„Wir sind keine Wahrsager“

Der designierte Wirtschaftsweise Christoph Schmidt erklärt, Ökonomen seien nicht schuld an der Krise. Und er warnt die Politik davor, eine staatliche Notaktion nach der anderen zu machen

CHRISTOPH M. SCHMIDT (46), Leiter des Rheinisch-Westfälische Instituts für Wirtschaftsforschung, wird Wirtschaftsweiser.

INTERVIEW ANDREAS WYPUTTA

taz: Herr Schmidt, während in Berlin über das nächste Banken-Rettungspaket beraten wird, rücken Sie in den Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen auf. Sie haben Konjunkturprogramme immer kritisiert, gehen Sie jetzt in Opposition zur Regierung?

Christoph Schmidt: Angesichts der Schärfe der Krise ist es richtig, dass jetzt der Staat eingreift: Statt um zwei könnte die Wirtschaft dadurch nur um 1,5 Prozent schrumpfen. Das rettet Arbeitsplätze. Um es aber klar zu sagen: Eine Rezession kann der Staat nicht verhindern.

Was halten Sie als Marktwirtschaftler davon, Banken zu verstaatlichen?

Aktuell sind alle verunsichert, ob und wann der Finanzmarkt wieder in Gang kommt. Eingriffe in marktwirtschaftliche Strukturen bergen aber immer die Gefahr, dass Verluste zu einem großen Teil sozialisiert werden. Die Politik sollte deshalb nicht eine Notaktion nach der anderen anschieben, sondern die bisher beschlossenen Maßnahmen erst einmal wirken lassen. Die Bewältigung dieser weltweiten Finanzkrise braucht Zeit.

Droht eine jahrelange Depression? Wirtschaftshistoriker wie Niall Ferguson sprechen bereits von einem „verlorenen Jahrzehnt“.

Das ist nicht mehr als ein schönes Schlagwort. Ich halte es nicht für verantwortlich, derart langfristige Prognosen abzugeben. Vielleicht geht es ja schon am Ende des Jahres wieder aufwärts.

Ökonomen wie Nouriel Roubini, der seit Jahren vor einer Finanzkrise gewarnt hat, kritisieren, ökonomische Modelle schrieben nur die Vergangenheit fort, könnten aber keine Wendepunkte erkennen. Wie aussagefähig sind Prognosen?

Die Wirtschaftswissenschaften werden sich mit der Kritik auseinandersetzen müssen, dass sie Regimewechsel nicht erkennen können.

SPD-Fraktionschef Peter Struck hat dem Sachverständigenrat schon im November Inkompetenz attestiert und seine Auflösung gefordert.

Wir sind keine Wahrsager, richtig. Trotzdem müssen sich nun nicht alle Ökonomen schuldig fühlen. Zu der Finanzkrise haben in erster Linie die Banken und die Politik beigetragen: Die amerikanische Immobilienblase ging doch auf den Wunsch der US-Regierung zurück, Wohneigentum für alle zu schaffen.

Trotzdem: Vor der Krise gewarnt haben auch Sie nicht.

Wir haben in unseren Prognosen seit Jahren auf die US-Immobilienblase hingewiesen und davor gewarnt, dass die USA über ihre Verhältnisse leben. Allerdings haben wir nicht gesagt: Ab 2008 geht’s bergab. Nur ein Gedankenspiel: Was wäre gewesen, wenn die US-Regierung am 15. September die Investmentbank Lehman Brothers vor dem Zusammenbruch bewahrt hätte – dann wäre vielleicht alles anders gelaufen. Hätten wir schon vorher jedes Vierteljahr ein Katastrophenszenario veröffentlicht, wäre uns mit Recht Unseriosität vorgeworfen worden.

Banken und Unternehmen, die jahrelang Gewinne eingefahren haben, nutzen jetzt die Krise, um Verluste zu sozialisieren. Können Sie verstehen, dass bei vielen die Wut wächst?

Ja und nein. Leider ist unser marktwirtschaftliches System auch schon vor der aktuellen Krise stark kritisiert worden – dabei hat es uns ungeahnten Wohlstand beschert. Zur Marktwirtschaft gehört aber auch das Risiko des Scheiterns. Allerdings gibt es im Bankensektor Institute, die so wichtig für das Finanzsystem sind, dass man sie nicht scheitern lassen kann – und dann übernimmt der Steuerzahler die Lasten, obwohl die Eigner zuvor die Früchte geerntet haben. Das System muss deshalb angemessen reguliert werden.

In der Kritik steht auch Ihr Vorgänger im Sachverständigenrat, Bert Rürup. Er hat die „Rürup-Rente“ für Selbstständige erfunden und wechselt jetzt zum Finanzdienstleister AWD, der 80 Prozent seines Umsatzes mit Altersvorsorge macht. Hat sich Herr Rürup kaufen lassen?

Da meine Berufung in den Sachverständigenrat offiziell noch aussteht, möchte ich mich zum Rat und den dort handelnden Personen nicht äußern.