Bürgerliche Krisenhilfe

AUSSTELLUNG Der Kunstraum Bethanien zeigt neue urbane Veränderungsbewegungen in Europa

Das Neue an dieser Bewegung sei, dass die Zivilgesellschaft von sich aus aktiv werde

Eine bemerkenswerte Ausstellung „We-Traders“ des Goethe-Instituts im Kreuzberger Kunstraum Bethanien zeigt noch bis zum Wochenende die Breite und Vielfalt einer neuen urbanen Veränderungsbewegung in Europa. Gemeint sind Bürger, die sich gegenseitig helfen, selbst anpacken, handeln. In den Städten Europas wächst aus dem Protest gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise derzeit eine neue Kraft des Stadtwandels. Auch vier Berliner Beispiele werden gezeigt.

Wir, die Bürger, handeln jetzt, bedeutet der Ausstellungstitel „We-Traders“. „Das Neue an dieser Bewegung ist, dass die Zivilgesellschaft nicht länger auf eine Einladung zur Partizipation wartet, sondern von sich aus aktiv wird“, erklärt Rose Epple, eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung, die in diesem Jahr durch die fünf europäischen Städte Madrid, Turin, Berlin, Lissabon und Toulouse wandert. Berlin ist die dritte Station. Zugleich rekurriert der Begriff „Trade“ auf das Moment des Tauschens, des Austauschs von Erfahrungen. Urbane Veränderer in Europas Städten geben ihr Wissen untereinander weiter – eine kontinentale Lernwerkstatt.

Die 24 Beispiele, die von den europäischen Büros des Goethe-Instituts zusammengetragen wurden, bieten eine große Bandbreite an Kreativität und bürgerschaftlichem Engagement. Als Bundeskanzlerin Merkel 2012 auf dem Höhepunkt der Eurokrise die portugiesische Hauptstadt Lissabon besuchte, formierte sich dort nicht ein breiter Straßenprotest gegen die deutsche Haushaltspolitik. Die Gruppe „O Espelho“ (Der Spiegel) gab ihrer Kritik die Form einer Wandzeitung, die sie nachts an Zäune und Hauswände kleisterte. Eine Bauruine im Zentrum Madrids wurde von der Bürgerinitiative Campo de Cebada besetzt und in ein offenes Kulturzentrum verwandelt. In Turin bringt die Gruppe „Il Piccolo Cinema“ (Das kleine Kino) Filmemacher mit Bürgern zusammen, um crowd-finanzierte Dokumentarfilme zu drehen. Aus Berlin sind die Projekte Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld, Rütli-Wear mit seiner Siebdruckmode aus einer einstigen Problemschule, das Betahaus mit seiner Open-Design-Kreativwerkstatt und die Baugenossenschaft Möckernkiez vertreten.

„Die ausländischen Teilnehmer haben großen Respekt vor unseren Berliner Projekten“, sagt Frauke Hehl von der Urban-Gardening-Initiative Allmende-Kontor. In Sachen nachhaltiger Stadtwandel gilt Berlin derzeit europaweit als Hotspot und Trendsetter. Das bedeute aber auch, dass in den anderen Städten Europas den eigenen Change-Projekten „zu wenig Wertschätzung entgegengebracht werden könnte“, gibt Frauke Hehl zu bedenken. Die Berliner Projekte könnten ihrerseits von europäischen Tradern mitunter „Lektionen in Professionalität“ lernen, gibt die Allmende-Frau zu bedenken. Dies gelte vor allem bei der Überführung von lockeren Initiativen in dauerhafte Strukturen. Frauke Hehl: „Das Problem aller dieser bürgerschaftlichen Initiativen ist ihre Verstetigung.“ Deshalb gründet das Allmende-Kontor nun einen eingetragenen Verein.

Seit der Eröffnung Anfang Juli hat die We-Traders-Ausstellung rund 5.500 Besucher in das Bethanien-Kunsthaus gezogen. Kuratorin Rose Epple ist damit zufrieden: „Für eine urbanistische Ausstellung eine gute Zahl“. Madrid hatte als erste Station 19.000 Besucher, was aber an dem zentralen Standort in der Innenstadt lag. Letzte Berliner Aktion wird am Freitag ein „Design Thinking Workshop“ sein, in dem „Krisenzerstäuber für Berlin“ gebaut werden sollen. Am Sonntag ist Finissage mit einem Siebdruck-Workshop von Rütli-Wear. Hinweis der Veranstalter: „Gern eigene Sachen zum Bedrucken mitbringen!“

MANFRED RONZHEIMER