Japanischer Experte über Fukushima: "Es ist immer noch sehr gefährlich"

In allen Reaktoren sind wohl die Druckbehälter geschmolzen, sagt Regierungsberater Tatsujiro Suzuki. Kontrollieren kann das wegen der Strahlung aber niemand. Die meisten Kosten trägt der Staat.

"Alle drei Reaktoren kühlen langsam herunter. Aber das ist nicht das Ende der Probleme und garantiert keine Sicherheit": Ruine des AKW Fukushima. Bild: dpa

taz: Herr Suzuki, über das havarierte AKW in Fukushima ist ein schwerer Taifun hinweggegangen. Hat er die radioaktive Belastung verstärkt?

Es scheint, dass alles in Ordnung ist. Wir waren besorgt, dass bei schwerem Regen das verseuchte Wasser die Anlage überfluten könnte oder radioaktive Partikel aus der Anlage in die Gegend verweht werden könnten. Aber es gibt keine Anzeichen für erhöhte Radioaktivität.

Wann wird die Situation so weit unter Kontrolle sein, dass man nicht bei jedem Sturm mit dem Schlimmsten rechnen muss?

Wir hatten Glück. Die Betreiber haben die Gebäude verstärkt, gerade rechtzeitig vor der Taifunsaison, auch gegen Nachbeben. Die Regierung jedenfalls plant, die Reaktoren bis zum Ende des Jahres herunterzufahren.

Immer noch leben Tausende Menschen nach der Evakuierung aus der Region Fukushima in Notunterkünften. Was hat die Regierung über ihre Evakuierungspolitik gelernt?

ist Vizepräsident der japanischen Atomenergie-Kommission. Das Gremium berät die Regierung. Suzuki studierte Kerntechnik und Politik und lehrt an der Universität Tokio.

Wir werden nach dieser Erfahrung sicher unsere Leitlinien ändern. Zum Beispiel gibt es Vorschläge, nicht mehr in Kreisen rund um die Unglücksstelle zu evakuieren, sondern das anders zu regeln. Aber das ist nicht einfach, die Belastung anhand der Windrichtung zu bemessen. Wir haben auch gelernt, dass Computermodelle hilfreich sein können, da waren wir nicht effektiv genug.

Werden die Evakuierten aus der 20-Kilometer-Zone jemals wieder zurückkehren?

Hoffentlich, aber das wissen wir nicht. Unsere erste Priorität ist, die Gebiete außerhalb der 30-Kilometer-Zone zu dekontaminieren, weil da Menschen wohnen. Dann können wir mit der Dekontaminierung der Evakuierungszone beginnen. Wir wollen die Gegend sicher machen, wenn die Menschen zurückkommen. Aber das wird seine Zeit brauchen.

Wie lange denn? Eher Jahre als Monate, oder?

Ja, wahrscheinlich.

Erwarten Sie eine unbewohnte Zone, wie es sie um Tschernobyl gibt?

Wir hoffen nicht. Die Verseuchung ist nicht so schwerwiegend und so weit verbreitet wie in Tschernobyl. Die Entseuchungsarbeiten können also konzentriert werden. Die Leute könnten auch in die 20-Kilometer-Zone zurückkehren, wo die Strahlenwerte jetzt bereits gering sind. Unser Ziel ist es, die Gegend wieder bewohnbar zu machen.

Das hängt von der Situation in den AKWs ab. Wie schwierig ist die noch?

Alle drei Reaktoren kühlen langsam herunter. Aber das ist nicht das Ende der Probleme und garantiert keine Sicherheit. Wir wissen immer noch nicht, wo genau die beschädigten Brennelemente sind.

Es gab Berichte, dass sich der Nuklearkern in Reaktor 3 durch den Druckbehälter ins Containment gefressen hat.

Es ist wahrscheinlich, dass sich bei den Reaktoren 1 und 3 und vielleicht auch 2 die Kerne durch den Druckbehälter geschmolzen haben und in den Schutzbehälter (Containment) gefallen sind. Aber das haben wir noch nicht bestätigt bekommen.

Das heißt, in allen drei Reaktoren liegen hochradioaktive Substanzen außerhalb des Druckbehälters, der sie eigentlich einschließen soll?

Das stimmt. Wir kühlen deswegen die Druckbehälter und die Containments.

Das bedeutet, da kann auch niemand hin wegen der hohen Strahlung.

Im Moment nicht. Wir müssen uns etwas ausdenken, was da zu tun ist. Das wird sehr lange dauern.

Wie lange?

Wir arbeiten jetzt gerade an einer langfristigen Planung für die Aufräumarbeiten. Beim Atomunfall in Harrisburg hat es zehn Jahre gedauert, um die Brennstäbe herauszubekommen. Das ist das Minimum.

Aber in Harrisburg gab es nur einen havarierten Reaktor und der Brennstoff war im Druckbehälter geblieben.

Das stimmt. Deshalb sind zehn Jahre auch die Mindeszeit.

Bedeutet das, niemand kann für zehn Jahre das Containment betreten?

Wir hoffen, dass wir die Strahlung reduzieren können. Wir schicken Roboter rein, wir pumpen Wasser rein, um die Situation zu stabilisieren. Wir müssen immer noch herausfinden, warum Wasser austritt, und diese Lecks abdichten, und vielleicht können wir danach reingehen. Aber jetzt ist die Strahlung einfach noch zu hoch.

Wie hoch denn genau? Haben Sie überhaupt verlässliche Daten?

Wir haben keine Messungen für die Strahlung im Containment. Selbst außerhalb des Schutzmantels waren es stellenweise 5 bis 10 Sievert. Wer sich solcher Strahlung aussetzt, kann getötet werden. Das gibt Ihnen eine Ahnung, wie es da drin aussehen könnte. Es ist immer noch sehr gefährlich.

Welchen finanziellen Schaden hat der Unfall angerichtet?

Eine ganz grobe Schätzung: Harrisburg hat 900 Millionen Dollar gekostet. Hier sind es vier Reaktoren, wir rechnen mit etwa 5 Milliarden Dollar auf dem Gelände.

Und außerhalb?

Nach unabhängigen Schätzungen können das bis zu 250 Milliarden Dollar sein. Das enthält die Aufräumarbeiten und die Kosten, wenn die Regierung verstrahltes Land aufkauft.

Wer zahlt dafür?

Das Gesetz verpflichtet Tepco dazu, die Aufräumarbeiten und die Entschädigungen zu zahlen, noch einmal 10 Milliarden Dollar. Aber wenn Tepco das Geld ausgeht, müssen sie sich einen Kredit besorgen.

Das heißt, Tepco zahlt 5 bis 15 Milliarden Dollar. Und der japanische Steuerzahler 250 Milliarden.

Ja, etwa in diesem Bereich. Darüber müssen wir später nachdenken.

Wie hat sich die Stimmung zum Atom verändert?

Vor Fukushima waren 60 Prozent der Bevölkerung für weiteren Ausbau der Kernkraft. Jetzt sind 60 Prozent für den Ausstieg.

Was passiert mit Japans ehrgeizigem Klimaziel, bis 2030 minus 30 Prozent Treibhausgase zu erreichen?

Dieser Plan beruhte auf den Plänen für 14 neue AKW. Er wurde widerrufen. Jetzt gilt immer noch unser Ziel, bis 2020 minus 25 Prozent zu erreichen. Im Energiemix werden wir mehr fossile Brennstoffe einsetzen. Wir wollen immer noch die 25 Prozent erreichen, aber das schaffen wir vielleicht auch, indem wir mehr Emissionszertifikate von anderen Staaten kaufen.

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