Taktikexperte über Löws Masterplan: "Man muss den Druck aushalten"

Hoffenheim-Sportdirektor Bernhard Peters ist davon überzeugt, dass sich die deutsche Nationalmannschaft am Montag im Spiel gegen Österreich steigern wird.

"Die Mannschaft hat keinen Schuß mehr frei": Ob David Odonkor das auch weiß? Bild: ap

taz: Herr Peters, braucht man als Trainer bei einer EM einen Masterplan?

Bernhard Peters: Es gibt einen Masterplan, um sich auf jeden Gegner mit einer spezifischen Strategie vorzubereiten. Man hat eine Vorgabe für die Tage zwischen den Spielen, wie Regeneration und Vorbereitung ablaufen. Der Trainer braucht eine klare Strategie im Personellen: Wen will er gegen welchen Gegner wie spielen lassen?

Im Spiel gegen Kroatien hat der Plan von Löw eine Delle bekommen. Heißt das, dass die Strategie nicht aufging?

Es gibt bei jedem Trainer, bei jeder Sportart Situationen, in denen es trotz guter Vorüberlegungen nicht läuft. Wenn die taktischen Vorgaben des Spiels nicht funktionieren - wie es gegen Kroatien der Fall war -, wenn einige Spieler phlegmatisch spielen, dann kann man eine noch so gute Strategie vorbereitet haben und perfekt auf den Gegner eingestellt sein - dann funktioniert es nicht.

Wie kann man eine Mannschaft so motivieren, dass sie trotzdem wieder an sich und den Titel glaubt?

Die Mannschaft hat jetzt keinen Schuss mehr frei. Man kann ihnen deutlich vor Augen führen und durch die richtigen Zusammenschnitte des Spiels visualisieren, dass mit solch einer Einstellung und vielen verlorenen Zweikämpfen kein Spiel zu gewinnen ist. Wenn man Europameister werden will, dann gibt es nur noch einen Weg: Du darfst kein Spiel mehr verlieren. Das muss bei jedem in die Birne rein, das ist die Motivation, die man benötigt. Da müssen sich alle auch in ihrer Zielstellung einig sein.

Wer ist da gefordert?

Es ist die Aufgabe des Trainers, dieses den Spielern bewusst zu machen. Auch die Führungsspieler sind dabei gefordert. Ich sehe die Chancen, dass die Mannschaft dies hinbekommt, als sehr hoch an. Ich glaube, wir werden gegen Österreich eine Elf sehen, die eine ganz andere Präsenz zeigen wird.

Ist es dabei sinnvoll, dass sich ein Trainerteam vor die Mannschaft stellt, oder ist ein gewisser Druck nötig?

Zweiteres. Einer der Triebe des Menschen ist es, Schmerzen zu vermeiden. Den Spielern muss klargemacht werden, dass sie, wenn sie nicht die nächste Niederlage hinnehmen wollen, auch diesen Druck aushalten müssen. Druck ist etwas sehr spezifisches im Leistungssport, er fokussiert. Wer dem nicht standhalten kann, ist bei einer solchen Veranstaltung verkehrt.

Haben Sie in Ihrer Zeit als Hockeynationaltrainer die Erfahrung gemacht, dass eine Mannschaft trotz eines Rückschlags im Turnier wieder aufstehen kann?

Bei der Weltmeisterschaft 2002 haben wir im zweiten Spiel nach einer schlechten Leistung glatt verloren. Dann hat es unheimlich Rumms gemacht - innerhalb des Teams und auch durch mich als Trainer. Daraufhin haben wir die Einstellung verändert und der Wille war immens groß. Gerade die Führungsspieler haben Klartext geredet. Alle waren sich danach im Klaren, dass wir mit einer Leistung, wie wir sie im verlorenen Spiel gebracht hatten, nicht den Weltpokal vom König in Empfang hätten nehmen können.

Kann eine Niederlage also Mannschaftsmoral und Kampfgeist steigern?

Ja, natürlich. Wenn man es schafft, dass die Spieler dieses Turnier noch viel eindeutiger annehmen, wenn eine Mannschaft aus ihrem Inneren funktioniert und eine richtige Hierarchie hat, dann wird sie die richtige Antwort auf das Kroatienspiel geben.

Wie agiert Jogi Löw vor dem entscheidenden Spiel gegen Österreich?

Ich weiß, dass er sehr souverän agiert. Er bringt die Schwachstellen mit Sicherheit energisch auf den Punkt. Es wird - wie bei jedem Spiel - eine klare und eindeutige Analyse mit Auswertung des Videomaterials geben. Darauf aufbauend wird er die notwendigen Schritte zur Einstellung auf das Österreichspiel formulieren.

Sind solche Analysen inzwischen selbstverständlich im Profifußball?

Nein, ich bin überzeugt, dass es nicht so ist. Fußball ist ja auch viel PR. Das heißt, viele Mannschaften reden sich zwar Professionalität auch im technischen Analysebereich ein. Welche Trainer Video- und Datenmaterial aber wie und wie intensiv nutzen, ist sehr unterschiedlich.

Was ist vor dem Österreichspiel die bessere Strategie: den Gegner klein oder groß zu reden?

Es ist immer wichtig, dass man jeden Gegner respektiert, aber sich auf seine Stärken besinnt. Dann ist es eigentlich egal, ob es gegen Österreich geht oder gegen Brasilien. Es geht darum, seine eigenen Stärken auf die Wiese zu bekommen. Im technischen, im taktischen, im läuferischen, aber vor allen Dingen in der Einstellung der Spieler. Natürlich muss man eine Mannschaft zusätzlich auf den Gegner einstellen, aber das sollte man vom Zeitaufwand her nicht übertreiben. In erster Linie muss jeder von seinen eigenen Stärken und von dem gesamten Team überzeugt sein.

Welche Mannschaften haben das bisher am besten abrufen können?

Ich habe da so meine eigene Sichtweise, bin nicht der absolute Fußballfachmann, der meint, das dann immer kommentieren zu können. Die Portugiesen, die Kroaten und die Holländer haben mir sehr imponiert. Allerdings finde ich es klar zu früh, schon in der Vorrunde über Entwicklungen in einem solchen Turniers zu reden.

Sie gelten als Taktikexperte. Welche taktischen Entwicklungen haben Sie bei der EM bislang ausmachen können?

Insgesamt kann ich zu wenig Struktur im Offensivspiel beobachten. Die Mannschaften sind defensiv alle unheimlich gut organisiert. Bei Mannschaften wie Portugal und Kroatien war gut zu sehen, dass sie in der Lage sind, im Kombinationsspiel mit einem oder zwei Kontakten eine hohe Sicherheit zu beherrschen. Das können nicht viele.

Welche Spieler sehen Sie da in einer Rolle des Protagonisten eines modernen Spiels?

Mir hat Luka Modric von den Kroaten sehr gut gefallen. Er ist einer dieser Spieler die in der Lage sind, mit schnellem Passspiel oder erfolgreichen Dribblings Überzahlsituationen zu schaffen.

Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Löw zu seinem Vorgänger Klinsmann?

Jogi hat vielmehr Erfahrung als Trainer, während Jürgen sich ja auch ganz anders verstanden hat: Als Teamleader, als Coach und schließlich als Projektleiter für die WM 2006. Da ist die Aufgabe von Jogi Löw jetzt umfassender: Er muss die Fachebene und die emotionale Führungsebene besetzen. Aber beide Trainer haben eine interessante strategische Denkweise, auch was Transfers von Ideen aus anderen Sportarten wie Basketball, Handball oder Hockey anbelangt.

Kann Löw so emotional sein wie Teamleader Klinsmann?

Ja, ich traue es ihm zu. Aber Leistungssport ist Ergebnissport - und das Ergebnis sehen wir dann am 29. Juni.

INTERVIEW: SIMON WALTER

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