Mit 83 in die taz-Genossenschaft: Paradies an der Spree

Charlotte Moritz ist mit 83 in die taz-Genossenschaft eingetreten. Auf dem tazkongress hat sie am Wochenende geklatscht, gelacht und ab und zu den Kopf geschüttelt.

Mit dem gekreuzigten Jürgen Klinsmann ist sie nicht einverstanden - und hat dafür eine überraschende Begründung. Bild: Lars Lingner

Mitbestimmung: Charlotte Moritz ist eine von derzeit 8.511 Genossinnen und Genossen. Wenn die taz zur nächsten jährlichen Genossenschaftsversammlung einlädt, kann sie mitentscheiden, wie das Kapital der Genossenschaft verwendet wird. So wurden zum Beispiel wichtige Investitionsvorhaben vorfinanziert: Ein neues Redaktionssystem, die Onlineausgabe der taz oder die deutsche Ausgabe der Monatszeitung Le Monde diplomatique. Außerdem wählt die Genossenschaft den Aufsichtsrat der taz.

Ideelle Rendite: Die Genossenschaft hat bisher 8,2 Millionen Euro eingesammelt. Jeder Genosse muss mindestens 500 Euro einzahlen. Ziel der Genossenschaft ist die Sicherung der Pressefreiheit durch die wirtschaftliche Unterstützung der taz. Seit Januar konnte die taz 141 neue Genossen und Genossinnen gewinnen.

Genosse werden: Telefon (030) 25 90 22 13 oder www.taz.de/genossenschaft

Hans Bay aus dem badischen Calw konnte nicht kommen. Dabei wäre er gern dabeigewesen, der älteste Genosse der taz. Bay ist 95 Jahre alt, die Gesundheit lässt eine Reise nach Berlin nicht mehr zu, sagt er am Telefon mit Bedauern. Theresa Geissler aus dem fränkischen Würzburg hatte schon eine Karte für den tazkongress, verzichtete aber dann, nach langem Zögern, auf die Fahrt - wegen einer Familienfeier am Sonntag. Sie ist mit 18 Jahren die jüngste Genossin. Charlotte Moritz aus der Hauptstadt aber kam wie Tausende andere ins Haus der Kulturen der Welt im Berliner Tiergarten. Und in gewisser Weise ist sie die jüngste und zugleich die (fast) älteste taz-Genossin: Die 83-jährige Theologin ist erst unmittelbar vor dem tazkongress in die Genossenschaft eingetreten.

Nun ist es Samstagvormittag, und Charlotte Moritz sitzt mit ihrem Mann Kurt in der ersten Reihe des "Theatersaals". Auf der Bühne findet gerade eine Podiumsdiskussion zum Thema "Kritische Öffentlichkeit" statt, moderiert von taz-Chefredakteurin Bascha Mika. "Mal sehen, ob ich mir was notiere", flüstert Charlotte Moritz zu Beginn - und hat am Ende mit ihrer kleinen, feinen Schrift fünf Seiten mit Notizen gefüllt. Sie klatscht eifrig, lacht häufig, schüttelt ab und zu sanft den Kopf. Gegen Ende der Diskussion will Charlotte Moritz eigentlich noch was sagen, aber bekommt das Saalmikro wegen Zeitmangel nicht mehr. "Irgendwie freue ich mich auch", kommentiert sie das mit einem bezaubernd mädchenhaften Lächeln, "dann habe ich mich auch nicht blamiert." Aber die Diskussion habe ihr gut gefallen, betont sie. "Die Bascha Mika finde ich prima", sagt die junge/alte Genossin. Sie selbst sei ja auch "schon lange in feministischen Gruppen".

Die von Charlotte Moritz fast ein wenig angehimmelte Bascha Mika hatte den Kongress am Freitagnachmittag im Café des Tagungshauses mit einer Rede zum Kongressthema "Freiheit und Utopie" eröffnet. Sie zitierte den Schriftsteller György Konrád: "Der Mensch wird dumm und hässlich, wenn er keine Utopie hat." Das war, unverschämt zusammengefasst, auf der Eröffnungsveranstaltung auch die Kernaussage vom Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, dem Super-68er Daniel Cohn-Bendit, und von Bernd Scherer, dem Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt. Nur brauchten die dafür mehr Worte. Viel mehr Worte.

Etwas leichter ging es danach bei der Geburtstagsgala im großen Auditorium des Hauses weiter - und, sorry!, wieder waren es die Frauen, die die spritzigeren, witzigeren (und kürzeren) Reden hielten. Herausragend war die heutige Spiegel-Redakteurin und frühere taz-Chefredakteurin Elke Schmitter, die den vielleicht programmatischen Satz für diese Zeitung und den Kongress fand: "Die Welt wird ja nicht besser dadurch, dass man sie ernst nimmt." Irgendwie, sagen wir: anregend war auch das Geständnis der ersten Moderatorin des Abends, Sonia Mikich, die heute das ARD-Politmagazin "Monitor" leitet: Eine "heftige Affäre" zu einem taz-Fotografen habe sie seinerzeit zu dieser Zeitung gebracht, es habe sich also um einen "kulturell-sexuellen Zugang" zu diesem Geburtstagsmedium gehandelt. Auch eine Dunkelkammer habe da eine Rolle gespielt, angeblich nur wegen der Fotos.

Womit wir bei den Dönekens aus der Gründerzeit der taz wären, die bei dieser Gala allzu reichlich erzählt wurden. Na ja, das Publikum war ja auch ganz überwiegend weißhaarig, darunter offenbar auch viele Fans von Wolfgang Niedecken, der (ausgerechnet!) seinen Evergreen "Verdamp lang her" zum Besten gab. Wer erleben wollte, dass die taz auch eine junge Zeitung ist, musste schon in die Bar des Hauses gehen, wo die Gala per Videoschaltung direkt übertragen wurde. Bis tief in die Nacht legte dort DJ Gutmair auf, im Hauptberuf Kulturredakteur der taz. Und dort auf der Tanzfläche mischten sich aufs Schönste die alten und die jungen tazler mit denen, die ihre Texte lesen und lasen.

Die alte/junge Genossin Charlotte Moritz ließ sich wenige Stunden später an gleicher Stelle etwas treiben, von einer zur anderen Veranstaltung - und wenn man als Reporter dieser Zeitung alles aufschreiben würde, was sie dabei an Gutem über die taz gesagt hat, wäre das nur noch peinlich. Nur so viel: Die taz sei "so menschlich und intelligent", schwärmte Charlotte Moritz. Die Zeitung pflege eine "Überspitzung wesentlicher Nachrichten um der Wahrheit willen". Und im Grunde, wirft ihr Mann Kurt bei einem Tee im Café ein, sei diese Zeitung doch so, wie die "Grundform der Kirche" sein sollte: "links und grün", also nahe "an den Bedrängten und der Natur". Kurt Moritz ist Pfarrer im Ruhestand. Übrigens: Die Seite 1 der taz zu Ostern mit Klinsi am Kreuz fand das Ehepaar Moritz nicht so gut. Die überraschende, historisch-theologische Begründung: Dem Kreuzestod seien doch nur verachtete Verbrecher ausgesetzt worden. Das sei der FC-Bayern-Trainer aber doch nicht, deshalb sei diese Seite 1 verletzend. Für ihn.

Aber aufregen konnte sich Charlotte Moritz darüber nicht - auch weil sie alle Veranstaltungen, die sie mit bekam, "ganz wunderbar" fand. Diese Ansicht teilten nicht alle Kongressbesucher. Vor allem, weil viele der rund 80 Veranstaltungen gnadenlos überfüllt waren. Giftige Kommentare waren zu hören, wenn man und frau mal wieder wegen Überfüllung nicht in einen Saal gelassen wurde. Etwa als einer der Stars unter den Referentinnen und Referenten, der umstrittene Schweizer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, zu hören war.

Der Kongress war etwa ab Samstagmittag ausverkauft. Die taz mag kein Projekt der Bewegung mehr sein - und als Journalist kann man darüber nur froh sein. Aber diese kleine Zeitung wird doch, das wurde am lebhaften Andrang und der fast beschämenden Anteilnahme der Leserinnen und Leser beim tazkongress deutlich, von Hoffnung und Engagement der Leserschaft getragen. Gelegentlicher Frust inbegriffen. Im Gästebuch an der Garderobe bahnte der sich manchmal Bahn. Ein Beispiel: "Viel gewollt, aber mit simplen Organisationsfehlern über die eigenen Füße gestolpert. Typisch taz?", schrieb jemand. Jemand anderes hielt dagegen: "Sehr gelungen - interessant - gut organisiert." Und ein anderer schwärmte: "Das Paradies liegt in der taz. Die Tage sind ein Lächeln …"

Zum taz-Paradies an der Spree passt, dass mindestens drei Wunder zu erleben waren: Bei der Eröffnungsgala etwa. Da wurde die neue taz gegen 22.45 Uhr päckchenweise im Publikum verteilt - und plötzlich wurde es ganz still, weil hunderte Menschen nur noch lasen, die Bühnenshow war zweitrangig geworden. Oder am Samstagnachmittag, als ein ruppiger Berliner Hilfspolizist direkt vor dem Eingang des Konferenzzentrums eigenhändig den Strafzettel zerknüllte, den er Charlotte Moritz ausgestellt hatte, weil ihr Auto im Halteverbot stand - übrigens stundenlang mit weit offenem Fenster. Und als sich Charlotte Moritz dann doch überwand und dem taz-Korrespondenten in Kairo, Karim El-Gawhary, eine Frage stellte.

"Das Paradies liegt in der taz?" Für den Alltag der Redaktion gilt dies, ehrlich gesagt, nicht so ganz. Aber für dieses Wochenende der kleinen Wunder und klitzeklitzekleinen Pannen traf dies vielleicht doch zu. Es waren magische Tage in Berlin.

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