die wahrheit: Schwuler Sinkflug

DER HX. MANN EXTRA Guido Westerwelles aalglatter Niedergang

Der verklemmte Umgang mit seinem Sosein beschert Westerwelle in schwulen Kreisen viele Feinde. Bild: reuters

Selten ließ sich ein Politiker derart minutiös beim freien Fall beobachten wie derzeit der große Vorsitzende Guido Westerwelle. Seine Partei sinkt, der FDP-Vorsitzende sinkt, der Außenminister sinkt - ein Absturzflug in jeder Hinsicht. Sein Beitrag dazu ist hinlänglich bekannt, seine Fehler sind belegt und analysiert. Eine Leerstelle bleibt - der Mann ist schwul, und welchen Anteil hat diese Tatsache an seinem Niedergang? "Man kann es erschnuppern, beweisen kann man es nicht", schreibt dazu Fritz J. Raddatz im aktuellen Focus. Und führt dann aus, dass sehr wohl das Wissen um Westerwelles Homosexualität schuld sei an seinem Autoritäts- und Sympathieverlust. Weil er keinen Erfolg habe. Meint umgekehrt, Anerkennung und Toleranz gibt es nur für erfolgreiche Schwule - siehe von Beust, siehe Wowereit.

Des Volkes Meinung legt sich da nicht so fest. Einer aktuellen Emnid-Umfrage zufolge halten 22 Prozent der Deutschen Westerwelles Homosexualität für problematisch, 75 Prozent dagegen meinen, sie habe überhaupt keine Bedeutung für seine Amtsführung. 75 zu 22: Hört sich gut an, und doch scheint eines klar: "Nach wie vor ist die Toleranzdecke dünn, die in der Politik über eine homosexuelle Orientierung gebreitet wird." So beurteilt der Politikberater Michael Spreng die Lage.

Was haben von Beust und Wowereit, was Westerwelle nicht hat? Mehr Erfolg? Der eine hat schon abgedankt, der andere musste seine Kanzlerpläne ad acta legen - das kann es also nicht sein. Keiner von den dreien ist der Prototyp des emanzipierten Schwulen, wahrlich nicht. Öffentlich über ihre Homosexualität geredet haben sie erst, knapp bevor der Kessel explodierte. Der eine, von Beust, ließ reden, der andere, Wowereit tats mit Aplomb, so richtig peinlich war eigentlich nur Westerwelle. Nach jahrelangem Getuschel, bis es der letzte Depp endlich kapiert hatte, ließ der Rheinländer erst die Katze aus dem Sack, nachdem er einen Mann an seiner Seite hatte, einen seriösen, erfolgreichen, vorzeigbaren Mann. Und den präsentierte er unter Muttis Obhut, auf der Geburtstagsparty von Angela Merkel.

Guido Westerwelle gehört zu den Homosexuellen, die nicht homosexuell sein wollen. Und davon gibt es - nebenbei bemerkt - gar nicht so wenige. Aber so viel hat er von der Lage des Homosexuellen in dieser Gesellschaft schon begriffen, dass er weiß, um einigermaßen unbeschadet und ohne große Verleumdungen und Beleidigungen über die Runden zu kommen, kann er nur als Paar auftreten. Die möglichst naturgetreue Nachbildung der heterosexuellen Lebensform ist der einzige Garant dafür, hierzulande nicht gleich wieder entsorgt zu werden im Kinderficker-, Sexbesessenen- oder Verführerklischee. Ein Fleißkärtchen obendrauf gibt es noch, wenn die Partnerschaft legalisiert ist. An all diese Regeln hat Westerwelle sich brav gehalten, nie auch nur annähernd den Eindruck erweckt, ein lebensfroher Mann zu sein, der auch noch Spaß hat am Sex mit anderen Männern. "Mein Schlafzimmer gehört mir", tönte er immer wieder, und das Wörtchen "schwul" kam öffentlich nie über seine Lippen.

Dieser völlig verklemmte Umgang mit seinem Sosein hat Westerwelle - der nach seiner offiziellen Karriere bis hin zum Außenminister eigentlich ein ideales "role model" abgegeben hätte für schwule Nachahmer - in der schwulen Gemeinde die offene Feindschaft beschert. Die Buttonaktion "Gays Against Guido" des Berliner Künstlers Wolfgang Müller war in der Szene ein großer Erfolg. Einen ehrlichen, handfesten Schwulen hatten sie sich gewünscht, der auch mal in die Bütt steigt für sie und was riskiert dabei, der das offene Wort nicht scheut und ruhig auch mal daneben greift, so einen, wie Wowereit, der sich etabliert hat als schwuler Held, der hätte alle Sympathien und Unterstützung von schwuler Seite erhalten.

Diese Ehrlichkeit, das Authentische - wie man heute sagt -, das vermissten auch die anderen, die nichtschwulen Menschen an Westerwelle. Wahrscheinlich hätten sie ihn sogar mal als Ledermann im Sling von Toms Bar ausgehalten - stattdessen präsentierte er sich ihnen nur aalglatt, in aggressiver Arroganz, als Besserwisser und Streber, als ein Emporkömmling, der verächtlich auf die zurückblickt, die hinter ihm geblieben sind. Alles an ihm ist kalkuliert und kontrolliert. Seine Homosexualität bot ihm die Möglichkeit, sich auch mal offen zu zeigen, quasi menschlich und mitmenschlich, aber er hat diese Chance nicht genutzt. Auch dafür bekommt er jetzt seine Quittung. "Glaubwürdigkeit", resümiert Roland Nelles auf Spiegel Online Westerwelles Dilemma, "entsteht dadurch, dass man sagt, was ist - und nicht durch Selbstbetrug." Das gilt für den Politiker Westerwelle wie für den schwulen Politiker Westerwelle gleichermaßen.

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