Neue SPD-Frauengeneration: Ypsilanti nach dem Merkel-Schock

Die neue SPD-Frauengeneration hat mit den alten Klischees zu kämpfen - macht das aber offensiv. Ypsilantis Erfolfg zeigt: die WählerInnen belohnen das.

Lässt Männern nicht selbstverständlich den Vortritt: Andrea Ypsilanti. Bild: dpa

Sie sind nicht mehr zu übersehen. Andrea Ypsilanti in Hessen, Ute Vogt in Baden-Württemberg, Hannelore Kraft in NRW - drei weibliche Landeschefs hat die SPD zurzeit im Angebot, so viele Frauen auf diesen Führungsposten wie nie zuvor. Eine davon ist gerade sogar äußerst erfolgreich und könnte noch die zweite Ministerpräsidentin überhaupt nach Heide Simonis werden.

Was ist passiert in der SPD? Hat sie einen Angela-Merkel-Schock erlitten? Das sicher auch. Aber es ist auch ein interessanter Generationenwechsel im Gang, der mehr weibliches Spitzenpersonal hervorbringt. Da trägt etwa die innerparteiliche Frauenförderung einige Früchte. Vogt, Kraft und Ypsilanti sind diejenigen, für die Heide Simonis und Renate Schmidt den Weg frei gekämpft haben. Dazu kommt: In dieser Generation sind erheblich weniger machtscheue Damen als in der, über die Heide Simonis noch stöhnte. Stachen Schmidt oder Simonis noch wie Leuchttürme hervor, so finden Hannelore Kraft und Andrea Ypsilanti es mittlerweile keineswegs mehr selbstverständlich, dass man Männern automatisch den Vortritt lässt. Neu ist auch, dass diese offensive Haltung von Partei und Wählern nicht mehr ebenso automatisch abgestraft wird. Man traut Frauen zwar generell immer noch wenig zu, lässt sich aber mittlerweile gerne von ihnen überraschen.

Die Frage des Zutrauens ist und bleibt allerdings immer noch das große Thema. Die "Frau XY" aus Hessen hat es in ihrem Wahlkampf wieder gehört und gelesen: wie wenig bekannt sie ist, wie brav ihr Wahlkampf, wie südhessisch ihr Akzent. Wie sie bei Auftritten gern mal die anderen reden lässt und nicht gleich in jedes Mikro quatscht - nicht gerade alphatierverdächtig!

Es ist die Urfrage an die Frau in der Politik. "Kann-die-dat?", fragte die Süddeutsche Zeitung bereits zu Angela Merkels Nominierung als Kanzlerkandidatin. "Das Schema ist immer dasselbe", resümierte Renate Schmidt einst resigniert: "Die Kompetenzen werden angezweifelt. Es wird gesagt, die ist ja ganz tüchtig, aber für das Amt ist sie nicht geeignet." Auch Schmidts eigene Karriere begann als "Mäuschen" und "Amsel", wie der frühere bayerische Ministerpräsident Max Streibl (CSU) sie betitelte. Sie wuchs dann immerhin zur "Krampfhenne" heran.

Auch Andrea Ypsilanti galt, als sie 2003 Landesvorsitzende der hessischen SPD wurde, als Übergangslösung in finsteren Zeiten: Gerade hatte die Partei bei der Landtagswahl zehn Prozentpunkte verloren und befand sich in einer Phase der Kannibalisierung. Da nimmt man ja bekanntlich gerne eine Frau. Heide Simonis hat dieses Prinzip früh entdeckt: "Sie werden als Frau immer nur dann was, wenn Männer eine Sache in den Sand gesetzt haben." 1993 hat sie es für sich genutzt: Damals musste ihr Vorgänger, der SPD-Ministerpräsident Björn Engholm, wegen der Barschel-Affäre zurücktreten, und der Weg ins Amt war frei.

Die Zuschreibungen sind tatsächlich immer und immer noch dieselben: Zunächst stellen BeobachterInnen fest, dass die Frau nicht wie ein Politiker aussieht. Stattdessen hat sie eine Frisur, Kleidung, eine höhere Stimme, tritt nicht wie ein Alphatier auf - mit anderen Worten, sie ist kein Politiker, sondern eine Frau. Das allein sorgt für Irritationen.

Dann ist das Frausein natürlich ein Defizit: nicht wählbar für TraditionswählerInnen etwa, für die ein richtiger Politiker eben ein Mann ist. Und dazu kommt als weitere Erschwernis, dass eine Politikerin erstaunlich oft "zu wenig Stallgeruch" hat oder "keine Seilschaften", "keine Machtbasis", die Arme. Das trifft tatsächlich auf Merkel wie auf Ypsilanti zu - wie auch auf Hannelore Kraft, Chefin der SPD Nordrhein-Westfalen. Sie sind Quereinsteigerinnen.

Das aber ist nicht unbedingt ein Zufall. Zu den Zeiten, als die SPD-Enkel um Schröder sich jungsozialistisch warm liefen, kochten bei den Jusos die Frauen noch den Kaffee. Generell gehen die Frauen im politischen Alltag der Parteien gerne flöten: Endlose Stammtischabende und Kungelrunden waren und sind nicht der Lieblingsaufenthaltsort vieler Frauen. Und wenn es um Machtkämpfe geht, halten sich Frauen immer noch lieber aus "dem schmutzigen Geschäft" heraus und beschimpfen später andere als "intrigantes Schwein" wie einst in der FDP die Genscher-Nachfolgekandidatin Irmgard Adam-Schwaetzer Jürgen Möllemann, nachdem er seinen Parteikollegen Klaus Kinkel an ihr vorbei ins Außenamt lanciert hatte.

Deshalb steigen viele Frauen auf der "Ochsentour" irgendwann aus. Und deshalb kommen an der Spitze eher die Quereinsteigerinnen an. Die dann aber ebendieses Manko jahrelang mit sich herumschleppen.

Nicht nur der Quereinstieg führt oft dazu, dass wenige Seilschaften vorhanden sind. Dazu kommt ein Prinzip der Netzwerkbildung, das in der Organisationsforschung "homosoziale Kooptation" genannt wird: Gruppen suchen solche Neumitglieder aus, die ihnen möglichst ähnlich sind. Politikergruppen, in denen Männer in der Überzahl sind, ziehen deshalb auch eher wieder Männer an. Sie erkennen den männlichen Habitus, einen bestimmten Kommunikationsstil, das Lachen über bestimmte Witze, in Männergruppen eingeübte Loyalitätsmuster und Hierarchien. Diese Muster bringen Frauen als "Außenseiterinnen" erst einmal durcheinander.

Das alles ergibt eine oft weitgehend unbewusste Abwertung der Frauen in der Politik, vom "Frauenmalus" spricht etwa kritisch eine Autorin der Zeit. Frauen nimmt man nur "zur Not", vermittelt in derselben Zeitung ein männlicher Autor: In ihrer Not entdecke die SPD "das Matriarchat", so menetekelt er. Das Patriarchat ist offenbar der wünschenswerte Normalfall. Dass Frauen und Männer einfach zusammenarbeiten: völlig undenkbar.

Zu dem unbewussten Teil dieser Wahrnehmung gehört, dass man Frauen Fehler oder gar "Schwäche" weniger verzeiht - im Gegensatz zu Männern. So hat Roland Koch, der hessische CDU-Ministerpräsident, etwa während der Spendenaffäre kräftig gelogen. Aber danach wartete er ein Weilchen - und wurde schließlich als "Teflon-Koch" bewundert und galt als Kanzlerkandidat. Angela Merkel dagegen hat noch nicht mal gravierende Fehler gemacht, dennoch spekuliert die Presse seit Wochen darüber, ob Koch oder der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff ihr Nachfolger wird - als sei völlig klar, dass die Zeit der Kanzlerin auf jeden Fall eine Episode bleibt. "Schlimm ist", um noch einmal Heide Simonis zu zitieren, "wenn ein Fehler, der jedem passieren kann, einer Frau als Karrierehemmnis in den Weg gestellt wird, und sie schleift das immer vor sich her."

Doch obwohl man betonen muss, dass Medien, PolitikerInnen und auch WählerInnen durchaus mit zweierlei Maß messen, wenn sie Frauen oder Männer in der Politik beurteilen - es beginnt eine Zeit, in der das nicht mehr unbedingt und in jedem Fall zieht. In der sozusagen Quantität in Qualität umschlägt: Jede einzelne Frau muss sich herumschlagen mit dieser Unterschätzung, diesem Heruntergerede, diesem Herumhacken auf vermeintlichen Fehlern, wo man bei Männern gar keine gesehen hätte. Aber in letzter Zeit werden es immer mehr Frauen, die sich von diesen Urteilen nicht mehr so leicht kirre machen lassen. Als Vorbild gilt in dieser Hinsicht tatsächlich, jenseits aller politischen Fragen, Angela Merkel. Der Stoizismus, mit dem sie auf die unvorteilhaftesten Charakterisierungen, Frisurvorschläge, Machtwortwünsche reagiert, nötigt auch politischen Konkurrentinnen Respekt ab.

Noch etwas ändert sich mit dieser neuen Quantität von Frauen in der Politik: Je öfter und je genauer die Menschen hinsehen, desto eher fällt dieses Messen mit zweierlei Maß auf. Bei einer Kanzlerin ist zwar der Anspruch an "männliches" Verhalten sehr hoch. Doch ebenso hoch ist damit auch der Lerneffekt, wenn man sieht: Es geht auch anders. Und wenn mehrere Landeschefinnen, vielleicht sogar mal wieder eine Ministerpräsidentin dazukommen, eine mögliche Präsidentschaftskandidatin in den USA, eine in Frankreich, dann werden die Wahrnehmungsmuster und -verzerrungen doch auffälliger.

Und eines ist ganz neu bei Andrea Ypsilanti. Sie ist die erste Spitzenkandidatin, die ihr Frausein ganz ausdrücklich thematisiert. Angela Merkel etwa ist dafür bekannt, dass sie ihre Handtasche versteckt. Ute Vogt blickt auf ihre eigenen bitteren Erfahrungen in der Politik zurück mit dem vielsagenden Satz: "Eigentlich bin ich keine Frauenrechtlerin" (Betonung auf eigentlich). Andrea Ypsilanti aber machte auch mit Gleichberechtigung Wahlkampf. Sie hat über "Frauen und Macht" ihre Diplomarbeit geschrieben. Sie weiß um die Tücken, die die Macht für ihresgleichen bereit hält - und spricht auch darüber. Das hat sich noch kaum jemand getraut. Die meisten Frauen verweisen erst nach ihrem Scheitern auf solche Fallstricke. Es wird einem nämlich als faule Ausrede ausgelegt: Ich als Frau kann gar nicht so gut sein, weil ich so diskriminiert bin. Männliche Journalisten haben das genauso in Ypsilantis Fall interpretiert. Aber Frau Ypsilanti ist auch viel von Journalistinnen porträtiert worden. Und die wissen: Als Ausrede taugen solche Sprüche nicht. Als Analyse schon.

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