Streikwille vor Gericht eingefroren

Bahn-Vorstand und Lokführer folgen einem Vergleichsvorschlag der Richterin: Während des Vermittlungsversuchs durch Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler sollen die Züge rollen. Arbeitsrechtsexperte ist skeptisch: Mediation „weder Fisch noch Fleisch“

AUS NÜRNBERG WOLF SCHMIDT

Die Boulevardblätter feierten sie schon als knallharte Ramborichterin. „Diese Frau bewahrt uns vor dem Bahn-Streik“, titelte am Donnerstag die Münchner Abendzeitung. Gemeint ist Silja Steindl, 46, Richterin am Nürnberger Arbeitsgericht, die der Lokführergewerkschaft GDL am Mittwoch im Eilverfahren untersagt hatte, den Fern- und Güterverkehr zu bestreiken – und dafür heftig kritisiert worden war. Nun hat sich die Arbeitsrichterin als Diplomatin gezeigt und die beiden Streithähne im Widerspruchsverfahren zu einem Vergleich bewegt. Nachdem die Bahn und die Lokführergewerkschaft am Donnerstagabend mit Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf zwei Moderatoren benannt hatten, ist dieser Waffenstillstand ein weiterer Schritt der Annäherung.

Nach fünf Stunden Verhandlung mit mehreren Unterbrechungen und Vieraugengesprächen einigten sich Vertreter von Deutscher Bahn und GDL im Nürnberger Arbeitsgericht auf eine Abkühlungsphase im hitzigen Tarifstreit. Die Lokführergewerkschaft verzichtet während des Vermittlungsverfahrens der beiden ehemaligen CDU-Spitzenpolitiker Geißler und Biedenkopf bis mindestens zum 27. August auf Streiks in ganz Deutschland – sowohl im Nah- und Fernverkehr als auch im Güterverkehr. Die Bahn verzichtet im Gegenzug auf „arbeitskampfbezogene Maßregelungen“ von Angestellten, beispielsweise Abmahnungen wegen der Beteiligung an S-Bahn-Streiks in den vergangenen Tagen. Gleichzeitig werden alle laufenden Prozesse, die die Bahn gegen die Gewerkschaft zurzeit anstrengt, nicht weiterbetrieben. Alle einstweiligen Verfügungen zu einem Streikverbot gelten als erledigt.

„Die Gewerkschaft streikt nicht, wir prozessieren nicht“, fasste Bahn-Verhandlungsführer Werner Bayreuther das Ergebnis zusammen. „Wir frieren alles auf dem Stand von heute ein.“ GDL-Chef Manfred Schell hatte in der Verhandlung vor dem Nürnberger Arbeitsgericht noch einmal betont, dass man einen eigenen Tarifvertrag für die Lokführergewerkschaft anstrebt. Die Bahn lehnt dies jedoch nach wie vor ab und beruft sich auf das Prinzip der „Tarifeinheit“.

Dies wird denn auch einer der Knackpunkte in den Moderationsgesprächen sein, die nach Angaben von GDL-Chef Schell bereits am Montag starten könnten. Eigener Tarifvertrag für die GDL oder nicht – hier eine Annäherung zu finden wird die erste und zentrale Hürde von Geißler und Biedenkopf sein. Danach wird es um die Höhe des Abschlusses gehen. Die Gewerkschaft verlangt für Lokführer und Zugbegleiter bis zu 31 Prozent mehr Lohn. Den von der Bahn mit den anderen beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA ausgehandelten Tarifvertrag lehnt sie ab. Diese hatten einen Abschluss von 4,5 Prozent mehr Lohn erreicht.

Bereits am Donnerstag hatten sich die Bahn und die Lokführergewerkschaft auf die beiden ehemaligen CDU-Spitzenpolitiker als Vermittler geeinigt: Kurt Biedenkopf, früherer Ministerpräsident Sachsens, wurde von der Bahn vorgeschlagen; Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Neumitglied von Attac, von GDL-Chef Schell.

Sowohl Geißler als auch Biedenkopf sind bereits in Tarifkonflikten als Schlichter aufgetreten. Der Einsatz von Moderatoren in einem Tarifstreit ist hingegen beispiellos. „Das ist nicht Fisch und nicht Fleisch“, sagte der Hamburger Arbeitsrechtsexperte Ulrich Zachert. Anders als bei einem Schlichtungsverfahren hätten sich Bahn und Gewerkschaft im Vorfeld nicht verpflichtet, sich dem Urteil der Vermittler am Ende auch zu unterwerfen. Der Ausgang ist somit weiter offen.