Die Basis der SPD I: Urgestein gegen den Trend

Manfred Slykers ist Ortsvereinvorsitzender der SPD in Duisburg-Marxloh. Ihm laufen die Genossen weg - denn die SPD hält keine Antworten mehr für sie bereit.

Bekennender Genosse: Manfred Slykers mit Parteibuch. Bild: Volker Witschiok

Manfred Slykers kommt gerade von der Schicht. Er arbeitet bei der ThyssenKrupp Steel AG in Marxloh im Duisburger Norden. Slykers ist vor 22 Jahren in die SPD eingetreten, aus Tradition, weil sein Vater auch in der Partei war. Heute ist er Ortsvereinsvorsitzender in Marxloh. "Manfred, tut mir leid, ist nicht gegen dich gerichtet, aber es geht nicht mehr." Diesen Satz hat er in den letzten Jahren oft gehört. 300 Genossen gab es in Marxloh 2003, heute sind es noch 180. Die meisten sind wegen Schröder und Hartz IV ausgetreten. "Die Arbeiter wollen Sicherheit von der SPD", sagt Slykers. "Das war immer so." Aber in Marxloh ist, nicht nur in der SPD, nur noch wenig so, wie es immer war.

7.000 Teilnehmer, darunter 1.900 Journalisten und 300 internationale Gäste - die Erwartungen an den Parteitag der SPD sind nicht nur zahlenmäßig hoch. Richtungsweisend soll er werden: beim Programm, bei den Projekten und Personen.

Einigen wird sich die Partei auf ein neues Grundsatzprogramm, das das "Berliner Programm" aus dem Jahr 1989 ablösen soll. Darin bekennt sich die SPD weiterhin zum "demokratischen Sozialismus" - ein Begriff, der nicht allen in der Partei passt. Ferner stehen die Arbeits- und Sozialpolitik, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan, ein Verbot der NPD und die Bahnreform auf der Agenda.

Den größten Konfliktstoff dürfte die Privatisierung der Bahn bieten. Als Kompromiss zwischen Zweiflern und Befürwortern hat der Parteivorstand Volksaktien vorgeschlagen, die den Einfluss von Großinvestoren beschränken sollen.

Dass drei die künftigen stellvertretenden Parteivorsitzenden Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück heißen werden, ist ziemlich sicher. Denn andere Bewerber gibt es nicht. Die Höhe der jeweiligen Ergebnisse könnte allerdings die Gefühlslage der Delegierten erkennen lassen - und damit Auskunft über die künftige Richtung der Partei geben.

Als Slykers in Marxloh zur Schule ging, gab es in den Klassen keine Migrantenkinder, heute gibt es dort teilweise nur noch Migrantenkinder. Damals kamen Leute vom Thyssen-Werk in die Hauptschulen und sagten: "Ihr kommt am Montag mit euren Eltern ins Werk. Wir brauchen euch alle." Heute können die Jahrgangsbesten froh sein, wenn sie bei Thyssen eine Lehrstelle bekommen.

Marxloh ist ein unwirtlicher Stadtteil, durchschnitten von zwei Autobahnen, im Westen begrenzt durch das Hüttenwerk und die Kokerei von ThyssenKrupp. Das Werksgelände beginnt direkt neben den Mietwohnungen. Früher war Marxloh proletarisch und deutsch, heute, sagen manche, ist es subproletarisch und migrantisch. Viele nennen Marxloh in einem Atemzug mit Berlin-Neukölln: als Chiffre für eine deutsche Banlieu, ein Ghetto für Verlierer und Arbeitslose. Das sind die Bilder. Die Wirklichkeit ist komplexer.

Bei Thyssen arbeiten noch 12.000 Leute. Das sind viel weniger als in den 80er-Jahren, aber immerhin. Slykers ist CNC-Dreher. Er steht nicht mehr an der Werkbank, er sitzt am Computer. In seiner Abteilung arbeiten halb so viel Leute wie vor 15 Jahren - und produzieren mehr.

Auch den Niedergang von Marxloh kann man als die andere Seite einer Aufstiegsgeschichte lesen. Die Fachkräfte, die bei Thyssen arbeiten, sind weggezogen, in Eigenheimsiedlungen nach Dinslaken oder Moers. In bürgerliche Gegenden, ohne Stahlwerk um die Ecke und Feinstaub in der Luft. Marxloh zeigt, was übrigbleibt, wenn die Arbeit weniger wird und das Proletariat, das noch Arbeit hat, verbürgerlicht. Eine Spirale abwärts, in Richtung eines neuen Unterschichtsviertels.

Es gibt auch gegenläufige Tendenzen. Etwa einen kleinen türkischen Mittelstand. In der Weseler Straße, der Hauptstraße, die Marxloh durchzieht, gibt es 18 Geschäfte für Brautkleider und Schmuck. Am Wochenende kommen auch Migranten aus Holland und Frankreich, um hier einzukaufen.

Doch das Problem ist der Drive nach unten, der Kreislauf aus mieser Bildung, Mangel an Jobs und Desinteresse an Politik. Leute wie Slykers haben viel getan, Geld bei der EU organisiert, für mehr Grünflächen, eine Umgehungsstraße, die Erneuerung der bröckelnden Fassaden der Weseler Straße. Doch bei der letzten Kommunalwahl gingen in Marxloh nur 29,4 Prozent wählen, weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten. Für die SPD ging es in Duisburg jahrzehntelang bei Wahlen lange nur darum, wie hoch sie gewinnt. Heute regiert ein CDU-Mann Duisburg. Das ist ungefähr so, als hätte Rot-Rot-Grün die Bayerische Staatskanzlei erobert.

"Viele Migranten" sagt Manfred Slykers, "interessieren sich nicht für Politik. Am Infostand nehmen die mal einen Kuli mit, mehr ist nicht." Doch das Problem hat zwei Seiten. In der SPD-Ratsfraktion in Duisburg gibt es nur ethnisch Deutsche. Und das in einer Stadt, in der fast jeder dritte Einwohner Migrant oder Kind von Migranten ist.

In Marxloh sind es noch mehr. Slykers sieht das Problem, dass die Brücke zwischen SPD und Migrantenmilieus zu schmal ist und die Partei einen Stadtrat mit Migrantenbackground braucht. Aber: "In die Partei eintreten, nie Plakate kleben, aber dann Mandate haben wollen, das geht auch nicht", sagt er.

"In der SPD gucken noch immer viele runter auf die Migranten", sagt Züfiye Kaykin, eine elegant gekleidete Marxloherin, SPD-Mitglied seit 1993. Die eloquente Frau Ende 30 ist eine der wenigen Migrantinnen, die es bei den Duisburger Sozialdemokraten zu etwas gebracht haben. Sie ist im Vorstand der SPD im Unterbezirk Duisburg. Und sie ist Geschäftsführerin der Begegnungsstätte der großen Moschee, die derzeit in Marxloh gebaut wird. Ein repräsentatives, freundliches Sandsteingebäude, das das architektonisch eintönige Bild der Fünfzigerjahrebauten aufhellen wird. Die Moschee ist das Vorzeigeprojekt in Marxloh. Alle, die Anwohner und auch die örtliche CDU, unterstützen den Bau. Slykers ist im Beirat des Begegnungszentrums.

Vielleicht, sagt Slykers, kommen die Genossen, die ihm seit 2003 ihr Parteibuch zurückgegeben haben, "ja wieder zurück". Doch viel Grund für diese Hoffnung gibt es nicht. Kurt Becks Ankündigung, dass ältere Arbeitslose länger unterstützt werden sollen, hat bisher noch keinen zur Rückkehr bewegt. Die Entfernung ist groß geworden, manche Gewerkschafter sind zur Linkspartei gewechselt. Und viele, die Knochenjobs haben, nehmen der SPD die Rente mit 67 übel.

Und auch für die Migranten findet die SPD keine richtige Ansprache. Nicht aus bösem Willen, eher aus achselzuckender Ratlosigkeit. Im Bundestag sitzen derzeit 222 SPD-Abgeordnete. Aus Migrantenfamilien stammen nur zwei. Der Parteitag in Hamburg wird neue Führungsgremien wählen. Zur Wahl stehen 50 Sozialdemokraten, ausnahmslos ethnisch Deutsche.

In zehn, zwanzig Jahren werden in Duisburg, Stuttgart und Frankfurt und anderswo die ethnisch Deutschen nicht mehr die Mehrheit sein. Spätestens dann wird es sich rächen, dass die SPD mal glaubte, Migranten wie eine Nebensache behandeln zu können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.