Bücher zum neuen Feminismus: Eva Herman ist passé

Lesenswertes zu Rollenverteilung und Einkommensunterschied, Berufswahl und Schönheitswahn, Haushaltspflichten und Kinderkriegen, Pornografie, Orgasmus und sexuelle Gewalt.

Feministinnen und stolz darauf: Meredith Haaf, Susanne Klinger und Barbara Streidl. Bild: Stephanie Füssenich

Irgendwer musste sich ja opfern. Und so hat es halt Eva Herman getan. Ihr verdanken wir Frauen mehr als selbst unserer Kanzlerin oder unserer Familienministerin, auch wenn Erstere in den Abendnachrichten eine wohl verdiente Erholung nach all den männlichen Staatschefs darstellt und von der Leyen den alten sozialdemokratischen Frauen-Traum von vernünftiger Kinderbetreuung endlich verwirklicht.

Das wahre U-Boot unter den konservativen Damen aber ist und bleibt Eva Herman. In Talkshows und Livesendungen scheute sie sich nicht, ihren Ruf aufs Spiel zu setzen; sie karikierte den Jäger-und-Sammler-Quatsch selbst ernannter Soziobiologen und setzte ihm triumphierend noch ein Apfelkuchenrezept, sehr fein, als parodistisches Sahnehäubchen obendrauf.

Und was entsteht nun, aufgeschreckt von diesem überzeichneten Horrorszenario eines drohenden Backlash? Endlich haben wir wieder Feminismus! Einen frischen und überzeugten und schlagfertigen Feminismus. Einen, der nicht versucht, sich schicke neue "F-Wörter" auszudenken, der zwar von Alice Schwarzer unabhängig ist, aber sich nicht reflexartig von vermeintlich verbiesterten "Männerhasserinnen" der Siebziger zu distanzieren sucht.

Einen Feminismus, der sich weder allein auf die Kita-Frage beschränkt noch auf die Frage: Wie kommen mehr Frauen ins Management? Vielmehr können wir in diesem Frühjahr dank zwei Büchern dem Wiedererwachen eines Feminismus zujubeln, der die komplette Agenda wieder aufrollt: Rollenverteilung und Einkommensunterschied, Berufswahl und Schönheitswahn, Haushaltspflichten und Kinderkriegen, Pornografie, Orgasmus und sexuelle Gewalt.

Gut, man muss einräumen: Was das Jubeln angeht, hat es eins der beiden frisch erschienenen Bücher sogar ein bisschen übertrieben. "Warum Feminismus das Leben schöner macht", wollen uns laut Untertitel ihres Buches die drei Journalistinnen Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl erklären. Angeblich sind sie sogar "verliebt in den Feminismus" und bezeichnen ihn (den Feminismus) auf den ersten zwanzig Seiten so oft als "cool" oder "geil", dass man verdutzt zur Autorinneninformation zurück blättert: Sooo jung sind die drei doch auch wieder nicht! Sondern Jahrgang 1972, 78 und 83 - da müsste man seinem Wortschatz allmählich ein paar weitere Adjektive hinzugefügt haben.

Der Titel selbst - "Wir Alphamädchen" - wiederum ist so bescheuert und wird im Buch zum Glück so selten aufgegriffen, dass man vermutlich von einer buchstäblichen Schnapsidee ausgehen muss. Denn nichts liegt diesen Autorinnen ferner, als sich von der Frau zum Mädchen zurückzuverniedlichen, und keineswegs interessiert sie nur das Alpha der Gesellschaft, sondern immer gleich das große Wir: "Alle jungen Frauen wollen heute das Gleiche, nämlich: genauso viel verdienen wie die Männer, die gleichen Aufstiegschancen. […] Wir sind Feministinnen. Alle. Weil wir doch alle genau das wollen, was auch der Feminismus will: gleiche Verhältnisse für Frau und Mann. Also sollten wir auch etwas dafür tun!"

Mit diesem munteren, gendertheoretisch völlig unbeleckten Aktionismus geht es dann 250 Seiten lang weiter. Der Tonfall lässt einem schier das Blut in den Adern gerinnen. Das ganze Buch strotzt vor Imperativen: Lasst euch nicht vom Schönheitswahn einschüchtern, sagt den Kerlen knallhart die Meinung (und zwar mit gesenkter Stimme), denkt euch einfach mal neue Elternrollen aus!, und so fort. Eine "Mädchenmannschaft" sollen wir ebenfalls gründen. Natürlich haben die drei Autorinnen damit irgendwie recht. Wenn uns potenziellen Mitspielerinnen nur nicht dieser Cheerleader-Sound so entsetzlich auf die Nerven ginge …

Ein gutes Stück ernsthafter ist es das Autorinnenduo Sibylle Hamann und Eva Linsinger angegangen. Zwar locken auch hier peppige Kapitelüberschriften, sind auch hier Journalistinnen die Autorinnen. Hier aber trifft alltagsweltliche Erfahrung auf gründliches Nachdenken und politische Theorie, und der flotte Stil trägt die Inhalte weiter, nicht auf und davon. Offenbar einiges an Recherche haben die Autorinnen aufgewendet, bis ihr "Weißbuch Frauen, Schwarzbuch Männer" solchen Lesestoff ergab, den man sich zunächst vielleicht nur zur abendlichen Sofalektüre bereitlegt, der einen aber schlagartig wieder wach macht und wachhält und an dem man noch viele Tage zum Nachdenken hat.

Auch wenn vermutlich jedeR ein vorbildlich emanzipiertes Paar zu seinen Freunden zählt, klingt die von den Autorinnen ausgebreitete Statistik der Hausarbeit und ihrer Rollenverteilung doch ziemlich bedenklich. Und dass mit Merkel endlich eine Frau im Kanzlerinnenamt sitzt, scheint kein Wunder mehr nach dem, was die Autorinnen über das Phänomen "Frauen erobern sinkende Schiffe" zu sagen haben.

Für die "gläserne Decke", die Frauen üblicherweise ab einem gewissen Punkt ihrer Karriereleiter am Weiterklettern hindert, zählen Hamann und Linsinger eine Fülle von Ursachen auf - für die teils die männlichen Kollegen, teils die weiblichen, teils jedeR Einzelne und ebenso niemand Konkretes verantwortlich zu machen ist. Denn es stimmt ja, dass Frauen von ihren Erfolgen so erzählen, als handele es sich um Zufälle, die ihnen ein freundliches Schicksal oder eine wohlgesinnte Umgebung zugespielt hat; dass die Prämien der Berufswelt - größerer Dienstwagen, hübschere Sekretärin, VIP-Lounge im Stadion oder "Lustreise" - eher auf den männlichen Arbeitnehmer zielen; dass der Wert einer Frau auf der Attraktivitätskala mit zunehmendem Erfolg sinkt; dass ein offenbar unausrottbar gegendertes Vokabular quasi zwei Berufswelten für Männer und Frauen suggeriert: "Männer sind schlagfertig, Frauen sind aggressiv …, Männer sind konzentriert, Frauen sind verbissen. Männer sind zielstrebig, Frauen sind überehrgeizig. Letzteres ist ein Wort, das offenbar ausschließlich für Frauen erfunden wurde."

In vorausschauender Angst vor den sozialen Kosten eines zu steilen Aufstiegs halten Frauen gleich die ganze Erfolgs- und Machtkiste für leicht suspekt bis unappetitlich. Viele sagen aus, dass sie "gar nicht so jemand werden wollen", den der Beruf mit Haut und Haar auffrisst, sondern dass fürs Private und die Familie noch Raum in ihrem Leben bleiben soll. Was politische Gestaltung angeht, engagieren sie sich lieber in NGOs, als sich in der "harten" Parteipolitik die Hände schmutzig zu machen.

Man kann diese Skrupel der Frauen übertrieben mädchenhaft nennen - oder weitsichtig. Jedenfalls sollten sich Feministinnen nicht nur auf die Teilhabe der Frauen an dem konzentrieren, was bisher als Männerwelt gilt, sondern auch Überlegungen zum Umbau der bisherigen Struktur von Macht und Großverdienertum anstellen. Und tatsächlich: Eine Fülle durchdachter und empirisch gestützter Vorschläge rundet das durch und durch empfehlenswerte Buch von Hamann und Linsinger schließlich ab. Insbesondere auf die Umverteilung der Arbeitszeit setzen die Autorinnen große Hoffnungen. Sie befürworten das niederländische Modell, nach dem nicht nur jedeR ein Recht auf Teilzeitarbeit hat, sondern Teilzeitstellen auch dieselben Aufstiegschancen bieten wie Vollzeitstellen: Nur so lässt sich vermeiden, dass Teilzeitarbeit zur Frauen- und Mutterfalle wird.

Dafür braucht es natürlich entsprechende Gesetze. Sogar Quoten, auch wenn man das in Deutschland nicht gerne hört. Schweden, das über eine konsequente, staatlich durchgesetzte Frauenpolitik (samt Ombudsmann und Prostitutionsverbot) verfügt, bescheinigen die Autorinnen positive Gesundheitsstatistiken und ausgeglichenere Mütter und Väter. In Island schreibt ein Gesetz gar drei Monate Elternzeit jeweils für Vater und Mutter sowie drei weitere Monate für beide vor.

Vermutlich müsste von der Leyen noch einige katholische Bischöfe niederringen, um so etwas in Deutschland durchsetzen zu können. Und wie man die jetzigen Gewerkschafter, Personalchefs und sonstigen Strippenzieher, die "ihr Arbeits- und Lebensmodell mit Zähnen und Klauen" verteidigen, aus ihrer Pole-Position drängen könne, ist auch noch die Frage.

Keine Frage aber kann sein: Es gibt einen Haufen kluger, sympathischer, engagierter Frauen in diesem Land. Viele davon haben keine Scheu mehr, Wörter wie Sexismus in den Mund zu nehmen und gesellschaftliche Probleme anzugehen. Eva Hermans Opfer hat sich gelohnt: The King is dead. God save the Queen! Feminismus lebt.

Sibylle Hamann, Eva Linsinger: "Weißbuch Frauen, Schwarzbuch Männer. Warum wir einen neuen Geschlechtervertrag brauchen". Deuticke Verlag, Wien 2008, 287 Seiten, 19,90 Euro Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl: "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht". Hoffmann & Campe, Hamburg 2008, 256 Seiten, 19,95 Euro

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