"Letters to the President": Wenn das der Führer wüsste!

Die Iraner haben seit Ahmadinedschads Amtsantritt 2005 zehn Millionen Bitt-Briefe an den obersten Diener des Volks geschickt. "Letters to the President" zeigt, wie Irans Präsident die Massen manipuliert.

Briefe an den Präsidenten. Bild: berlinale

Er reist in einem Mittelklassewagen aus fernöstlicher Produktion an. Die Leute umlagern das Auto, es herrscht Hysterie. Irans Präsident Machmud Ahmadinedschad besucht ein Dorf. Empfangen wird er mit den bekannten Parolen: "Tod den USA! Israel soll sterben! Wir haben ein Recht auf Nuklearenergie!" Genauso gut könnten sie rufen: "Tod dem Mars! Wir haben ein Recht auf Süßigkeiten!" Mit dem entscheidenden Unterschied natürlich, dass es dem Mars egal ist, ob er mit Vernichtung bedroht wird.

So wird in der Islamischen Republik Iran Gemeinschaft hergestellt, innerhalb derer dann bis zu einem gewissen Punkt Kritik geäußert werden kann. Auf dem Dorfplatz schreit ein Mann den Präsidenten an: "Es gibt kein Wasser im Dorf, so kann es nicht weitergehen!" Ahmadinedschad fragt über die Schulter hinweg seine Mitarbeiter: "Kann ich den Leuten versprechen, dass es in einem Jahr Wasser geben wird?" Klar ist: Wenn es in einem Jahr kein Wasser gibt, werden sie schuld sein, nicht er. Das kommt dem deutschen Zuschauer bekannt vor: Wenn das der Führer wüsste!

Nach der Versammlung trifft Ahmadinedschad eine Mutter, deren Kind Krebs hat. "Keine Sorge", sagt er. "Kinder sind stark! Kinder werden wieder gesund." Dann reist er ab, nicht ohne mehrmals versichert zu haben, er sei ein Diener des Volks. Der Dokumentarfilm "Letters to the President" des 1968 in Prag geborenen Regisseurs Petr Lom zeigt, wie dieser Präsident propagandistisch seine Macht sichert. Lom tut dies mittels eines Kunstgriffs: Nicht der Präsident selbst steht im Zentrum der Erzählung, sondern die gemeinen Leute und die Hoffnungen, die sie auf Ahmadinedschad projizieren.

Die Iraner haben seit dessen Amtsantritt 2005 laut offiziellen Angaben zehn Millionen Briefe an den obersten Diener des Volks geschickt. Jeder will einen kennen, dem der Präsident geantwortet hat. Manchen in Not Geratenen habe er mit Darlehen geholfen, sagen die Leute. Das muss er auch, denn unter seiner Regierung blüht die Korruption, während die Wirtschaft am Boden liegt und die Inflation wuchert. Die Leute sehen für ihre Kinder keine Zukunft, das Fleisch ist viel zu teuer.

Der Film zeigt das Zentrum, das der Präsident hat einrichten lassen, um all die Briefe zu bearbeiten. Als Sachbearbeiter fungieren treue Töchter und Söhne der Revolution, die stolz sind, sich hier aufopfern zu dürfen. Es ist viel Arbeit, und sie belastet. Denn an diesem Ort offenbart das iranische Volk seine Sorgen, von denen es im Überfluss zu haben scheint. "Letters to the President" macht deutlich, dass das Hauptziel dieser Einrichtung, zu der auch ein Call Center gehört, die Propaganda ist. Er zeigt die Arroganz mancher Mitarbeiter und die Verzweiflung der Leute, die mit leeren Händen wieder gehen. Es kommen Menschen zu Wort, die vergeblich auf Antworten warten.

Während auf dem Land der Stern des Präsidenten trotzdem hell strahlt, wissen die Teheraner Bescheid. Sie lassen sich von Ahmadinedschad nicht hereinlegen, manche äußern sogar unverhohlen Hass auf die Theokratie und Häme über deren idiotische Vorstellungen vom richtigen Leben. Und eben hier liegt das Problem dieses ansonsten erhellenden Films: Es stimmt, dass Propagandafilme immer auch die Wahrheit hinter dem Schein der schönen Bilder zeigen, weil sich das Material gegen die Lüge auflehnt. Ahmadinedschad entlarvt sich in diesem Film selbst. Es passiert in diesem Film aber auch das Gegenteil.

Zwar erklären Tafeln, dass Iran in Sachen Korruption und Zensur weltweit weit vorne liegt, aber über Folter und Mord an Regimekritikern verliert der Film kein Wort. Noch dazu dementieren die Bilder ständig die Zensur: Zwar ist zu sehen, wie ein Mann sich weigert, vor die Kamera zu treten, weil es zu gefährlich sei, die Wahrheit zu sagen. Doch seine Frau steht währenddessen in der Tür und lächelt verlegen. Und äußern sich nicht ständig Leute kritisch vor der Kamera?

Ein bitterer Beigeschmack bleibt daher, wenn auf einer Tafel am Ende noch einmal deutlich zu lesen ist, der Film sei in Kooperation mit der iranischen Regierung entstanden. Die habe sich den Titel "Demokratie in Aktion" gewünscht. Es scheint, als seien Ahmadinedschads Propagandisten schlauer, als sich das ein europäischer Filmemacher vorstellen kann.

"Letters to the President". Regie: Petr Lom. Kanada, Iran 2009, 74 Min.

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