Europas Euphorie über US-Kandidat: Unrealistische Erwartungen an Obama

Trotz des neuen Stils, der mit Obama zu erwarten wäre: Es lohnt sich, hinzuhören, was er genau sagt - zum Irak, zu Israel und zum Freihandel.

Der Messias lädt zur Messe: Obama-Plakat in Berlin Bild: dpa

Am Donnerstag werden die BerlinerInnen an der Siegessäule Barak Obama den freundlichsten Empfang bereiten, den ein US-Präsident in spe seit 45 Jahren erhalten hat - seit John F. Kennedys "Ich bin ein Berliner"-Rede vor dem Schöneberger Rathaus am 26. Juni 1963. Ähnlich groß wäre der Jubel in anderen europäischen Hauptstädten, würde der Präsidentschaftsbewerber auf seiner Profilierungstour dort Station machen.

Doch wahrscheinlich ist, dass Obama, sollte er George Bush als Präsident nachfolgen, bei künftigen Auftritten in Europa auf deutlich weniger Begeisterung treffen wird. Denn die Obamania, die derzeit in weiten Teilen des "alten Kontinents" herrscht, ist häufig das Produkt unrealistischer Erwartungen - vor der Folie acht dunkler Bush-Jahre.

Sicher ist nur, dass ein Präsident Obama und seine Regierung einen besseren Stil und Umgangston gegenüber Europa pflegen werden als die Vorgänger. Eine Aufteilung in "altes" und "neues Europa" wird es nicht geben. Doch was die Substanz der Politik betrifft, sind Enttäuschungen programmiert. In der Sicherheits- und Außenpolitik hat die Ernüchterung in den letzten Wochen bereits eingesetzt, seit europäische Medien zur Kenntnis genommen haben, was man längst hätte wissen können: Obamas wichtigstes Wahlkampfversprechen eines Truppenabzugs aus Irak bezog sich immer nur auf Kampftruppen (Combat Forces). Das heißt, selbst wenn er das Versprechen innerhalb der ursprünglich zugesagten 16 Monate nach seinem Amtsantritt am 20. Januar 2009 (eine Frist, die Obama in seiner letzten außenpolitischen Grundsatzrede gar nicht mehr erwähnte) umsetzen sollte, verblieben rund 75.000 der derzeit 155.000 US-Soldaten auf unbestimmte Dauer im Irak. Hinzu kämen 160.000 Söldner und Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen, die vollständig aus dem Regierungshaushalt der USA finanziert werden. Über sie hat sich Obama bislang überhaupt nicht geäußert.

Seine Gegnerschaft zum Irakkrieg, den Teilabzug von Truppen aus dem Irak sowie die angekündigte Verlegung von zwei US-Brigaden nach Afghanistan - all das wird ein Präsident Obama instrumentalisieren zu erhöhtem Druck. Er wird von Deutschland und anderen europäischen Nato-Staaten erwarten, sich sehr viel stärker als bislang mit Kampftruppen im Afghanistankrieg zu engagieren. Auch auf anderen Gebieten wird Obama die Lastenverteilung innerhalb des Nato-Bündnisses zuungunsten der europäischen Partner forcieren.

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin erwartet "Friedensimpulse" im Nahostkonflikt von Obamas heutiger Berliner Rede. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi erhofft sich "ein Signal, dass die USA wirklichen Frieden in Nahost anstreben". Die beiden Politiker dürften enttäuscht werden, sollte Obama bei seinen bisherigen Positionen bleiben. Mit seinen Äußerungen während seines Israelbesuchs in den letzten Tagen sowie mit seiner Anfang Juni gehaltenen Rede vor der wichtigsten Lobbyorganisation der israelischen Regierung in den USA, Aipec, blieb der demokratische Präsidentschaftskandidat sogar hinter den Positionen der Bush-Administration und den in der Roadmap vereinbarten Zielen zurück. Zum Beispiel mit seiner Aussage, Jerusalem müsse "auf ewig die ungeteilte Hauptstadt des jüdischen Staates Israel bleiben".

Enttäuscht werden dürfte auch FDP-Chef Guido Westerwelle, der sich von Obama "klare Bekenntnisse zum Freihandel" erwartet. Selbst wenn Obama heute derartige Bekenntnisse ablegen würde - sie wären ein ungedeckter Scheck. Genau wie die Position, mit der die Bush-Administration bei der laufenden Ministerrunde der Welthandelsorganisation auftritt. Denn im US-Kongress gibt es solide parteiübergreifende Zweidrittel- bis Dreiviertelmehrheiten gegen mehr Freihandel, getragen von wachsenden Umfragemehrheiten in der US-Bevölkerung. An dieser Stimmung und den Mehrheiten im Kongress wird sich auch durch die Wahlen am 4. November nichts ändern - zumal ein Ende von Dollarschwäche, Banken- und Immobilienkrise sowie steigenden Preisen für Öl/Benzin und Gas nicht absehbar ist. Daher wird ein künftiger US-Präsident - egal ob Obama oder John McCain - eine protektionistischere Linie fahren, inklusive vermehrter Verstöße gegen bestehende Welthandelsabkommen. Auch auf diesem Feld sind verstärkte Konflikte zu erwarten - gerade mit der EU, dem bislang wichtigsten Partner der USA bei Handel und Investitionen.

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