„Staaten tilgen ihre Schulden niemals in Zeiten der Krise“

EURO Wilhelm Hankel, ein Eurokritiker der ersten Stunde, fordert Griechenland und andere Problemstaaten auf, die europäische Gemeinschaftswährung zu verlassen. Nur so könnten sie sich auf Dauer sanieren und wieder wettbewerbsfähig werden. Andernfalls werde Griechenland ins nackte Elend gestürzt

■ 82, bewährte sich in den sechziger Jahren als rechte Hand des Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD) und leitete später die Hessische Landesbank.

INTERVIEW HERMANNUS PFEIFFER

taz: Herr Hankel, Regierung und Opposition, linke und rechte Ökonomen sind beim Thema „Euro“ überwiegend einer Meinung: Die Krisenländer bleiben drin. Ein Griechenland-Rausschmiss stieße das Land dauerhaft ins Elend.

Wilhelm Hankel: Wie kommen Sie dazu? Nur der Austritt aus der Euro-Union kann Griechenland davor bewahren, entmündigt und ins nackte Elend gestürzt zu werden. Ob links oder rechts: Ich zweifle an den volkswirtschaftlichen Grundkenntnissen unserer Euroretter.

Griechenland ist kein Exportland. Das Land könnte doch gar nicht von einer Weichwährung, von eine schwachen Drachme profitieren.

Aber ja doch. Es gewönne sein an die Türkei verlorenes Tourismusmonopol zurück.

Die Chance wäre Tourismus?

Nicht nur Tourismus. Das Land verfügt über andere klassische Exportprodukte: Wein, Öl, Oliven, Rosinen. Es kann Frühobst und -gemüse anbauen. Es hat eine leistungsfähige Kleinindustrie im Norden.

Das eigentliche Problem der ganzen EU-Peripherie liegt in dem Fehlen einer wettbewerbsfähigen Realökonomie.

Griechenlands Hauptproblem ist der freilich selbst verschuldete Verlust seiner alten Wettbewerbsfähigkeit. Es hat mithilfe gepumpter Euros seine Preise, Kosten und Löhne hemmungslos aufgebläht. Das rächt sich jetzt. Wäre Griechenland jedoch nicht im Euro und hätte es eine eigene Währung, dann könnte es diese jetzt kräftig abwerten und so seine alte Wettbewerbsstärke zurückgewinnen.

Sie setzen auf eine Staatspleite?

Ganz im Gegenteil: Ein Staat mit eigener Währung kann gar nicht pleitegehen. Er hat Kredit bei seiner Zentralbank. Aber er kann seine Auslandsgläubiger zu jedem Schuldennachlass zwingen. Er muss ihnen nur drohen. Alle 800 aus der Geldgeschichte überlieferten Fälle von Staatsentschuldungen sind so gelaufen. Nur: Dazu braucht man eine eigene Währung. In einer Währungsunion lässt sich so etwas nicht machen. Man kann den Euro weder partiell abwerten: in einem Land ja, in anderen nicht. Noch kann ein Euroland allein seine Zahlungen in Euro einstellen. Daher rührt doch dieser ebenso inhumane wie politisch und ökonomisch explosive Druck auf Griechenland und die anderen Krisenländer. Die „Retter“ fürchten um ihren Euro und stellen dessen Erhalt – und den der Bankforderungen an Griechenland – über die elementaren Menschen- und Demokratierechte der zu Rettenden.

Aber Argentinien bekam ein Jahrzehnt nach dem Staatsbankrott immer noch kein frisches Geld auf den Finanzmärkten. IWF-Kredite halten das Land zahlungsfähig.

Alles Märchen. Ob Argentinien, Mexiko oder Russland – der Boykott der Finanzmärkte war stets von kurzer Dauer.

Das sind doch Ramschanleihen für Hasardeure.

Auch Ramschanleihen haben ihren Markt.

Athen müsste dann noch mehr Staatsbedienstete entlassen und Renten kürzen als ohnehin schon geplant.

Es ist die Entscheidung zwischen „neoliberaler“ Marktlogik und „aufgeklärtem Keynesianismus“. Die Euroretter haben sich aus durchsichtigen Gründen für die neoliberale Lösung entschieden. Warum ihnen Linke, Gewerkschaften und Grüne folgen, ist mir unbegreiflich.

Unter anderem, weil das Auseinanderbrechen der EU droht.

Es ist der politische Wahnsinn unserer Tage: Man glaubt in Europa, das Sparen sei vordringlicher als das Investieren, das Abtragen von Staatsschulden kreiere „von selber“ wirtschaftliches Wachstum. Das gerade tut es nicht. Wie auch, wenn das Geld für Nachfrage und Aufschwung fehlt? Staaten tilgen ihre Schulden niemals in der Krise, sondern einzig und allein in Zeiten stetiger Aufwärtsentwicklung. Dem steht nicht nur in Griechenland der Euro im Wege.

Da der Eurobund halten wird, sehen Sie für die Zukunft Deutschlands schwarz?

Die deutsche Wirtschaft ist in ihrem Kern gesund. Sie kann und wird jede künftige Aufwertung des Euro verkraften, wie zuvor auch bei der D-Mark. Denn jede Aufwertung verbilligt den Einkauf. Die deutsche Wirtschaft muss viel einkaufen: fast alle Rohstoffe, nicht nur Mineralöl und viele Vorprodukte. Meine Botschaft bleibt: Die Eurokrise ist vorüber, wenn die Problemländer die Eurozone verlassen und sich wie unsere osteuropäischen Freunde mit Sanierungsanstrengungen am eigenen Schopf aus dem Krisensumpf ziehen.

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