LESERINNENBRIEFE
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Das Problem wird totgeschwiegen

■ betr.: „Das vergiftete Paradies“, sonntaz vom 24. 7. 11

Im Rahmen des internationalen IPPNW-Kongresses „25 Jahre Tschernobyl“ (8. bis 10. April 2011, Urania Berlin) gab es einen Workshop über „Uranwaffen – neue Erkenntnisse und Schritte zur Ächtung“. Bei der Vorbereitung meines Beitrags stieß ich auf das Quirra-Syndrom, das fast identisch ist mit dem Golfkriegs- und dem Balkansyndrom. Die Patienten leiden u. a. an ungewöhnlicher Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Gedächtnisschwäche, Sehstörungen, Lähmungen, Drüsenschwellungen, später Leukämie, Lymphdrüsenkrebs, zahlreichen Fehlbildungen bei den Kindern. Vom Golfkriegs- und Balkansyndrom waren sowohl die Wohnbevölkerung in der Umgebung der Kriegsgebiete als auch Soldaten betroffen; das Quirra-Syndrom sorgt bei den Bewohnern der Dörfer Perdasdefogu und Escalaplano für Unruhe, besonders bei den Hirten, die mit ihren Herden im Gelände unterwegs sind. Aber auch dort sind Soldaten aus verschiedenen Nato-Ländern erkrankt, die zeitweise in Südostsardinien stationiert waren. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind die chemo- und radiotoxischen Effekte des Urans Ursache dieser schweren Erkrankungen. Im Golfkrieg und auf dem Balkan wurde erwiesenermaßen tonnenweise abgereichertes Uran in Form von panzerbrechenden Hartkerngeschossen eingesetzt. Dass solche Geschosse auch auf dem Salto di Quirra getestet und bei Übungen von Nato-Truppen verschiedener Länder abgefeuert wurden, kann als sicher gelten. Die Krankheitssymptome sind typisch für Uranvergiftung. (Mein Workshoptext kann unter „IPPNW-Tschernobylkongress >> Dokumentation“ nachgelesen werden.

Am Schluss des Workshops kam ein sardischer Teilnehmer auf mich zu und bedankte sich dafür, dass die Situation der Anwohner des Salto di Quirra angesprochen worden sei. Leider werde das Problem ansonsten in ganz Europa nach Kräften totgeschwiegen. In diesem Sinne danke ich auch der taz für die hervorragende Recherche.

WINFRIED EISENBERG, Herford

Eine willkommene Ablenkung

■ betr.: „Reflexdebatte innere Sicherheit“, „Freiheit gibt es nicht gratis“, taz vom 26. 7. 11

Sind die Reaktionen aus der CSU und der Polizeigewerkschaft Überreaktionen mit populistischem Hintergrund oder Kalkül, wenn immer wieder, ohne sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen, die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung oder Gesetzesverschärfungen gefordert werden? Sicher ist diese schreckliche Tat eine willkommene Ablenkung der Verfassungsbrüche der Polizei in Sachsen (Leipzig/Dresden 2010/2011), und man kann damit die Angst der Bevölkerung vor Terror neu schüren, um bestimmte Maßnahmen doch noch durchzusetzen. Aber gerade in einem Land, in dem es eine Gestapo – später – SS-Reichssicherheitshauptamt und eine Stasi gegeben hat, sollte erst nachgedacht werden, ehe wieder pauschale Forderungen nach Möglichkeiten erhoben werden, die eine gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen.

Und nicht vergessen werden sollte, dass der Umgang mit rechten Terrorakten in Deutschland eher verharmlost wird. Obwohl kein Anhänger der FDP, kann ich mir nur wünschen, dass die Justizministerin nicht umfällt und die Vorratsdatenspeicherung verhindert.

Hochachtung vor der Reaktion des norwegischen Volkes und der Regierung, die eher gelassen bleiben. ALBERT WAGNER, Bochum

Die richtigen Konsequenzen ziehen

■ „Reflexdebatte innere Sicherheit“, taz vom 26. 7. 11

Formal distanzieren wir uns vehement von unserer finsteren Vergangenheit zwischen 1933 und 1945. Im gleichen Zuge fällt einem CSU-Politiker nichts anderes ein, als unverzüglich nach Vorratsdatenspeicherung zu rufen. Unmittelbare erste Vermutungen bei Bekanntwerden des schrecklichen Massakers sprachen typischerweise sofort von Islamisten, al-Qaida und wiesen in diese Richtung. Dann fiel wieder das Wort Einzeltäter, und der faschistisch-rassistische Hintergrund scheint nun offenbar.

Wenn ein solches Ereignis wachrütteln soll, dann gehören wohl auch in unserem Lande vor allem Nachdenklichkeit dazu und kritische Beurteilung der Neonaziszene in Deutschland. Marschierende Neonazis gehören längst zum alltäglichen Bild in unseren Städten. Endlich wirkliche und richtige Konsequenzen zu ziehen und solches Gedankengut eben nicht in unsere Freiheit und Demokratie zu integrieren, sich mit dem ganzen Ungeist wirklich auseinanderzusetzen, das fällt einmal mehr den Wenigsten ein. ROLAND WINKLER, Remseck

Der Aufschlag wird hart werden

■ betr.: „Elektroflitzer für Arme“, taz 26. 7. 11

Man kann schon mal Wetten abschließen, wie lange es diesmal dauert, bis Sozis und Grüne wieder die nützlichen Idioten für die Kapitalbesitzer spielen, falls sie 2013 tatsächlich wieder regieren sollten. Beide sind offenbar auf dem sozialen Auge erblindet: die einen in Negation ihres geschichtlichen Erbes, die anderen im Höhenrausch ihrer neuen Beliebtheit. Der Aufschlag wird hart werden.

Dabei gibt es, wie auch der Kommentar bemerkt, durchaus alternative und kreative Vorschläge, wie Teilhabe aller in der heutigen Zeit organisiert werden kann, vor allem das bedingungslose Grundeinkommen, zu dem der Mindestlohn nur die unvollkommene Vorstufe darstellt. Der Teilhabesockel wird wegen ökologischer oder kultureller Modernisierungsnotwendigkeiten wachsen, davor darf sich eine zumindest in Spuren noch linke Partei nicht wegducken.

MAIK HARMS, Hamburg