LESERINNENBRIEFE
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Mehr privat, weniger Staat

■ betr.: „Wer interessiert sich schon für Singlemütter?“,taz vom 16. 8. 12

Man muss die taz nicht einmal aufschlagen, es prangt schon auf der ersten Seite: ein Loblieb auf Frau von der Leyen! Zuschussrente, Alleinerziehende voranbringen, das sei es, was die Ministerin wirklich wolle, ihr fehlten nur die Bündnispartner. Dass Partner für die Umsetzung politischer Ideen notwendig sind, das weiß man. Dass diese Partner bei Initiativen für Benachteiligte oft Mangelware sind, auch.

Allerdings darf man an den ehrenwerten Absichten von Frau von der Leyen zweifeln, wenn man sich mit deren politischen Zielen genauer auseinandersetzt. Die Zuschussrente stellt dann nur nur noch ein mangelhaftes Konzept dar, welches die Probleme der Rente nicht löst, sondern die Spaltung zwischen Arm und Reich zementiert. Ein Armenbashing der feinsten Sorte: Warum sollte derjenige, der immer faul war, genauso viel Rente erhalten wie jener, der ein Leben lang hart gearbeitet hat? Eine miese Logik der Ministerin, denn mit ihrer Argumentation spielt sie sowieso schon benachteiligte Gruppen gegeneinander aus. Frau von der Leyen will sich als die Ministerin der Herzen verkaufen, doch ihre Ideen sind weder sozial noch gerecht. Vielmehr treibt sie die Ideologie ihrer Partei – mehr privat, weniger Staat – schonungslos voran. NATALIE PAVLOVIC, Stuttgart

Kapital- vor Gemeinwohlinteressen

■ betr.: „Stromtrassen bleiben unberührt“, taz vom 16. 8. 12

Der neue Plan für den Netzausbau zeigt einmal mehr, dass Kapital- vor Gemeinwohlinteressen gehen. Statt auf die Energiekonzerne keine Rücksicht mehr zu nehmen, erhalten diese bei ihrer mehr als doppelt so teuren Windkraftstromerzeugung auf See auch noch die doppelte staatliche Förderung als die Windkraftproduzenten an Land. Dazu kommen die vermehrten Netzkosten, die bei einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung erheblich geringer wären. Allein die Repowering der schon bestehenden Windkraftanlagen an Land und deren Ausbau in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern auf den Bundesdurchschnitt würde den Windkraftstromanteil am Gesamtstrom mehr als verdreifachen. Und dies schneller mit weniger Netzen und billiger. ARTUR BORST, Tübingen

Sündenbock Lehrkräfte

■ betr.: „Für Autisten ein Entwicklungsland“, taz vom 15. 8. 12

Wie immer, wenn es um Inklusion geht, wird latent den Lehrkräften die Schuld gegeben, sie müssten nur ihre Perspektive und ihre Methoden ändern, eine Fortbildung machen, und schon klappt es an den Schulen. Von einer engagierten Zeitung erwarte ich, dass sie aufzeigt, wie Inklusion gelingen kann. Dazu gehören zum Beispiel zusätzliche Räumlichkeiten, sodass Kinder sich zurückziehen können. In diesen Räumen muss pädagogisches oder pflegendes Personal sein, das sich kümmert. Kleine Klassenzimmer für 30 Kinder sind eine Zumutung für alle. Schon jetzt sitzen in vielen Klassen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, ohne dass dieser festgestellt wurde. Diese Kinder und ihre Eltern erhalten daher nicht die notwendigen Hilfen. Die Lehrkräfte müssen irgendwie – meist mit großem Engagement – zurechtkommen.

Im Jahr 2000 investierte die BRD 4,5 Prozent des BIP in Bildung und war auf Rang 77. 2008 wurden die Ausgaben reduziert auf 4,4 Prozent des BIP, und Deutschland landete auf Platz 94 von 185 Staaten der Weltrangliste (laut Fischer Weltalmanach 2011). Das wäre doch mal eine Analyse wert – statt der Hofberichterstattung für die Bildungspolitiker. EDITH ZISCHKE-SIEWERT, Duisburg

Da stellen sich Fragen

■ betr.: „Islam gehört jetzt auch zu Hamburg“, taz vom 15. 8. 12

Jetzt sollen also die Muslime und Aleviten per Staatsvertrag Privilegien bekommen wie einen eigenen Religionsunterricht und Berücksichtigung ihrer Feiertage. Als Bedingung dafür soll von diesen Religionsgemeinschaften unter anderem die Diskriminierung wegen Glaubens geächtet und die Gleichberechtigung der Geschlechter beachtet werden. Da stellen sich doch gleich zwei Fragen:

1. Was passiert, wenn – wie zu erwarten – diese Bedingungen nicht erfüllt werden?Werden dann die Privilegien wieder entzogen?

2. Warum zum Teufel stehen solche Bedingungen nicht in den hamburgischen Staatsverträgen von 2005 mit den christlichen Kirchen? Von diesen werden diese grundgesetzlich verankerten Bedingungen doch permanent gebrochen: Andersgläubige haben Berufsverbot in kirchlichen Einrichtungen wie Caritas und Diakonie, obwohl diese zu 95 Prozent vom Staat finanziert werden. Gläubige Katholiken dürfen als Wiederverheiratete in katholischen Krankenhäusern nicht als Ärzte arbeiten, das Verbot der Frauenordination ist allgemein bekannt, um nur einige Beispiele zu erwähnen. JÖRG GRAFF, Hamburg

Häme ist fehl am Platz

■ betr.: „Urlaub unter Vorbehalt“, taz vom 16. 8. 12

Was soll der süffisante Ton? Es geht nicht um einen „Wunschzettel“ an den „Weihnachtsmann“. Die VG-Wort arbeitet im Auftrag von AutorInnen, für die sie deren Rechte wahrnimmt. Rechte, nicht Wünsche. Die AutorIn dieses taz-Ergusses ist wahrscheinlich dort fest angestellt und auf die VG-Wort-Tantiemen nicht angewiesen. Viele Freie sind es aber schon, und zwar nicht nur in Sachen Urlaubsgeld oder Wunscherfüllung, sondern als eingeplanter Bestandteil des Lebensunterhalts. Häme ist da fehl am Platz. STEFAN MIEGEL, Berlin