Die Große Koalition, eine Bedrohung für Europa

Überleben in der Krise

VON JENS BERGER

Die Urnen sind geleert, die Stimmzettel ausgezählt. Deutschland hat gewählt. Und: Es läuft alles auf eine Große Koalition hinaus. Für Europa ist das mehr als suboptimal. CDU und SPD unterscheiden sich bei den Vorstellungen, wie man die Eurokrise bekämpfen sollte, nur marginal. Selbst als Oppositionspartei hat die SPD jedes Gesetzesvorhaben von Schwarz-Gelb abgenickt. Neue Impulse bei der Krisenbekämpfung, die Europa so nötig hätte, sind von einer Großen Koalition nicht zu erwarten.

Im Wahlkampf spielte die Eurokrise keine große Rolle. Finanzpolitische Themen sind komplex, zudem trocken. Wie sollen Politgranden dem Wähler beim Talkshow-Phrasendreschen den Unterschied zwischen Eurobonds und einem Schuldentilgungsfonds erklären? Hinzu kommt, dass es zwischen den Volksparteien keinen elementaren Dissens beim Thema gibt.

Sowohl CDU als auch SPD wollen die Krise mittlerweile vor allem durch „Wachstum“ in den Griff bekommen. Klingt vernünftig, doch die Maßnahmen, die den Parteien vorschweben, werden ihre Wirkung verfehlen. Das SPD-Wahlprogramm raunt beispielweise von „technologischen Investitionen“ in den Krisenstaaten. Genauer: „Erneuerbare Energien“ und „Gleichstromleitungen“. Was nützt es aber Griechenland, wenn Eon oder RWE die Halbinsel Chalkidiki mit Solarpanels made in Germany zupflastern und teure Gleichstromleitungen made in Germany errichten?

Wie viel Geld bleibt bei solchen Projekten im Süden, und wie viel landet in Deutschland? Wie viele Jobs entstehen dabei in Griechenland und Südeuropa? Dieses Beispiel ist durchaus typisch für die Eurokrisen-Politik von CDU und SPD. Die Parteien doktern an den Symptomen herum und ignorieren dabei die Ursachen der Krise. Die Jugendarbeitslosigkeit wollen beide Parteien vor allem durch von der EU bezuschusste Beschäftigungsprogramme bekämpfen. Das ist löblich, reicht jedoch nicht aus. Um die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa wirkungsvoll zu senken, muss man deren Ursache bekämpfen. Also: Jobs schaffen.

Ohne ein Aussetzen der Austeritätspolitik und eine massive Stärkung der Binnennachfrage gibt es aber schlichtweg kein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen. Und ein griechischer Betrieb, der wegen der wegbrechenden Nachfrage keine Arbeitnehmer einstellen kann, wird dies auch dann nicht tun, wenn er unter bestimmten Bedingungen Ansprüche auf die EU-Fördertöpfe hat. Erst wenn die Nachfrage im Land zumindest stabilisiert und damit die Ursache des Problems angegangen wird, kann man auch sinnvoll über eine Behandlung der Symptome nachdenken.

Auch für die Staatsschuldenproblematik haben CDU und SPD keine überzeugende Lösung. Den Sozialdemokraten schwebt hier ein „Europäischer Schuldentilgungsfonds“ vor. Sinn und Zweck dieses Fonds soll es sein, durch Umschichtung und Auslagerung die Staatsschuldenquote der Krisenstaaten auf dem Papier zu senken. Bilanzkosmetik. Die Märkte – so die marktkonforme Logik – fallen auf diesen Trick herein, vertrauen plötzlich den Krisenstaaten und senken ihre Zinserwartungen.

■ ist freier Journalist und politischer Blogger. Als Redakteur der NachDenkSeiten und Herausgeber des Blogs „Spiegelfechter“ schreibt er zu sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen.

■ An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Sabine Reiner, Rudolf Hickel, Gesine Schwan, Niko Paech.

Reines Wunschdenken. In der realen Welt hat die EZB durch ihre Garantie, im Falle des Falles mit dem Kauf von Staatsanleihen einzugreifen, das Problem längst in den Griff bekommen.

Die Eurokrise ist somit kein Stolperstein für schwarz-rote Koalitionsverhandlungen. Denn Deutschland wird auch unter einer Großen Koalition an Angela Merkels fatalem Eurokurs festhalten. Es ist bestenfalls zu erwarten, dass die fehlgeschlagenen Rezepte freundlicher verpackt werden. Das heißt: Sparpolitik, aber mit menschlichem Antlitz. An den grundlegenden Problemen wird die neue Verpackung jedoch nichts ändern.