Ein Twitterbot zum Verlieben

ONLINE Profile auf Twitter und Facebook werden oft von Programmen kontrolliert. Sie werden selten erkannt, können aber menschliche Beziehungen verändern

„Wir haben festgestellt, dass sobald ein Twitterbot als Mensch akzeptiert wurde, diese Einschätzung nur selten infrage gestellt wird“

TIM HWANG

Es ist nicht mehr einfach, im Netz zwischen Mensch und Maschine zu unterscheiden. Ist der oder die Unbekannte gegenüber, mit dem – oder der – man seit Wochen flirtet, ein Mensch oder nur ein Flirtprogramm? Ist die attraktive Frau, die mit einem befreundet sein will, echt? Oder nur ein Roboter, der Daten abfischen will?

Profile auf den sozialen Netzwerken werden häufig von Programmen, auch Socialbots genannt, kontrolliert. Manche erledigen offensichtlich automatisierte Aufgaben, wie etwa Twitter nach Schlagworten zu durchsuchen und die gefundenen Meldungen wiederzugeben. Doch viele andere dieser Programme sind kaum noch von Menschen unterscheidbar.

Zwei neue Studien haben nachgewiesen, dass es erstaunlich leicht ist, Bots in Onlinenetzwerke einzuschleusen, und dass sie überraschende Auswirkungen auf die menschlichen Nutzer haben können.

Im ersten Fall erforschten Wissenschaftler der kanadischen University of British Columbia das Netzwerk Facebook, indem sie Programme schrieben, die gefälschte Konten auf Facebook führten. Mit Erfolg: Ein Fünftel der Freundschaftseinladungen der Botkonten auf Facebook wurde angenommen. Sie erhielten so innerhalb einer Woche Zugriff auf tausende werberelevante Datenpunkte – Alter, Adressen und Telefonnummern. Auch das Abwehrsystem Facebooks versagte: Von 102 Botkonten wurden nur 20 gesperrt.

In der zweiten Studie nahmen sich Tim Hwang und seine Kollegen vom Forschungsprojekt Web Ecology das Netzwerk Twitter vor. Drei Teams versuchten mit selbst geschriebenen Programmen die Verbindungen zwischen 2.700 Nutzern auf Twitter zu beeinflussen. In den Erfolgsindex gingen alle Verbindungen ein, die die Twitterbots mit den Menschen im Netzwerk aufbauen konnten, sowie alle namentlichen Nennungen des Programms durch die menschlichen Nutzer.

Auch hier hatten die Forscher Erfolg: Im Schnitt folgten den Programmen 62 Nutzer und sie wurden 33 mal erwähnt. Doch auch das Netzwerk hatte sich verändert: Durch den Einfluss der Bots waren auch die Verbindungen zwischen den Menschen angestiegen.

„Unsere ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass solche Bots soziale Gruppen stark beeinflussen können“, sagt Tim Hwang. Mit Schwärmen dieser Programme könnten viel größere Effekte erzielt werden, ganze Onlinenetzwerke könnten beispielsweise aufgebaut und zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine Werbekampagne genutzt werden.

Andererseits können sie auch eingesetzt werden, um missliebige Netzwerke zu bekämpfen: „Programme, die Gruppen zusammenbringen, können Gruppen auch sprengen.“ Aufstände, die über soziale Netzwerke organisiert werden, könnten durch einen Schwarm von Socialbots effektiv bekämpft werden.

Doch schon die Experimente, das Sozialverhalten von Nutzern ohne das Wissen der Betroffenen zu steuern, sind höchst umstritten. „Man kommt da in ethisch fragwürdige Gebiete“, gibt Hwang zu. Doch Bots würden schon jetzt im Netz eingesetzt und seien für fragwürdige Zwecke für rund 25 Euro zu kaufen. „Je mehr wir über Bots wissen, desto besser können wir Menschen helfen, sie zu erkennen und sich dagegen zu verteidigen.“ Sein Team veröffentliche deshalb alle Informationen über die Experimente nachträglich, inklusive des Quelltexts der eingesetzten Roboter.

Die Ergebnisse der Studien offenbaren eine der größten Schwächen von Onlinenetzwerken: die Nutzer selbst. „Wir haben festgestellt, dass sobald ein Twitterbot als Mensch akzeptiert wurde, diese Einschätzung nur selten infrage gestellt wird“, so Tim Hwang.

Das Problem ist in Diensten wie Twitter schon angelegt: Durch die Kürze der Nachrichten verschwimme, ob auf der anderen Seite Intelligenz oder Algorithmen stecken würden.

Und die Programmierer werden gewiefter: Um ihre Programme besser zu tarnen, schrieben Hwang und Kollegen ein Programm, das regelmäßig Menschen vorwarf, Twitterbots zu sein. Die entrüsteten Antworten werden aufgezeichnet und von anderen Twitterbots eingesetzt.

Hwangs Twitterbots sind gut, sehr gut. So gut, dass sie heikle Situationen herbeiführen können. Beispielsweise als sich ein Twitter-Nutzer in einen „weiblichen“ Twitterbot verliebte. Als der Nutzer immer mehr flirtete, schalteten Hwang und Kollegen das Programm ab. LALON SANDER