Druck und Gegendruck auf Gabriel

ENERGIE Menschenkette demonstriert für die geplante Kohleabgabe, Gewerkschaften protestieren dagegen. Der Wirtschaftsminister will seinen Plan allenfalls minimal verändern. Studien bezweifeln Arbeitsplatzverluste

Das werde zum „sozialen Blackout ganzer Regionen führen“

IG-BCE-CHEF MICHAEL VASSILIADIS

AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT

Die Wut auf den Wirtschaftsminister war allgegenwärtig. „Lügenbaron“ haben die Demonstranten auf ihre Transparente geschrieben. Und: „Er war mal einer von uns.“ Knapp 15.000 Gewerkschafter – überwiegend von der IG BCE, eher vereinzelt von Verdi und der IG Metall – sind am Samstag vors Kanzleramt gezogen, um gegen Sigmar Gabriels Plan zu protestieren, alte Kohlekraftwerke durch eine zusätzliche Abgabe zu belasten.

Diese Abgabe, die nach Aussage des Ministers nur 10 Prozent der Kraftwerke betrifft, bedeute „nichts anderes als den kurzfristigen Ausstieg aus der Braunkohle“, rief der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis den Demonstranten zu. Das werde zum „sozialen Blackout ganzer Regionen führen“. Ein noch drastischeres Szenario entwarf der Betriebsratsvorsitzende des Stromkonzerns Vattenfall, Frank Heinze. Nach dem Krieg hätten die Amerikaner mit dem sogenannten Morgenthau-Plan erwogen, Deutschland „zum Agrarstaat zu machen“, sagte Heinze – und fügte im Hinblick auf die Kohlepläne der Regierung hinzu: „Nun sind wir auf dem Weg dorthin.“

Obwohl auch mehrere Landesminister der SPD bei der Kundgebung gegen die Pläne ihres eigenen Parteichefs wetterten, ist Gabriel entschlossen, an der geplanten Abgabe festzuhalten. Zwar könne sie angepasst werden, wenn die Strompreise sich anders entwickelten als im Szenario der Regierung angenommen, sagte Gabriel der FAZ. An der Menge von 22 Millionen Tonnen CO2, die die Kraftwerke durch die Abgabe bis 2020 zusätzlich einsparen sollen, werde sich dadurch aber nichts ändern, hieß es aus dem Ministerium. Diese Einsparung ist notwendig, um das deutsche Klimaziel für 2020 zu erreichen, auf das sich die Regierung einvernehmlich geeinigt hat. Am Sonntagabend sollten die Pläne auch Thema bei Koalitionsgipfel sein.

Unterstützung für seine Haltung bekam Gabriel von rund 6.000 Menschen, die ebenfalls am Samstag im nordrhein-westfälischen Garzweiler mit einer Menschenkette gegen den dort geplanten Braunkohleabbau demostrierten. „Lassen Sie sich von den Ewiggestrigen nicht einschüchtern, sondern setzen Sie morgen Ihr Gesetzesvorhaben durch“, apellierte Christoph Bautz vom Aktionsnetzwerk Campact an Gabriel. Ein noch entschlosseneres Vorgehen forderte Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz: „Wir müssen die alten Kohlekraftwerke sofort schließen“, sagte er. „Anders sind die Klimaziele nicht zu erreichen.“ Die 7,5 Kilometer lange Menschenkette, die – teils mithilfe von Transparenten und gelbem Band – komplett geschlossen war, markierte den Verlauf, an dem der Tagebau im Gebiet Garzweiler nach Ansicht der Teilnehmer gestoppt werden soll. Auch die Bevölkerung steht mit breiter Mehrheit hinter den Plänen des Ministers: In einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Auftrag von WWF und Campact unterstützten 73 Prozent eine zusätzliche Abgabe für die ältesten Kohlekraftwerke.

Bestärkt fühlen dürfte sich Gabriel auch durch mehrere neue Gutachten. So kam das Umweltbundesamt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass durch die geplante Abgabe im Braunkohlesektor maximal 4.700 Jobs bedroht sind. Gleichzeitig würden in Steinkohle- und Gaskraftwerken sowie in den erneuerbaren Energien in großem Umfang neue Arbeitsplätze entstehen. Der von den Gewerkschaften befürchtete Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen würde „jeder Grundlage entbehren“, schreibt die Behörde.

Auch in der Lausitz könnte der Energiekonzern Vattenfall sein Braunkohlegeschäft innerhalb von 15 Jahren komplett herunterfahren, ohne dadurch Arbeitsplätze zu gefährden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) im Auftrag von Greenpeace angefertigt hat und die der taz vorliegt. „Die Studie zeigt, dass die vorhandenen Potenziale für erneuerbare Energien in Sachsen und Brandenburg groß genug sind, um die wegfallenden Arbeitsplätze aus der Braunkohle bis 2030 aufzufangen“, sagte Julika Weiß vom IÖW. Eine weitere Studie des Bundeswirtschaftsministeriums kommt nach Angaben der Frankfurter Rundschau zu dem Ergebnis, dass durch die Energiewende bis zum Jahr 2030 über 100.000 zusätzliche Jobs entstehen.