Ein Bund fürs Leben

WERBUNG Firmen zielen mit ihrem Marketing zunehmend auf Kleinkinder. Zweijährige können keine Flüge buchen – aber sie können spielen: mit Comicvögeln von Lufthansa und Sparhamstern der Raiff- eisen- bank

VON STEFFI UNSLEBER

Als Kind waren mir Banken ziemlich egal. Aber wenn meine Mutter Geld abhob, freute ich mich trotzdem. Jedes Mal kam sie mit einem bunten Heft von der Raiffeisenbank zurück: „Mike, der Taschengeldexperte“. Mike war ein gut gelaunter Hamster, der mit dem Gelehrten Dr. Karl Höhn um die Welt reiste. Die meisten Geschichten habe ich inzwischen vergessen. Aber bei der Raiffeisenbank bin ich geblieben.

Dass Mike eine Identifikationsfigur war, begriff ich erst später. „Markenbindung“ nennt sich die Werbestrategie, die Kinder von heute zu Kunden von morgen machen soll. Damals buhlte neben der Raiffeisenbank auch die Sparkasse um meine Aufmerksamkeit. Aber die roten Polyester-Turnbeutel mit dem weißen Sparkassen-„S“ überzeugten mich nicht. Und das Knax-Heft kam eindeutig nicht gegen Mike Hamsterbacke an. Bis heute würde ich nicht auf die Idee kommen, ein Konto bei der Sparkasse zu eröffnen. Der Grund: eine diffuse, irrationale Abneigung. Kindermarketing zahlt sich erst Jahre später aus. Aber dann hält die Bindung oft ein Leben lang.

Marketingexperten empfehlen Unternehmen, ihre Werbung auch an Kinder zu richten. Das ist noch unverbraucht, meinen sie, zu wenig genutzt bisher. Und diese Empfehlung gilt auch für Firmen, die eigentlich keine Produkte für Kinder anbieten. Fluglinien, Energiekonzerne, Autohersteller, Banken.

„Reines Kalkül“, sagt Christopher Schering von der Berliner Werbeagentur Cobra Youth, die Kinderwerbung für Firmen wie Lufthansa oder Nestlé entwirft. „Markenpräferenzen bilden sich zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr. Und es wird mit steigendem Alter immer teurer, diese Präferenzen umzudrehen.“ Einen 50-jährigen BMW-Fahrer von Mercedes zu überzeugen, das ist schwierig, sagt Schering. Aber einem Kind ein „positives Markenimage“ von Mercedes vermitteln?Machbar.

Prägende Werbeerlebnisse können jahrelang in einem „Depot“ verschlossen bleiben, erklärt Schering. Irgendwann tauchen sie wieder auf und beeinflussen die Entscheidungen der nun Erwachsenen. So wie Mike Hamsterbacke in meinem Unterbewusstsein offenbar darauf wartete, mir den Gang zur Filiale der Raiffeisenbank zu diktieren, sobald ich alt genug war, um ein Girokonto zu eröffnen. Mit dem weiß-blau-orangefarbenen Logo verband ich auch noch als Studentin ein Grundvertrauen, eine Zuversicht, dass die Angestellten der Raiffeisenbank mich gut beraten würden, dass das Beste mit meinem Geld passieren würde, was möglich war.

Firmen nutzen für diesen Mechanismus den „Imagetransfer“, wie Marketing-Leute das nennen. Kinder interessieren sich eigentlich nicht für Firmen, die keine Produkte für sie anbieten. Sie wollen nicht wissen, ob Lufthansa ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis hat oder welche Flughäfen angeflogen werden. Aber Kinder mögen Tierfiguren. Deshalb führt bei Lufthansa der Vogel Lu durch die Kinder-Homepage jetfriends.de. Sympathisch, immer lächelnd und mit zwei Leidenschaften: fliegen und die Welt erkunden. Der Imagetransfer funktioniert so: Kinder mögen Lu und natürlich das, wofür der Vogel steht: Abenteuer, Freiheit und Fliegen – und sie übertragen das luftige Gefühl auf die Marke. Lufthansa, ein Versprechen von Leichtigkeit.

Der Mechanismus soll möglichst früh starten: Eltern können ihre Kinder ab zwei Jahren bei jetfriends.de anmelden und Malvorlagen mit Lu und seinem kleinen Partner Cosmo ausdrucken. Inklusive: eine eigene E-Mail-Adresse für das Kind, ein Schlüsselbund mit Kartenhalter und eine Clubkarte zum Meilensammeln. Mit zwölf Jahren wechseln die Kinder in das „Teens“-Portal. Danach, mit sechzehn, sind sie hoffentlich längst Fans von Lufthansa.

Auch Deichmann, T-Online und die Deutsche Bahn haben Kinderportale im Internet eingerichtet. Immer dabei: lustige Onlinespiele, häufig: eine Identifikationsfigur. Und die Marke, prominent positioniert, für den Imagetransfer.

Auch im Kindergarten und in der Schule klopfen Vertreter von Unternehmen an die Eingangstüren. Nur: Das Wort „Kindermarketing“ hören die Firmen nicht gern. „Das ist ein Begriff, den ich für unser gesellschaftliches Engagement für unglücklich halte“, schreibt beispielsweise Eon auf Anfrage der sonntaz. Der Energiekonzern schult Kita-Erzieherinnen im Rahmen von „Trainings“, um „Kinder im Vorschulalter auf spielerische Weise an Energie- und Umweltthemen heranzuführen“.

Das Projekt ist ambitioniert: Bis Ende 2012 will Eon so 10 Prozent aller deutschen Kindergärten erreichen, rund 4.000 Einrichtungen. Dieses Projekt, genannt „Leuchtpol“, erntete bereits Häme und Kritik. Offenbar trauen Naturschutzverbände und Journalisten Eon nicht zu, objektiv über das Thema Energie zu informieren. Eon kontert: „Wir wollen nicht schon ‚unsere Kleinsten‘ an Eon heranführen, sondern unser Wissen über Energie, Physik, Umweltschutz und den verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen weitergeben.“ Christopher Schering von Cobra Youth, der für Volvic, das Mineralwasser, ebenfalls Unterrichtsmaterialien entwickelt hat, beurteilt das anders: „Bei Kindern und Eltern soll hängen bleiben, dass die Firmen etwas für Bildung tun. Wir sprechen hier von klassischem Marketing.“

Klassisches Marketing beruht auf der Annahme, dass Marken umso positiver bewertet werden, je vertrauter sie sind. Die Hamburger Agentur DSA Youngstar hat sich das zunutze gemacht und verteilt kostenlose Unterrichtsmaterialien an Schulen – bedruckt mit Werbung von Unternehmen. Seit neun Jahren sind sie im Geschäft,und es läuft so gut, dass sie nun auch eine „Schulmarketing-Bibel“ herausgegeben haben, in der sie erklären, wie Unternehmen Kinder ab drei Jahren „streuverlustarm“ kontaktieren können.

Die Agentur versteckt sich nicht hinter schönen Floskeln („soziales Engagement“), sondern sagt schon auf ihrer Homepage recht unverblümt, worum es geht: Marketing. Und klar, die Kindergärten und Schulen haben ja auch etwas davon. Vieles ist in den Einrichtungen rar, Malhefte zum Beispiel. Sie zu sponsern lohnt sich für Unternehmen doppelt, wirbt die Agentur. Die Kinder verbringen viel Zeit mit der Marke oder der Identifikationsfigur, ausmalen dauert. Und wem möchte man seine Meisterwerke anschließend stolz präsentieren? Genau: Mama und Papa. Für Grundschulkinder empfiehlt die Agentur Stundenpläne: Sie werden schließlich lange genutzt – mindestens ein halbes Jahr. Und die Kinder schauen sie täglich an, das macht sie interessant bei „längerfristigen Marketingbotschaften“.

Auf der Referenzliste der Agentur stehen Firmen wie MSN, die Deutsche Bank oder verschiedene Krankenkassen. Aber nicht alle Unternehmen, die die Dienste der Agentur in Anspruch nehmen, sind dort auch genannt, gibt Agenturchef André Mücke zu: „Ein sensibles Thema.“ Viele Konzerne wollen nicht mit Schulsponsoring in Verbindung gebracht werden.

Ist derartiges Marketing vertretbar? Harmlos, wie Firmen und Agenturen meinen? Vergleichbar mit dem Plakat im Bus, dem Kinder auch nicht entgehen können? Oder eine subtile Manipulation, eine Strategie, mit der Firmen die Naivität von Kindern ausnutzen? Und später die Kindheitserinnerungen der Erwachsenen? „Es gibt Schlimmeres“, sagt Ingo Barlovic von Deutschlands größtem Marktforschungsinstitut, iconkids aus München. Die Kinder werden durch Marketing nicht ferngesteuert. „Markenbindung ist eher ein unterschwelliges Gefühl. Entscheidungen für andere Marken sind auch möglich.“

Nur: Kinder wissen mit drei Jahren noch nicht, was Firmen von ihnen wollen. Erst ab acht Jahren verstehen sie, was Werbung ist, und sind sich darüber klar, dass Firmen ihnen etwas verkaufen möchten.

Volker Nickel, Sprecher des Werberates, Selbstkontrollgremium der freien Wirtschaft, sieht darin kein Problem. „Werbung reflektiert das Leben, und Kinder gehören dazu“, findet er. „Das in der Öffentlichkeit immer wieder gezeichnete Bild von der ‚profitgierigen Wirtschaft‘ geht von einem Reiz-Reaktions-Schema aus: hier die Werbung – dort die Reaktion. Solche Simpelbilder sind letztlich menschenunwürdig, degradieren Kunden zu Tieren, diskriminieren sie als Schilfrohre im Winde der Werbung.“

Offenbar war ich ein solches Schilfrohr. Und ich spüre noch die Nachwirkungen. Mike Hamsterbacke hatte bei mir einen ähnlichen Stellenwert wie der tapfere Fuchs aus der Zeichentrickserie „Als die Tiere den Wald verließen“ oder Nala aus „König der Löwen“. Nur, dass Mike mehr von mir wollte, als mich nur zu unterhalten.