Die Schönheit der Viren

STICKEN Eine Künstlerin verwandelt die Abbilder tödlicher Erreger in harmlose Deckchen – und schafft es damit auf die Titelseiten von Fachmagazinen

■  Die Künstlerin: Laura Splan, 37, studierte Biowissenschaften und Kunst mit einem Master in Bildhauerei. Sie hält Vorträge an der Stanford-Universität und der New York Academy of Sciences, lebt und arbeitet in New York.

  Die Kunst: Splan kombiniert Bilder aus Anatomie und Medizin mit häuslichen Materialien: Sie verziert Tapeten mit ihrem Blut, stickt eine Tränendrüse in Papiertaschentücher und macht aus Antidepressiva flauschige Kopfkissen.

VON MARIA ROSSBAUER

Das Influenzavirus zum Beispiel schleust sich über unseren Rachen oder unsere Nase ein. Mit seinen spitzen und runden Molekülen auf seiner Hülle imitiert das Virus die Wände der Zellen im Atemtrakt. So nimmt die Körperzelle das Virus gutmütig auf, sie verschmelzen miteinander. Das Virus schlüpft hinein – und übernimmt den ganzen Laden. Nun schmuggelt es seinen eigenen Bauplan in die DNA ihres Wirtes.

Der versklavten Rachenzelle bleibt nichts übrig, als von nun an nur noch Influenzaviren zu bauen. Tausende werden es, bis sie schließlich stirbt. Und am Ende trieft unsere Nase. Bis die Antikörper des Immunsystems den Eindringling wieder rausgeworfen haben. Ohne Hilfe können sich Viren nicht vermehren – sie bestehen gerade mal aus ein wenig Erbgut und einer Hülle darum herum. Sie zählen also nicht einmal zu den Lebewesen. Aber tarnen können sich die Viren.

Gerade wegen ihrer Fähigkeiten, sich einzuschleichen, können Viren eines ganz besonders: gut aussehen. Das jedenfalls dachte sich die New Yorker Künstlerin Laura Splan. Sie war vor allem von den kugelförmigen Viren fasziniert, von ihrer Symmetrie und ihren Verkleidungskünsten. Splan, die einmal Biowissenschaften studierte, besorgte sich aus medizinischen Fachbüchern Strukturbilder von ein paar Viren und fütterte eine Stickerei-Software damit. Dort legte sie jeden der Stiche exakt fest, drehte und bastelte hin und her, bis die Viren so exakt wie möglich den natürlichen Vorbildern entsprachen, nur eben zweidimensional.

Dann erst durften ihre Deckchen die computergesteuerte Nähmaschine verlassen, in einem Hinterzimmer eines Coffeeshops in Brooklyn.

Gerade wegen ihrer Fähigkeiten, sich einzuschleichen, können sie eines ganz besonders: gut aussehen

Als Tischunterlage wie in Omis Wohnzimmer finden sich darauf nicht nur der Influenza-Erreger. Sondern auch tödliche Viren wie HIV oder hochansteckende wie Sars, dem in Asien in einer 2002 ausgebrochenen Pandemie fast 1.000 Menschen zum Opfer fielen. Splan bastelt die Struktur der Viren dabei so genau nach, dass selbst Forscher mit den „Doilies“ – ihren Spitzendeckchen – aufwarten: Sie hingen auf naturwissenschaftlichen Ausstellungen, wurden von Mikrobiologen auf Präsentationen vorgeführt und zierten Titelblätter von Fachmagazinen.

Der Liebling der Künstlerin ist das Herpes-Virus. Es hat die schönsten Spitzen und ist am dekorativsten, sagt Splan. Seine Hülle sieht aus wie eine Blumenwiese, das Genom räkelt sich in der Mitte wie ein Spinnennetz. Drei Viertel aller Deutschen tragen das Virus in sich – ein Leben lang. Und wenn die Sonne drauf scheint oder der Mensch sich zu sehr stresst, boxt es sich gegen unser Immunsystem durch – und zaubert hässliche Bläschen auf die Lippen.

Das traut man ihm eigentlich gar nicht zu, dem schönen Virus.