Mitleid war unerwünscht

Der blinde Fleck in der Aufarbeitung des linken Terrorismus: die abschätzige Behandlung der Opfer der Roten Armee Fraktion.

Bis heute klingt es aus linken Kreisen oft auf verstörende Weise rechtfertigend, wenn über die Motive der RAF gesprochen wird, und noch verstörender ist die mitleidlose Distanz, wenn es um die Morde der Terroristen geht. Als seien die Opfer nicht Menschen gewesen - und als gäbe es keine Schicksale, die sich zwangsläufig an die Taten knüpfen. Aus diesen Kreisen gab es nie ein vernehmbares Mitgefühl für die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden des Terrors. Weshalb eigentlich nicht?

Woher kommt diese innere Barriere, sich die Fragen zu stellen: Wie wurden die Überlebenden des Terrors mit ihren traumatischen Erlebnissen, mit ihrem Kummer, mit ihrem Verlust fertig? Wie gingen die Angehörigen der Ermordeten mit dem Verlust um? Sie erhielten auf ihre Weise "lebenslänglich". Nicht im rechtlichen, sondern im buchstäblichen Sinne.

In der ersten Hälfte der Siebzigerjahre war der RAF ein einsatzfreudiges Unterstützerfeld erwachsen. Solidaritätsversammlungen wurden abgehalten, Teach-ins einberufen, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie man den inhaftierten Terroristen helfen könne. Unbestritten ist, dass bei einigen Terroristenprozessen im rechtsstaatlichen Sinne Zweifel aufkommen konnten - ja, mussten. Jeder hat das Recht, sich darüber zu empören. So wie jeder das Recht hat, die RAF in dem, was sie ideell angetrieben haben mochte, zu rechtfertigen. Doch muss man sich nicht zugleich fragen: Warum wollte man über die Opfer am liebsten gar nichts wissen?

Claudia Hillegaart, die Tochter des 1975 in Stockholm durch einen Kopfschuss von der RAF ermordeten Diplomaten Heinz Hillegaart, zog ein halbes Jahr nach dem Mord an ihrem Vater nach Hamburg. Sie studierte dort Kunst, kam mit Angehörigen der linken Szene in Kontakt: "Ich lebte in Hamburg unter meinem Namen. Die Taten der RAF waren ein ständiges Thema an der Universität. Dennoch wurde ich nur ein- oder zweimal von Kommilitonen darauf angesprochen, ob ich mit Heinz Hillegaart verwandt sei. Und es waren keine politisch engagierten Studenten, die das wissen wollten. Aus dem linken Milieu fragte mich nie jemand, obwohl es nahegelegen hätte. Mich zu fragen, ob ich mit dem ermordeten Heinz Hillegaart verwandt sei, hätte bedeutet, sich anhören zu müssen, wie die Geschichte der RAF nach ihren Morden weitergeht: von Verlust und Trauer zu erfahren und davon, dass die Terroristen blindwütig mordeten."

Einigen aus dem damaligen Umfeld mühen sich bis heute, den Weg der RAF zu rechtfertigen - die Seite der Opfer hingegen bleibt weiterhin von ihnen unbeachtet. Rechtsradikalen Tätern und denen, die Solidarität mit ihnen üben, heimlich oder unverblümt, ließe man derlei nicht durchgehen. Im Gegenteil: So mancher, der heute noch betroffenheitsselig die Anfänge der RAF in der Öffentlichkeit zu erklären versucht, würde vor Empörung aufschreien, begegnete man Opfern rechtsradikaler Taten mit solcher Kälte.

Historische Schuld

Es ist eine seltsame Schleife der Geschichte, dass die Erklärer und Rechtfertiger der RAF-Taten von der Trauer über die Opfer nichts wissen wollen. Gerade sie behaupteten doch immer, schon in den Sechzigerjahren auf die Straße gegangen zu sein, um gegen Verdrängung zu protestieren - gegen die Unfähigkeit, zu trauern. Sie wollten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Aufklärung und Aufarbeitung der persönlichen Verantwortung im Dritten Reich, wollten, dass die Elterngeneration sich der Schuld - ja, den Opfern, deren Leid sie mitzuverantworten hatte - stellt.

Umso erstaunlicher also, dass die Rechtfertiger und Erklärer sich auch heute nicht sensibel gegenüber den Angehörigen der Opfer und den Überlebenden des Terrors zeigen. Und sich hier nicht für Aufklärung einsetzen - obwohl diese in Zusammenhang mit der Geschichte der RAF noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Mehrzahl der Taten, die der RAF zugeordnet werden, sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Man weiß noch immer viel zu wenig über die Interna der RAF, solche, die darüber Aufschluss geben könnten, nach welchen Kriterien die Opfer ausgewählt wurden. Bei vielen Angehörigen der RAF-Opfer existiert der Wunsch, Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Den Verlust des Vaters oder Ehemanns zu verarbeiten würde dadurch leichter. Zu wissen, was passiert und warum es passiert ist.

Doch genauso wenig, wie die Fragen nach Aufarbeitung gestellt werden, so wurde auch nie gefragt, wer die Menschen waren, die zu Opfern wurden. Wer waren sie wirklich? In den meisten Fällen ist über sie lediglich bekannt, welchen Beruf sie hatten - welche Position sie bekleideten oder Funktion sie innehatten. Wofür sie standen und einstanden, wie sie im Kontext ihrer Zeit lebten, woran sie politisch glaubten, daran gab es nie ernsthaftes Interesse. Stellt man diese Fragen nicht, sieht man die Menschen nur durch den Filter, durch den die RAF sie gesehen hat.

ANNE SIEMENS, Jahrgang 1974, verfasste das mit dem Corine-Preis ausgezeichnete Buch "Für die RAF war er das System, für mich der Vater: Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus",Piper, München 2007, 304 Seiten, 19,90 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.