Eine Zeitung - kein Lautsprecher

Nach dem Jahr 1977 war klar: Das Land braucht eine unabhängige Zeitung. Die taz entstand - und musste dem Druck von Staat und RAF-Unterstützern standhalten.

Es war der 2. März 1989, sechs Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, einem Ereignis, das für alle taz-RedakteurInnen damals völlig unvorstellbar war. Statt uns mit der Zukunft beschäftigen zu können, waren wir in diesen Tagen mit der Vergangenheit völlig ausgelastet. Die Redaktionskonferenz hatte gerade begonnen, als es vor dem Raum plötzlich laut wurde. Zehn, 20, zuletzt fast 60 überwiegend jüngere, in schwarz gekleidete Menschen stauten sich im Treppenhaus und drängten in die Redaktionskonferenz. Es waren Berliner Autonome und Antiimperialisten, zusammengeschlossen in einem Komitee zur Unterstützung eines RAF-Hungerstreiks. Seit einem Monat waren 38 RAF-Häftlinge in einem Hungerstreik, um ihre Haftbedingungen zu verbessern. Das Komitee forderte, die taz solle ihnen jeden Tag eine Seite überlassen, die sie "autonom" gestalten könnten.

Es war nicht das erste Mal, dass die taz mit solchen Forderungen aus der RAF-Unterstützerszene konfrontiert wurde, aber im März 89 lag der letzte Hungerstreik vier Jahre zurück und die RAF spielte im Bewusstsein der meisten taz-Redakteure kaum eine Rolle. Das Selbstverständnis der taz hatte sich seit der Gründung zehn Jahre zuvor erheblich gewandelt. Plattform für die RAF-Soli-Komitees? Wo kommen wir denn da hin, dachten die meisten. Weil die Redaktion nicht gewillt war, sich auf das massiv vorgebrachte Anliegen einzulassen, wurde der aus Redaktion und Verlag besetzte Vorstand eingeschaltet.

Die Ablehnung, sich als RAF-Mitteilungsblatt missbrauchen zu lassen, war jedoch nicht immer so einhellig gewesen wie im März 1989. Was viele damals nicht mehr wahrhaben wollten, war bei Gründung der taz durchaus noch vorgesehen. Ausdrücklich sollte die taz auch dazu dienen, den Boykott der Presse gegenüber der RAF zu durchbrechen und Texten der RAF zu einer größeren Öffentlichkeit zu verhelfen.

Überspitzt kann man sogar sagen: Ohne die RAF hätte es die taz nie gegeben. Jedenfalls nicht ohne die Willfährigkeit, mit der die bundesdeutschen Medien in den dramatischen Wochen des Herbstes 1977 die Vorgaben der Bundesregierung umsetzten und alle Nachrichten unterdrückten, die die unnachgiebige Haltung der Bundesregierung gegenüber den Forderungen der Entführer von Arbeitgeberpräsident Schleyer hätten infrage stellen können.

Um zu verstehen, aus welchen Gefühlen der Wut und Ohnmacht heraus, die taz gegründet wurde, muss man sich die Zeit der totalen Konfrontation zwischen RAF und Staat 1977 vergegenwärtigen. Am 7. April 1977 wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback in seinem Auto von einem vorbeifahrenden Motorrad aus erschossen. Sein Fahrer und ein weiterer Begleiter wurden ebenfalls getötet. Ende April erschien in der Zeitung des Asta der Universität Göttingen ein Nachruf auf Buback, unterzeichnet mit dem Pseudonym "Mescalero", in dem unter anderem von "klammheimlicher Freude" die Rede war, weil Buback angeblich für Folter und Mord in den Gefängnissen verantwortlich war. Diese eher "hingerülpsten" Bemerkungen einer Spontigruppe lösten eine bis dahin in der Bundesrepublik noch nie da gewesene hysterische Sympathisantenhatz aus. Das Ziel war, die veröffentlichte Meinung hinter den Regierenden zu versammeln und jede Kritik zu unterbinden. Zur selben Zeit endete der erste große Stammheim-Prozess gegen die Gründungsmitglieder der RAF. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wurden erwartungsgemäß zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt. Die RAF antwortete darauf mit einem weiteren Mord an dem Vorstandschef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, der am 8. August in seinem Haus erschossen wurde.

Die ultimative Zuspitzung erfolgte dann am 5. September, als ein RAF-Kommando Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführte und dabei vier seiner Begleiter erschoss. Ziel der Entführung war die Freipressung der wichtigsten RAF-Gefangenen gegen das Leben von Schleyer. Sowohl für Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) als auch für die Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU) schien von Anfang an klar, dass es keinen Austausch geben werde. Stattdessen lief die größte Fahndung in der Geschichte der Republik. Zwei Tage nach der Entführung verhängte die Bundesregierung im Wege des "übergesetzlichen Notstandes", das heißt ohne gesetzliche Grundlage, eine totale Kontaktsperre für alle RAF-Häftlinge mit der Außenwelt. Auch ihre Anwälte durften sie nicht mehr sprechen. Erklärungen der RAF zum Austausch der Inhaftierten gegen Schleyer wurden in deutschen Medien unterdrückt und erschienen lediglich in Frankreich (siehe Artikel S. 3 unten). Die kritische Linke in Westdeutschland sah sich vor die Wahl gestellt, entweder vom Staat oder von der RAF vereinnahmt zu werden. Ein Medium, in dem unabhängige linke Positionen hätten diskutiert werden können, gab es nicht - außer in den Stadtzeitungen.

Seit Anfang der 1970er Jahre waren in den größeren Städten Alternativzeitungen entstanden, die zwar auch Service boten, aber vor allem eine Gegenöffentlichkeit zu den Lokalzeitungen herstellen wollten. Diese Alternativblätter, durchgängig nicht kommerziell und von Leuten in ihrer Freizeit produziert, waren die Kommunikationsbasis der Alternativszene. Jener undogmatischen Linken, die in den Nischen der Gesellschaft ein selbstbestimmtes, antiautoritäres Leben führen wollte. Sie hatte weder mit dem Staat noch den Gewerkschaften und der Arbeiterklasse etwas am Hut, lehnte aber auch die Gewalt und Machtfantasien der RAF ab. Diese neue Linke, zu der ein großer Teil der Frauen-, der Öko- und Anti-AKW-Bewegung gehörte, war der staatlichen Repression und den Solidaritätsforderungen der RAF gleichermaßen ausgesetzt, ohne selbst eine publizistische Stimme zu haben.

Dieser Druck wurde zum Treibsatz der taz. Die düsteren Erfahrungen des "Deutschen Herbstes" noch im Gedächtnis, trafen sich Ende 1977 und dann das ganze Jahr 1978 hindurch, Gruppen aus der Alternativzeitungsszene, um mit der Gründung einer bundesweiten Tageszeitung der undogmatischen Linken wirklich Ernst zu machen. Den Gründern der taz war klar, dass sie zur RAF Position beziehen mussten, und sie antworteten deshalb auf diese Erwartung in der zweiten Ausgabe mit einer Amnestiedebatte für die RAF-Häftlinge.

Die Eskalation 1977 hatte für die RAF im Desaster geendet. Die Gründungsmitglieder Baader, Ensslin und Raspe wurden am 10. Oktober 1977 tot in ihren Zellen gefunden. Mord oder Selbstmord war eine der Fragen, die die taz in ihren ersten Jahren sehr bewegte, ja die Aufklärung dieser Frage sollte zu ihren einstmals wichtigen, aber nie ganz erledigten Aufgaben gehören. Ohne dass dies explizit formuliert wurde, galt für die ganz überwiegende Mehrheit der taz-Macher, dass die RAF ein missglückter, von Beginn an untauglicher Versuch der gesellschaftlichen Veränderung war, deren Protagonisten aber dennoch die Chance zur Rückkehr in die legale Linke bekommen sollten.

Für uns waren die Kämpfe am AKW-Bauzaun in Brokdorf politisch viel wichtiger, als die immer verquaster werdenden Erklärungen der RAF, aber wir wollten die Leute im Knast nicht in Vergessenheit geraten lassen. Nach seiner Freilassung kam das ehemalige RAF-Mitglied Wolfgang Grundmann gleich in der taz-Anfangsphase in die Redaktion. Er war verantwortlich für die Justizseite, die sich fast ausschließlich mit der Repression gegen politische Gefangene befasste. Nach Wolfgang Grundmann, der sich später in die Provinz absetzte und dort ein Café eröffnete, bot die taz noch Fritz Teufel, Brigitte Heinrich und Till Meyer - alle aus der Bewegung 2. Juni oder dem RAF-Umfeld - nach dem Knast oder als Freigänger die Möglichkeit, dort zu arbeiten und aus einem relativ geschützten Umfeld heraus sich wieder neu zu orientieren. Dass Till Meyer die taz dann für die Stasi bespitzelte, ist eine andere Geschichte.

Trotzdem, oder gerade wegen ihrer Selbstverpflichtung, sich für die politischen Gefangenen einsetzen zu wollen, wurde die taz in den ersten Jahren, als die Redaktion noch in einem hässlichen, verklinkerten Bürogebäude im Wedding saß, immer wieder von "Antiimps" und RAF-Hungerstreikkomitees heimgesucht. Diese Besucher traten selbstverständlich mit der Attitüde an, die taz sei doch ihre Zeitung und wir hätten ihre Erklärungen gefälligst ohne Wenn und Aber abzudrucken. Falls nicht, drohten sie damit, die Produktion lahm zu legen. Erschwert wurden die Auseinandersetzungen auch dadurch, dass die tazler nicht immer eine einheitliche Position gegenüber den fordernden Gästen hatten. So kam es, dass innerhalb der taz schon mal eine Anti-taz produziert wurde und MitarbeiterInnen aus Bochum und Köln verschwanden, weil sie angeblich im Zusammenhang mit den Revolutionären Zellen gesucht wurden.

Die Besetzungen waren immer gleich: Zuerst wurde stundenlang lautstark diskutiert, am Ende schlug die Stunde der Pragmatiker. Wenn die RAF-Unterstützer partout darauf bestanden, ellenlang Hungerstreikerklärungen ungekürzt ins Blatt zu bringen, die Redaktion aber maximal eine Seite opfern wollte, half zuletzt die Technik. Wir verkleinerten die Schriftgröße so weit, bis der Text auf eine Seite passte. RAF-Erklärungen wurden so zu Bleiwüsten, die man nur mit der Lupe lesen konnte.

Diese salomonische Lösung wollten die Besetzer im März 1989 nicht akzeptieren. Nach zwei Tagen kam ihnen der Vorstand gegen den Protest der Redaktion entgegen: Sie durften zwei Seiten pro Woche gestalten. Als die Besetzer schon nach der ersten autonom produzierten Seite damit nicht mehr zufrieden waren und begannen, die Redaktionsräume in ihr Hauptquartier umzuwandeln, zog der Vorstand die Notbremse. Wenn die Besetzer nicht bereit wären, das Haus zu verlassen, würde die Zeitung vorübergehend geschlossen. Zum ersten Mal in zehn Jahren, in denen nie eine Ausgabe ausgefallen war, drohte das Projekt tageszeitung mit vorübergehender Schließung. Das Hungerstreikkomitee zog schließlich ab. In der taz wurden das erste Mal Stimmen laut, zukünftig solche Konflikte doch mit Hilfe der Polizei zu lösen. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Auch der letzte Hungerstreik der RAF 1989 endete ohne den großen Durchbruch, wenig später fiel die Mauer und eine neue Zeitrechnung begann. Obwohl die RAF danach noch den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und den Chef der neu gegründeten Treuhand, Jürgen Rohwedder, tötete, spielte sie politisch keine Rolle mehr. Später erklärte sie den bewaffneten Kampf für beendet. Für die taz dagegen kann das Kapitel RAF so lange nicht als abgeschlossen gelten, wie noch immer RAF-Häftlinge im Knast sitzen, die gleichen Scharfmacher wie 1977 nach Rache rufen und wie die Stimmen, die für Versöhnung plädieren, die taz brauchen.

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