US-Politologe Raskin erwartet Obama-Sieg: "Ein toller Schritt vorwärts"

Der US-Politologe Marcus Raskin rechnet fest mit einem Wahlsieg Barack Obamas. Dringendstes Anliegen ist für ihn die Gesundheitsreform.

"Ich spreche von einem Projekt einer Generation": Barack Obama soll es verwirklichen. Bild: dpa

taz: Professor Raskin, gewinnen Barack Obama und die Demokraten am Dienstag die Wahlen?

Marcus Raskin: Obama wird mit über 300 Wahlmännerstimmen gewinnen. Es ist sogar möglich, dass die Demokraten im Senat eine 60-Sitze-Mehrheit bekommen und auch im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit deutlich vergrößern.

Sie gelten als Ikone der US-amerikanischen Linken. Wird man Obama als "linken" Präsidenten bezeichnen können?

Ich denke schon. Wenn er weiterhin von einer Bewegung begleitet wird, die die Kämpfe der letzten 200 Jahre in sich vereint - den Kampf der Schwarzen, der Schwulen, der Arbeiter, der Frauen -, und dies weiterhin den Freiheitsbegriff und das nationale Selbstbewusstsein prägt, dann wäre das ein toller Schritt vorwärts. John McCain hat da als Sohn einer traditionellen Militärfamilie einfach einen ganz anderen Blick. Er glaubt, Amerika definiere sich über Krieg.

Wird es denn möglich sein, jene auf die Begriffe "Wandel" und "Hoffnung" aufgebaute Wahlkampfmaschine tatsächlich zu einer Kraft zu formen, die über den Wahltag hinaus das Land verändert?

Das glaube ich schon. Aber wie lange sie hält, weiß ich nicht. Keine Ahnung, was aus unserem Land wird, falls Obama, Gott behüte, umgebracht werden sollte. Auch das ist nicht ausgeschlossen: Attentate auf amerikanische Präsidenten sind Teil des way of life. Kennedy, Roosevelt, Reagan - das gehört dazu. Aber wir haben hier eine jugendliche Bewegung, die an so etwas wie "praktische Hoffnung" glaubt. Damit meine ich eine Hoffnung, die ein konkretes Ziel formulieren kann und die Mittel, dahin zu gelangen.

Signalisiert ein Obama-Sieg, dass der Rechtsruck der US-Gesellschaft vorbei ist? Oder stellt er nur eine Reaktion auf eine gescheiterte Präsidentschaft dar?

Ich halte die Bush-Präsidentschaft nicht für gescheitert.

Wie bitte?

Ihr Ziel war, der eigenen Klasse und Klientel so viel Geld zuzuschanzen wie möglich - und das ist gelungen. Was den Irakkrieg angeht, hatte Bush eine höhere Mission im Kopf sowie eine Revanche für seinen Vater im Sinn, der 1991 vor Bagdad klein beigegeben hat. Im Kongress hat ihn absolut niemand aufgehalten. Insofern hat Bush geschafft, was er sich vorgenommen hatte.

Die Öffentlichkeit aber assoziiert die Bush-Regierung mit Scheitern und schwindendem US-amerikanischen Einfluss in der Welt.

Obama und andere Demokraten argumentieren, es ginge darum, den guten Namen der USA in der Welt wiederherzustellen. Was heißt das genau? Ist das "umsichtiger Imperialismus"? Meint das, wir sollten außenpolitisch in Zukunft lieber verführen statt zu vergewaltigen? Solche Fragen stehen zur Neudefinition an.

Selbst bei den Republikanern gibt es eine Neubewertung von Regulierung und Deregulierung. Gibt es insgesamt die Bereitschaft, eine größere Rolle des Staates zu akzeptieren?

Das Verhältnis zum Staat ist kompliziert geworden. Einerseits wird die Bedeutung des Staates und der Regierung für den Volkssouverän allgemein akzeptiert. Andererseits meinen viele, dass der Staat und seine Kriege die finanziellen Ressourcen der Nation ausgeplündert und die jungen Leute verheizt hat. Wo das hingeht, wird sich in den nächsten vier Jahren zeigen: Kann der Staat seine mütterliche Seite beweisen oder wird er bei der väterlich-nationalistischen Position bleiben, die den permanenten Krieg braucht?

Wird es in den nächsten zwei Jahren einen Testfall für die Marschrichtung geben?

Die Gesundheitsreform dürfte der zentrale Punkt werden. Wenn in diesem Bereich nichts passiert, stattdessen Militär und private Sicherheitsdienste eine Steigerung des Militäretats erreichen und die Kongressabgeordneten beginnen, den Militäretat zur Schaffung neuer Jobs zu benutzen, wird diese Regierung sehr schnell scheitern. Die USA haben Militärbasen fast überall auf der Welt, geheime Operationen in Iran und Pakistan. Das muss sich ändern, nationale Sicherheit muss neu definiert werden. Dies zieht auch ein verändertes Verhältnis zu den Vereinten Nationen und der Nato nach sich und den Verzicht auf hegemoniellen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten.

Halten Sie einen so tief greifenden Wandel für möglich?

Ich spreche von einem Projekt einer ganzen Generation, nicht von ein bis zwei Jahren. Ich glaube, wir sind dazu gezwungen. Obamas Bereitschaft, mit den Gegnern der USA zu sprechen, ist der Beginn eines neuen Ansatzes. Das ist gut.

Die meisten Europäer sympathisieren zwar mit Obama, haben aber auch Angst davor, was er ihnen abverlangen könnte, etwa der Wunsch nach einer Verstärkung deutscher Truppen in Afghanistan. Wie groß ist denn die Chance für eine Neubelebung der alten Allianzen?

Das hängt davon ab: Wenn die Alliierten sich etwa im Hinblick auf Afghanistan schlicht weigern, ein Projekt mitzuverfolgen, das in ihren Ländern unbeliebt ist und das sie darüber hinaus für falsch halten, dann wird Obama seine Position ändern müssen. Wenn Obama es mit seiner Cleverness und Eloquenz jedoch schaffen sollte, Europa wiederum dazu zu bringen, unter US-Führung in die falsche Richtung zu marschieren, dann werden wir alle darunter leiden. Die Europäer stehen künftig mehr in der Verantwortung, selbst Politik zu gestalten.

Wenn wir uns in zehn Jahren wiedertreffen, wie werden wir dann auf die Obama-Präsidentschaft zurückblicken?

Ich weiß es nicht. Ich kann mir viele Fehler vorstellen. Aber wenn die Demokraten im Senat wirklich eine 60-Sitze-Mehrheit bekommen, könnte sich bei der Besetzung der offenen Richterstellen tatsächlich ein Kurswechsel ergeben. In diesem Falle wäre Obamas Präsidentschaft rückblickend vor allem ein Meilenstein bei der Sicherung von Minderheiten- und Frauenrechten.

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