschluss der Anständigen – hier scheint er noch perfekt zu funktionieren. Bier trinkend, singend und Stalinorgel spielend zieht das Volk weitgehend nackt an dem konsumfeindlichen Haus vorüber. „Wer nicht will, der hat schon“, zuckt ein rotgesichtiger Mann mit den Schultern, während er im Gehen zwei Spanferkel verschlingt.

Etwa zwanzig Sekunden lang dauert dieser gruselige Trip durch die fundamentalistische Dienstleistungswüste, dann stehen wir endlich vor „Getränke Hiroshimann“ am Ernst-Reuter-Platz 3. Das Leben hat uns wieder. Auf dem Bürgersteig vor dem Bürogebäude erweitern reich gedeckte Verkaufstische die Ladenfläche. „Beim Kauf jeder Atombombe eine Rostbratwurst gratis“, schreit Inhaber Ansgar Bräsig in die brodelnde Menge. „Zinsgeschäfte! Nordhäuser Doppelkorn!“ Der ehemalige Bundeswehrgeneral und Zirkusdirektor packt fleißig selber mit an und ist sichtlich in seinem Element. Nur als wir ihn auf ein paar Kunden aufmerksam machen, die sich röchelnd auf dem Trottoir winden, wird er ein wenig nachdenklich: „Wir haben probehalber Senfgas zur Bratwurst angeboten, weil das nicht so hässlich kleckert. Viele kommen ja im guten Büroanzug hierher. Aber das scheint sich nicht ganz so zu bewähren.“

Doch gerade das macht letzten Endes den guten Geschäftsmann aus: dass er einerseits den Mut und die Visionen besitzt, um neue Wege zu beschreiten, und andererseits die Ergebnisse reflektiert, analysiert und auch wieder zu korrigieren bereit und in der Lage ist. Um die Zukunft der deutschen Wirtschaft ist uns so nicht bange. ULI HANNEMANN