IM JAHR DES TIGERS: BRUMM, BRUMM

VON CHRISTIAN Y. SCHMIDT

Kurz bevor in Schanghai die „größte Expo aller Zeiten“ (Dietmar Schmitz, Expo-Generalkommissar im Bundeswirtschaftsministerium) am vorletzten Wochenende zu Ende ging, habe auch ich sie noch schnell besucht. Dabei fielen mir die vielen Rollstuhlfahrer unter den knapp 700.000 Tagesbesuchern auf. Rollstuhlfahrer sieht man auf Chinas Straßen eher selten, doch auf dem Expogelände wimmelte es von ihnen. Allerdings schienen etliche gar nicht so schwer behindert zu sein. An Stellen, an denen man mit dem Rollstuhl nicht durchkam, erhoben sie sich ohne Weiteres und marschierten sodann auf beiden Beinen stramm herum.

Bald war mir klar, weshalb viele Rollstuhlfahrer nur behindert taten: Wer sich nämlich auf der Expo durch die Gegend schieben ließ, musste am Eingang der verschiedenen Nationenpavillons nicht in der Schlange warten. Weil hier die Wartezeiten bis zu acht Stunden betrugen, war es kaum verwunderlich, wenn mancher Expobesucher entdeckte, dass ein Querschnittsgelähmter in ihm steckte – zumal die Rollstühle am Eingang gegen geringe Kaution ausgeliehen werden konnten.

Nach der Schlange vor dem chinesischen Pavillon war übrigens die vor dem deutschen am längsten. Weshalb die hauptsächlich chinesischen Expobesucher hier mehr als sechs Stunden ihrer Lebenszeit verschwendeten, war mir schleierhaft. Vielleicht zogen die Chinesen „unseren“ Pavillon den anderen vor, weil das, was in ihm präsentiert wurde, irgendwie den falschen Rollstuhlfahrern ähnelte. Unter der Überschrift „Balancity“ versprach man nämlich Ansichten einer „Stadt im Gleichgewicht“ „zwischen Erneuern und Bewahren, Innovation und Tradition, Stadt und Natur“. Und so kam denn auch das Innere des Pavillons zunächst einmal ziemlich grün und zivilgesellschaftlich daher. Hier sang ein Kirchenchor, dort lebten welche in „Mehrgenerationenhäusern“, anderswo las man Julia Franck und konnte mit „Thermo Hanf“ bei „feinkörnigem Nutzungsmix“ „Freiräume gestalten“.

Wer aber genauer hinsah, entdeckte, dass das ganze Getue letztlich nichts mehr als die Verpackung zu einer großen Verkaufsveranstaltung war. An allen Pavillonecken blinkten deutsche Produkte: Eine Stihl-Motorsäge, ein Stückchen Kunststoff von BASF, in erster Linie aber die neuesten Innovationen der deutschen Automobilindustrie. Zwar gab die sich mit einem angeblichen „Zero-Emission-Van“ von VW und dem „Car2go“-Carsharing-Programm von Daimler auch ein bisschen öko. Doch gleich vor dem Eingang stand das, was man in China wirklich verkaufen will: Ein Porsche 911 Carrera 4 (345 PS, 280 km/h, 11,3 Liter auf 100 km) und ein Mercedes 400 der S-Klasse (CO2-Ausstoß: 191 Gramm pro Kilometer).

Natürlich kann man Deutschland so präsentieren, denn tatsächlich ist ja das Produzieren, Fahren und Verkaufen von Autos das, was die Essenz dieses seltsamen Landes ausmacht. Doch warum heißt ein deutscher Pavillon dann „Balancity“? Hätte man mich um einen Namensvorschlag gebeten, ich hätte „Brumm, Brumm“ gesagt.